Der Weltmeister aus Vilshofen im Gespräch
„Nicht so weit weg von der Spitze“: Augenthaler will von Fußball-Krise nichts wissen

02.01.2023 | Stand 17.09.2023, 6:24 Uhr

Klaus Augenthaler besuchte am 2. Weihnachtsfeiertag das Hallenturnier des FC Vilshofen. −Foto: Sven Kaiser

Das erneute Vorrunden-Aus der Nationalmannschaft bei der WM in Katar hat Fußball-Deutschland in seinen Grundfesten erschüttert. Spielt der vierfache Weltmeister international nur noch in der zweiten Liga? Einer, der es wissen muss, glaubt das nicht. Klaus Augenthaler, Weltmeister von 1990, ist davon überzeugt, dass die DFB-Auswahl künftig wieder in der obersten Etage mitmischen kann.

„Klar, das Abschneiden in Katar war enttäuschend. Aber wenn man gegen Japan das 2:0 macht oder dann gegen Costa Rica zur Halbzeit 3:0 führt, hätte alles ganz anders laufen können. Am Ende zählen freilich nur die Ergebnisse. Dann heißt es immer, die sind nicht gierig genug. So ein Schmarrn. Ein Fußballer will immer spielen und gewinnen. Ganz egal, ob eine WM im Juli oder im Januar ausgetragen wird. So schlecht war die Mannschaft nicht, wir sind nicht so weit weg von der Spitze. In jedem Fall waren die ganzen politischen Debatten rundherum oder das leidige Thema Kapitänsbinde nicht förderlich“, sagte der 65-Jährige am Rande seines Heimat-Besuchs beim Hallenfußballturnier des FC Vilshofen.

Heißt es nun „einfach weiter so“ oder braucht es auch im Kader einen Schnitt? „Die Diskussionen um die Zukunft eines Thomas Müller oder eines Manuel Neuer im Nationaltrikot sind ja bekannt. Ich sage aber: Wenn sie fit sind, sind beide nach wie vor unverzichtbar. Es war ja schon immer so, dass Spielergerüste vom FC Bayern oder auch früher von Borussia Mönchengladbach die Nationalmannschaft zu großen Erfolgen getragen haben. Das gilt auch heute. Mit den beiden sowie Kimmich, Goretzka, Gnabry, Sané oder Musiala haben wir Top-Kräfte. Freilich muss man an ein paar Stellschrauben drehen, damit die Truppe wieder kompakter und eine echte Einheit wird. Aber ein Hansi Flick hat beim FC Bayern schon eindrucksvoll bewiesen, dass er eine Mannschaft zum Erfolg führen kann. Vor der Heim-EM 2024 braucht uns jedenfalls nicht bange zu sein.“

Gleichzeitig räumt Klaus Augenthaler auch ein, dass die Suche nach fußballerischen „Rohdiamanten“ immer schwieriger wird: „Es gibt im Prinzip keinen Fleck mehr auf der Welt, wo große Talente unentdeckt bleiben.“ So hat der FC Bayern eine „World Squad“ unter Federführung des Vilshofener Weltmeisters ins Leben gerufen, in der Nachwuchs-Kicker aus aller Herren Länder sich beim deutschen Rekordmeister per Zusendung eines kurzen Videos ins Gespräch bringen können. Ins Netz gegangen ist den Münchnern dabei unter anderem José Mulato Palacios aus Kolumbien. „Das ist wirklich eine Granate“ , schwärmt Augenthaler vom 19-jährigen Stürmer, der inzwischen leihweise für den FC Dallas in den USA auf Torejagd geht. Auch weitere vielversprechende Youngsters hat man an der Säbener Straße im Blick. „Zum FC Bayern wollen sie natürlich alle. Weil sie wissen, dass der Verein gut aufgestellt ist und alle Möglichkeiten bietet. Ein Junger, der es weiter nach oben schaffen will, braucht aber eine echte Waffe, um sich abzuheben. Entweder, er ist wahnsinnig schnell oder hat einen brutalen Schuss. Einfach Merkmale, die man beim Zuschauen schon nach wenigen Minuten erkennt. Dann kann was draus werden,“ sagt der 27-malige Nationalspieler. Er prangert aber auch an, dass sich heutzutage schon jeder 17-Jährige nur noch auf seinen Berater verlässt. „So etwas gab es zu meiner Zeit nicht. Wenn die Berater sich auch abseits des Platzes um die Jungs kümmern würden, wäre es ja in Ordnung. Den meisten geht es aber ausschließlich um den eigenen Profit.“
Zeit zum Reifen haben die „eigenen“ Jungen beim FC Bayern nicht. Ergebnisse, davon ist der Verein getrieben. „Es wird nicht passieren, dass man zu Julian Nagelsmann sagt: Jetzt bau mal drei, vier Junge ein. Er wird ganz einfach an den Erfolgen gemessen“, macht Augenthaler klar. Dass man aus dem rund 70 Millionen Euro teuren, 2017 eröffneten Bayern-Campus noch keinen namhaften Profi rekrutieren konnte, gibt dem siebenmaligen deutschen Meister zu denken: „Fußball ist ja eigentlich ganz einfach. Aus meiner Sicht wird er heute aber zu sehr verwissenschaftlicht. Da werden die Buam mit taktischen Vorgaben überhäuft, die sie gar nicht alle aufnehmen und verarbeiten können. Man sollte wieder mehr Wert auf die Grundtugenden legen. Wie zu unserer Zeit Franz Beckenbauer gesagt hat: Geht’s raus und spuit‘s Fußball.“
Übrigens: Mit dem Kaiser verbindet Klaus Augenthaler nach wie vor eine enge Freundschaft. „Zu Weihnachten hat er wieder eine Karte geschrieben. Es geht ihm besser, das freut mich wirklich“, sagt der Vilshofener, der auch seinen Kurzbesuch in Niederbayern sehr genossen hat: „Es ist schon schön, wenn man von der Autobahn runter Richtung Vilshofen fährt. Die Stadt war herrlich beleuchtet, es war halt wie heimkommen. Und wenn man dann auch noch alte Weggefährten treffen kann, ist das etwas ganz Besonderes.“

Vor allem gefreut hat er sich über das Wiedersehen mit Egon Zillinger, seinem früheren Trainer in der A-Jugend. „Er war damals ein richtiger Schleifer. Aber wir haben das gebraucht. Und in meinem letzten Jugendjahr sind wir als kleiner FC Vilshofen Meister der Bayernliga Süd geworden. Vor dem FC Bayern, 1860 und Augsburg. Das Endspiel um den bayerischen Titel gegen Nürnberg haben wir leider knapp verloren, auch wegen einiger sehr zweifelhafter Schiedsrichter-Entscheidungen. Natürlich waren alle späteren Erfolge mit dem FC Bayern und der Nationalmannschaft wunderbar. Aber diese Zeit im Heimatverein war für mich besonders prägend.“