Der große Wandel eines Nationalspielers
Uli Borowka: Einst Profifußballer und Alkoholiker, jetzt Frontmann in der Suchtprävention

09.03.2023 | Stand 17.09.2023, 1:11 Uhr
Markus Müller

Uli Borowka sprach in Grabenstätt über sein bewegtes Leben. −Fotos: imago images/Markus Müller

Uli Borowka war in den 1980er und 1990er Jahren einer der erfolgreichsten deutschen Fußballer: Deutscher Meister, DFB-Pokalsieger und Europapokal-Sieger mit dem SV Werder Bremen – und sogar sechsfacher Nationalspieler. Doch was der Öffentlichkeit lange Zeit weitgehend verborgen blieb: Er war in dieser Zeit auch in zunehmendem Maße abhängig von Alkohol und Schmerzmitteln. Rund 15 Jahre hat der heute 60-jährige gebürtige Sauerländer ein Doppelleben als Fußballprofi und Suchtkranker geführt.

Erst nach seinem Abschied aus dem Profi-Fußball gelang ihm im Jahr 2000 der Ausstieg aus der Alkohol- und Schmerzmittelsucht – nach viermonatiger stationärer Therapie.

Seit gut zehn Jahren ist er nun bereits als Frontmann in der Suchtprävention aktiv und besucht Schulen, Vereine, Firmen, Kliniken und sogar Gefängnisse, um aufzuklären und zu helfen. Auch den Verein „Suchtprävention und Suchthilfe“ hat er gegründet. Jüngst war er in der Schlossökonomie in Grabenstätt (Landkreis Traunstein) zu Gast und erzählte den rund 200 Besuchern mit seiner sympathisch-offenen Art von seinem krassen Absturz und dem hart erkämpften Weg zurück ins Leben.

Seine Familie hatte ihn verlassen



Mit 33 Jahren war ihm das Leben nach eigenen Worten komplett entglitten. Seine Familie hatte ihn verlassen, er war als Ex-Fußball-Millionär pleite und sein Charakter hatte sich „komplett ins Negative gedreht“. Am vorläufigen Tiefpunkt angelangt, unternahm Borowka sogar einen Selbstmordversuch mit einem Alkohol-Tabletten-Cocktail, der jedoch zum Glück schiefging. Dabei profitierte er von seiner außergewöhnlichen körperlichen Konstitution. „Ich habe einen sehr guten Stoffwechsel, mein Körper konnte Alkohol und Ähnliches ganz schnell abbauen“, so Borowka. Dies habe ihm auch erlaubt, „bis zwei oder drei Uhr nachts zu saufen“ und dann am nächsten Morgen um 9 Uhr wieder topfit auf dem Trainingsplatz zu stehen. Seine Trainer, darunter Otto Rehhagel, hätten oft ein Auge zugedrückt, denn die Leistung habe immer gestimmt.

Die Sucht erfolgreich zu bekämpfen gelang ihm am Ende nur mit Hilfe zweier Vertrauter von seinem Ex-Club Borussia Mönchengladbach, darunter sein früherer Teamkollege Christian Hochstätter. „Ohne die beiden wäre ich nicht in die Klinik gegangen und könnte heute nicht hier sitzen“, so Borowka. Ihm selbst sei bis zuletzt nicht bewusst gewesen, ein Alkoholproblem zu haben. Für ihn ist heute klar: „Jeder Tag, an dem ich trocken bin, ist wichtiger als jeder Titel, den ich gewonnen habe.“ Auch die großen Siege gegen den Erzrivalen FC Bayern München und gegen den SSC Neapel und die argentinische Nationalmannschaft mit Diego Maradona kommen da nicht hin.

Fast auf den Tag genau seit 23 Jahren ist Borowka nun schon trockener Alkoholiker mit Top-Leberwerten. Der Neustart sei aber alles andere als leicht gewesen. Er habe damals als Jugendfußballtrainer arbeiten wollen, doch diverse Vereine hätten ihm wegen seiner Vorgeschichte abgesagt. Jeder Mensch habe eine zweite Chance verdient, doch gerade nach einer Suchterkrankung sei dies hierzulande schwierig, meinte Borowka und wünschte sich hier ein Umdenken.

Pandemie als „Brandbeschleuniger“



Heute sieht er sich als erster Ansprechpartner für Suchtkranke und vermittelt diese an professionelle Stellen weiter. Er bekomme regelmäßig Nachrichten von suchtkranken Menschen, darunter Leistungssportler, Journalisten, Handwerker, Soldaten und Juristen. Es betreffe alle gesellschaftliche Schichten und Berufsgruppen. „Die Pandemie hat hier wie ein Brandbeschleuniger gewirkt und einen Flächenbrand ausgelöst“, erzählte Borowka. In seiner Heimatstadt Hannover gebe es jetzt 30 Prozent mehr Suchtkranke. Viele Menschen hätten sich in dieser schweren und belastenden Zeit ein Ventil gesucht. Besonders am Herzen liegen dem dreifachen Familienvater und Frontmann in der Suchtprävention Kinder und Jugendliche. Bei ihnen sei die Handy-, Internet- und Spielsucht ein großes Problem. Man müsse hier viel mehr in die Prävention gehen. „Ich habe das schon vor zehn Jahren gefordert“, so Borowka. Vielen Politikern und Entscheidungsträgern fehle das Verständnis für die Materie.

Er selbst habe schon als junger Profi bei Gladbach unter Versagens- und Existenzängsten gelitten. Dies öffentlich zuzugeben sei aber unmöglich gewesen, denn „als härtester Verteidiger der Bundesliga durfte ich keine Gefühle zeigen“. Er habe, wie es in einer Leistungsgesellschaft gefordert werde, stark sein und funktionieren müssen, gab Borowka zu bedenken. Bei den Klubs angestellte Psychologen sollten sich ihm zufolge viel mehr um die Probleme der Spieler kümmern – und nicht nur um das Thema Leistungssteigerung. Ein großes Problem sei auch die „Co-Abhängigkeit“, denn ein Suchtkranker „zieht in der Regel ein bis drei Leute in seinem Umfeld mit runter“, verriet Borowka auch mit Verweis auf seine eigene Geschichte. Hier sei es ganz wichtig, dass es Anlaufstellen gebe, an die sich auch Angehörige wenden könnten.

Auf die Frage, wie man sich am besten verhalte, wenn man bei einem Mitmenschen ein Suchtproblem erkenne, riet Borowka diesen, direkt darauf anzusprechen, und das am besten mehrmals. Da müsse man unbedingt dran bleiben. Selbsthilfegruppen seien ebenfalls ein probates Mittel, auch wenn er für sich selbst einen anderen Weg gewählt habe.

Auch Sebastian Müller und Markus Göbl referieren



Über ihre umfassende Arbeit in der Suchtprävention und Suchthilfe informierten im Anschluss Sebastian Müller und Markus Göbl von der Caritas-Fachambulanz für Suchterkrankungen und Essstörungen in Traunstein. Organisiert hatte die Borowka-Veranstaltung der Grabenstätter Pfarrgemeinderat, Veranstalter war die Gemeinde Grabenstätt. Als Kooperationspartner fungierte die AOK Bayern, vertreten unter anderem durch den Bad Reichenhaller Direktionsleiter Mathias Förg. Der AOK liege die Gesundheit aller Menschen am Herzen und deswegen unterstütze man solche Veranstaltungen auch finanziell und arbeite eng mit der Caritas zusammen, so Förg. Alfons Kritten aus Grabenstätt (ehemaliger Fußballtrainer in der Region), der den Kontakt zu Borowka hergestellt hatte und ihn für diesen unterhaltsamen Abend gewinnen konnte, dankte abschließend allen, die seine Idee von Anfang mitgetragen und diese für die Besucher kostenlose Veranstaltung ermöglichten.