PFANNENSTIELS WM
Mladen Petrics Freudentränen, Kanes fatale Fehleinschätzung und ein Duell unter Brüdern

13.12.2022 | Stand 17.09.2023, 8:35 Uhr

Von Lutz Pfannenstiel

Für die Kroaten ist dieses erneute WM-Halbfinale eine Wahnsinns-Geschichte. Ich habe die beiden Freitag-Spiele zusammen mit Mladen Petric fürs Schweizer Fernsehen mitkommentiert. Der ehemalige HSV-Stürmer ist ja gebürtiger Kroate, hatte bei der Entscheidung Tränen in den Augen und sofort nach diesem Giganten-Sieg gegen Brasilien gefühlt mit sämtlichen Spielern telefoniert. Diese Emotionalität hat sich bis ins Studio übertragen – was muss da erst im Land los sein!

Im anderen Spiel habe ich das für mich bislang schönste Turniertor gesehen. Dieser Freistoß der Holländer zum 2:2: pure Fußball-Intelligenz, coole Ausführung! Das in dieser Situation 30 Sekunden vor Schluss so hinzubekommen, ist absolut bewundernswert. Bei der Entscheidung vom Punkt haben die Argentinier halt besser geschossen. Die Kroaten werden jetzt voller Adrenalin in dieses Halbfinale gegen Messi und Co. gehen. Sie wissen jetzt, dass sie ein großes Team besiegen können. Sie werden mit der Überzeugung rangehen, das auch ein zweites Mal tun zu können.

Und wie oft muss ich es eigentlich noch sagen, dass Marokko keine kleine Mannschaft ist? Viele Spieler spielen bei europäischen Top-Vereinen. Sie haben eine tolle Struktur in der Mannschaft. Die Spieler glauben an das defensive Konzept von Trainer Walid Regragui und setzen es perfekt um.

Ja, und dann England gegen Frankreich: Also da muss ich schon was zu Harry Kane sagen. Dass er den ersten Elfer gegen seinen Mannschaftskameraden Hugo Lloris schießt, lass ich mir noch eingehen. Aber den zweiten? Es war doch zu erkennen, dass ihm da die Gedanken durch den Kopf gingen. Da geht dann selten gut. Schade! Ich hätte die Engländer gern noch weiter im Turnier gesehen. Aber mit Frankreich – Marokko haben wir ein nicht weniger spektakuläres Halbfinale. Wenn man an die Kolonialgeschichte denkt, ist das so etwas wie ein Treffen großer Bruder gegen kleiner Bruder. Von den Marokkanern sind ja nicht wenige in Frankreich geboren. Da wird ein Feuer an Emotionen zu erwarten sein, nicht nur auf dem Platz, sondern auch bei den Fans in Paris. Für Afrika ist es auf alle Fälle das Größte, was der Kontinent im Sport bislang erlebt hat.


Lutz Pfannenstiel (49) aus Zwiesel spielte als erster Aktiver weltweit Profifußball auf allen Kontinenten. Pfannenstiel arbeitet als Sportdirektor beim MLS-Klub St. Louis City und berichtet als Kolumnist für die Heimatzeitung über die WM.