Start in den Winter
Biathleten riskieren Systemwechsel: «Mut braucht's immer»

08.12.2022 | Stand 08.12.2022, 17:14 Uhr

Biathlon-Bundestrainer - Will mit zwei ausländischen Trainern im Stab ganz neue Impulse setzen: Bundestrainer Mark Kirchner. - Foto: Sven Hoppe/dpa

International aufgestellt wie nie starten die deutschen Biathleten in den Winter. Dieser wird mit der Heim-WM in Oberhof ein ganz besonderer. Und für manche vielleicht der letzte ihrer Karriere.

Der riskante Systemwechsel ausgerechnet vor der Heim-WM in Oberhof ist genau nach dem Geschmack von Mark Kirchner. «Es ist mal ein bisschen was Neues», sagte der Biathlon-Bundestrainer.

Denn im Slowenen Uroš Velepec (55) und dem Norweger Sverre Olsbu Röiseland (32) bringen erstmals zwei ausländische Trainer in Kirchners Stab ganz neue Impulse - und sorgen nebenbei für eine ganz wesentliche Veränderung. Bei den Skijägern wird seit dem Frühjahr fast nur noch Englisch geredet.

«Wenn man nicht in der Muttersprache spricht, muss man mehr überlegen und kommt nicht so ins Sabbeln», sagte Kirchner: «Für die Objektivität und das konzentrierte Arbeiten ist das gar nicht so schlecht.»

«Das große Ziel ist Oberhof»

Viel wurde in den vergangenen Monaten geschuftet, am 29. November (13.15 Uhr/ARD und Eurosport) startet mit dem Männer-Einzel im finnischen Kontiolahti die Saison. «Das große Ziel ist Oberhof. Vorher geht es um den Formaufbau und darum, Selbstvertrauen zu holen», sagte Olympiasiegerin Denise Herrmann-Wick, die nach ihrer Hochzeit mit Doppelnamen der Star der Mannschaft bleibt.

Auf die WM im Thüringer Wald (8. bis 19. Februar 2023) zielt alles ab. Dafür verpflichtete der Deutsche Skiverband Velepec als Assistenten für die Männer. Röiseland, Ehemann von Dreifach-Olympiasiegerin Marte Olsbu Röiseland, ist neuer Co-Trainer des Frauenteams von Coach Kristian Mehringer.

«Es war seit geraumer Zeit der Wunsch der Athleten, ins Ausland zu schauen, ob etwas Passendes dabei ist. Das haben wir gefunden und umgesetzt», sagte Kirchner. Es gehe auch um neue Reize und das Verlassen alter Muster, ohne «alles über den Haufen zu werfen».

«Ein Blick über den Tellerrand ist nie schlecht»

Mit den neuen Trainern wurde an der Technik gefeilt, am Schießstand und auf Ski. «Ein Blick über den Tellerrand ist nie schlecht», sagte Herrmann-Wick. Die 33-jährige Sächsin geht am Mittwoch im Frauen-Einzel - in dieser Disziplin gewann sie in Peking Olympia-Gold - mit neuer Waffe an den Start, sie hat viel getüftelt vor ihrer vielleicht letzten Saison.

Nach den Rücktritten von Erik Lesser, Simon Schempp und Arnd Peiffer ist Benedikt Doll bei den Männern derweil der letzte verbliebene Star einer goldenen Generation. Auch der 32-Jährige, der im Sommer erstmals Vater wurde, könnte nach der Oberhof-WM aufhören.

Vor allem wegen des anstehenden Generationswechsels wird bei den Skijägerin einiges Neues versucht. Neben neuen Coaches wurde auch das Wachsteam international verstärkt, andere Nationen setzen seit Jahren erfolgreich auf ausländisches Wissen.

«Wenn das richtig gut werden soll, dann braucht das ein, zwei Jahre», sagte Felix Bitterling, der ebenfalls neu ist. Als Sportdirektor löste er Bernd Eisenbichler ab, Bitterling arbeitete zuvor beim Weltverband IBU und ist einer der Treiber der Internationalisierung. «Wir sind auf einem guten Weg», sagte der Bayer und gab das neue Motto vor: «Mut braucht's immer.»

Neue Superstars drängen sich noch nicht auf

Deutschland ist längst nicht mehr die Nummer eins im Biathlon. Vor allem Norweger und Franzosen, aber auch die Schweden mit ihrem deutschen Cheftrainer Johannes Lukas, legen bei der Entwicklung mittlerweile ein Tempo vor, das ohne Innovationen nicht mitzugehen ist.

Für die Zukunft der Sportart sei deshalb dieser Winter mit den beiden WM-Wochen am Rennsteig enorm wichtig. «Wenn da 20.000 bis 25.000 Fans stehen, die in erster Linie uns anfeuern, kann das wahnsinnig pushen», sagte Bitterling: «Wenn wir da gut sind, können wir einen kleinen Biathlon-Boom auslösen. Das ist unser Ziel.»

Die Unterstützung des Fernsehens und von Millionen Fans bleibt Herrmann-Wick und Co. zunächst gewiss. Neue Superstars vom Format einer Magdalena Neuner oder Laura Dahlmeier drängen sich jedoch nicht auf. Spannend dürfte sein, welche Fortschritte die Thüringerin Vanessa Voigt (25), im Februar in Peking Olympia-Dritte mit der Staffel und Vierte im Einzel, in ihrem zweiten kompletten Winter macht.

ARD und ZDF bauen ihr Wintersport-Programm jedenfalls weiterhin um die Rennen, selbst während der Fußball-WM bleibt das so, auch Eurosport überträgt. Während etwa die Skispringer die Konkurrenz des Turniers in Katar fürchteten und Wettkämpfe verlegt wurden, ließen den Weltverband IBU solche Sorgen recht kalt. Auch die TV-Sender berichten vom ersten Wettkampftag an in gewohntem Umfang mit großem Aufwand.

Ein Deutscher ist immer für ein Top-Resultat gut

Doch was bekommen die Fans in den kommenden Monaten zu sehen? «Die Top-Athleten sollen in Oberhof Medaillen holen», sagte Bitterling. Der Weg bis dorthin ist weit, die Konkurrenz enorm. «Unser Problem ist, wir haben keinen Johannes Bö, der definitiv besser ist als die meisten», sagte Johannes Kühn. Der 31-jährige Bayer ist jedoch davon überzeugt, dass ein Deutscher immer für ein Top-Resultat gut ist. «Wir müssen das im Team lösen.»

Der mittlerweile 52 Jahre alte Kirchner, als Aktiver selbst dreimal Olympiasieger, bleibt vor dem Start trotzdem gewohnt gelassen und denkt zumindest noch nicht an die WM. «Die zehn Kilometer sind am Ende immer noch zehn Kilometer lang und die beiden Schießen auf die Scheiben sind genauso wie anderswo», sagte der Chef-Bundestrainer: «Wir sind gut beraten, wenn wir uns selbst nicht auch noch einen Rucksack aufhängen. Wir wollen sportlich bestmöglich vorbereitet sein.»

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