Sächsische Schweiz: Freiheitsgefühle in Grenznähe

07.12.2019 | Stand 20.09.2023, 2:08 Uhr

Handarbeit: Das alte Mühlenrad ließ Sven-Erik Hitzer nach alten Zeichnungen nachkonstruieren. Nun wird damit das Mehl für die Bio-Bäckerei nebenan gemahlen. −Fotos: Häusler

Mit nachhaltigem "Bionier"-Geist und anpackenden Unternehmern will die Sächsische Schweiz naturliebende Touristen auch im Winter anlocken.

Welchen Stellenwert der Tourismus in der Stadt Bad Schandau im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge einnimmt, zeigt alleine der Name der Wählergruppe des amtierenden Bürgermeisters Thomas Kunack: Wählervereinigung Tourismus. Im Mühlensaal in Schmilka, ein Dorf an der Elbe, das letzte vor der tschechischen Grenze, spricht er über steigende Übernachtungszahlen und das Ziel, den Menschen ganzjährig einen Arbeitsplatz geben zu wollen. Deswegen bemüht sich der Tourismusverband Sächsische Schweiz um ein funktionierendes Winterprogramm. Dieses prägt wie kein anderer der sächsisch-thüringische Unternehmer Sven-Erik Hitzer.
So nordisch Hitzers Vorname klingt, so winterlich präsentiert sich sein Dorf Schmilka. Sein Dorf? Ihm beziehungsweise der Albergo GmbH, dessen Geschäftsführer er ist, sind unter anderem etliche Hotels und Pensionen, eine Brauerei und eine Bäckerei zuzuschreiben. "Ich bin hier von fast jedem der Nachbar", sagt er, spricht von einem "Bio-Refugium", schwört auf gesunden, elektrosmogfreien Schlaf und betont die Freiheit, nackt in den Badezuber hinter dem sich drehenden Mühlenrad springen zu dürfen.
Die meisten nutzen die Umkleideräume im angrenzenden Saunabereich, nehmen im 40 Grad heißen Wasser Platz und genießen ein bernsteinfarbenes, unfiltriertes Bio-Bier oder einen Quittenpunsch, gekrönt mit Bierschaum. Dem allseits bekannten Spruch "Der Gast ist König" widerspricht Hitzer jedoch: "Ein guter Mitarbeiter ist mehr wert als ein guter Gast."
Das Ziel, ganzjährig Arbeitsplätze zu schaffen, verfolgt freilich auch Hitzer. Ein Haus, das mehrere Monate geschlossen hat, lässt sich wirtschaftlich schlecht betreiben, nachhaltig schon gar nicht. Dass er selbst auch Arbeitnehmer aus Tschechien beschäftigt, halte er für alles andere als nachhaltig. Schließlich fehlten diese dann auf der anderen Seite der Grenze. Wegen der unliebsamen Arbeitszeiten im Hotel- und Gaststättengewerbe bleibe ihm aber nichts anderes übrig.

Der Träger mehrerer Tourismuspreise und offensichtliche Gewinner der Wende wird angesichts seiner Macherqualitäten von vielen bewundert. Doch es gibt auch die andere Seite. Ob aus Spaß oder aus Neid: Man trifft in der Umgebung auch Menschen, die Hitzer als Kraken bezeichnen, der überall seine Arme im Spiel habe.
Macherqualitäten beweist auch Uwe Henkenjohann. Über 400 ungleiche Stufen wandern die Gäste hoch zu seiner Berghütte auf dem Papststein. Während die Meißener Kacheln des Holzofens gleichmäßig die Baude – so hießen in der Gegend ursprünglich die Schutzhütten für Viehhirten und Waldarbeiter – auf Wohnzimmertemperatur wärmen, flackert unter dem Käsefonduetopf ein zartes Flämmchen. Auch hier trifft man auf Servicepersonal aus Tschechien, das wohl dank der Grenznähe gut Deutsch spricht und einem sogar den vergessenen Geldbeutel nach der Nachtschicht ins Hotel bringt.
So einen gemütlichen Abend haben sich die Wanderer, die tagsüber das Elbsandsteingebirge erkunden, auch verdient. Unter Kletterern ist das Mittelgebirge, das sich über Sachsen und Böhmen erstreckt, bestens bekannt. Viele, die in der DDR aufgewachsen sind, verbinden mit dem Großen Zschirnstein, der Bastei, den Tafelbergen und dem Felsentor Kuhstall Kindheits- und Jugenderinnerungen. Ein Stück Freiheit. Weit vor ihnen haben Maler wie Caspar David Friedrich (1774 bis 1840) die Region erkundet und sie bildlich festgehalten. Sie begründen auch den Namen Sächsische Schweiz. Heute gibt es dort den 112 Kilometer langen Malerweg.
Diesen werden wohl nur die wenigsten beschreiten, doch eine vierstündige Winterwanderung mit Glühweinpause unter einem Felsdach ist mit dem richtigen Schuhwerk und einer ordentlichen Grundfitness problemlos zu schaffen. Noch vor dem Abmarsch teilt Wanderexpertin Gundula Strohbach Zutaten und Zubehör unter den Teilnehmern auf: Weißwein, Orangensaft, Gewürze, Orangen, spanischer Likör mit Vanille-Geschmack, Gaskartuschen, Töpfe und Camping-Becher landen in den Rucksäcken. So wird das Wandern zum gemeinsamen Erlebnis.
Als touristisches Topziel in der Region gilt die Bastei mit der gleichnamigen, 76,5 Meter langen Brücke. Über diese gelangen die Besucher zur Ruine der Felsenburg Neurathen und erfreuen sich über die Aussicht gen Festung Königstein, die seit 800 Jahren besteht – wie die Veste Oberhaus in Passau. Es gibt verschiedene Führungen in den Wintermonaten. Zum Beispiel die 60-minütige Tour "Festung kompakt" von 8. bis 23. Februar, jeweils um 12 und um 14 Uhr. Dabei sehen die Besucher den 152,5 Meter tiefen Brunnen, den Riesenfasskeller mit einer modernen Nachbildung des historischen Riesenweinfasses und die Friedrichsburg mit dem legendären "Tischleindeckdich". Die Speisen, die dem einstigen Adel aufgetischt wurden, entsprachen gewiss den heutigen Bio-Standards.
INFORMATIONEN
Der zentral gelegene Erholungs- und Kneippkurort Bad Schandau am Nationalpark gehört zu den ältesten Urlaubsorten in der Sächsischen Schweiz. Einer der sieben Ortsteile ist Schmilka. Einst markierte es die Grenze zu Tschechien, heute ist es bekannt als "Bio-Refugium". Nicht nur die politischen Einflüsse, auch Hochwasserereignisse prägen die Ortschaft bis heute. Der Nationalpark Sächsische Schweiz ist der einzige in Sachsen und schützt seit 1990 einen vergleichsweise naturnahen Ausschnitt des rechtselbischen Elbsandsteingebirges.

ANREISEN
Das Elbsandsteingebirge, etwa 30 Kilometer von Dresden und 150 Kilometer von Prag entfernt, ist zum Beispiel von Passau aus sowohl mit dem Zug mit mehrmaligem Umstieg als auch mit dem Auto erreichbar – entweder über deutsche oder tschechische Straßen. Die meisten Verkehrsbetriebe der Region gehören zum Verkehrsverbund Oberelbe. Ein Ticket gilt für nahezu alle Nahverkehrsmittel.

ÜBERNACHTEN
Direkt an der Elbe im Dorf Schmilka liegt das Bio-Hotel Helvetia (vier Sterne). Es überrascht mit Zimmern in verschiedenen Stilrichtungen: Safari, Japan und Co. Weitaus spartanischer nächtigen Kletterer, denen es gestattet ist, unter Felsvorsprüngen zu schlafen. Der Sachse spricht von "Boofen".

www.schmilka.de
www.saechsische-schweiz.de
Redakteur Christoph Häusler recherchierte mit Unterstützung des Tourismusverbandes Sächsische Schweiz.