Die Charmante und die Bekannte

07.09.2019 | Stand 24.01.2024, 13:22 Uhr

Ein spektakulärer Blick auf die berühmten Kreidefelsen in Rügen und die Farbspiele im Wasser. Das Naturwunder geht auf die Bewegungen der Eiszeit zurück. Im Schnitt weichen die Steilküstenhänge um 34 Millimeter pro Jahr zurück. −F.: Rabenstein

Mit Rügen und Usedom warten Wanderparadiese darauf, entdeckt zu werden. Eindruck hinterlassen vor allem die intakten Küstenwälder.

Meist werden die beiden in einem Zug mit einem schönen Badeurlaub am Meer genannt: die Inseln Usedom und Rügen in Mecklenburg-Vorpommern. Freilich sind sie mit ihren viele Meter langen Stränden und den Strandkörben, die gegen Wind schützen, bestens für einen Urlaub am Meer geeignet. Und doch bieten die beiden Inseln viel mehr: Sie sind Wanderparadiese mit intakten Wäldern, wie man sie sich bei uns kaum mehr vorstellen kann.

"Waldsterben kennen wir nicht", sagt Felix Adolphi (38) vom Forstamt Neu-Pudagla, der im Alter von 34 der jüngste Oberförster in Deutschland wurde. Ein Fernwanderweg quer durch Mecklenburg-Vorpommern führt den Wanderer durch drei Nationalparks und hat eine Länge von 250 Kilometern. 12000 Hektar Wald gibt es auf Usedom; die Hauptbaumarten sind Rotbuche und Kiefer. "Die Besonderheit des Waldes an der Steilküste ist, dass die Bäume auch an extremen Wind gewöhnt sind und an die gesunde Seeluft", sagt er beim Gang auf den Streckelsberg durch satte Buchenwälder, der vorbei an einem alten NS-Bunker und Beobachtungspunkt für die Bewegungen auf der Ostsee zu einer wundervollen Aussicht auf die See führt. Und er hat auch einen strengen Blick darauf, dass Interessensgruppen und Bürgermeister nicht Wald verbauen. "Ich bin Herr des Verfahrens und berüchtigt für ein strenges Genehmigungsverfahren", erklärt der Naturschützer selbstbewusst.

Spaziergang durch den Heilwald Ebenfalls von der Buche schwärmt Dr. Karin Lehmann (66). "Grüne Ärzte" nennt sie sie beim dreieinhalb Kilometer langen Rundgang durch den "Kur- und Heilwald" von Heringsdorf, einem der drei Usedomer "Kaiserbäder". 2015 wurde dieser erste Kur- und Heilwald Europas eingeweiht. Geräte laden zur Nutzung ein: Balance kann darauf geübt werden, aber auch die Motorik geprüft und die Sinne angeregt.

Diese kann man auch auf angenehmste Weise im Verbena-Kräutergarten von Ina Schirmer in Prätenow schärfen, die eine Kräuterwanderung durch die Usedomer Wälder anbietet. In ihrem Garten wachsen etwa hundert verschiedene Heil-, Duft- und Küchenkräuter. Sie, die sich selbst Kräuterhexe nennt, erklärt beim Waldspaziergang, wie man Giersch zubereitet und Brennessel erntet, ohne sich zu brennen. Lecker, frisch und gesund ist ihr appetitliches Kräuterbüffet.

Ebenso liebenswürdig wie die ganze Insel präsentiert sich das Wasserschloss Mellenthin. Schlossherr Jan Fidora war einer der "Glücksritter", die sich nach der Wende in den Osten begaben – er hat ein Hotelprojekt nebst Brauerei und Kaffeerösterei verwirklicht. Ganz im Stil des Shabby-Chic ist es außen romantisch mit Gebrauchsspuren – und innen herrscht bester Standard.

Wir begeben uns von der charmanten Insel auf die weltbekannte: Rügen mit seinen Kreidefelsen, denen Caspar David Friedrich in mehreren Ölbildern ein Denkmal setzte und den "Alten Buchenwäldern", die die UNESCO 2011 zum Weltnaturerbe erkor – in Ergänzung zu den riesigen Buchenwäldern in den Karpaten. "Aber Kreide gibt es nur hier", sagt unser Reiseführer stolz.

Der Hochuferweg zwischen Sassnitz und Lohme gilt als einer der schönsten und spektakulärsten Wanderwege an der Ostsee. Gut zwölf Kilometer geht man direkt an der Steilküste entlang und hat immer wieder sensationelle Blicke auf die Kreidefelsen. Dr. Ingolf Stodian vom Nationalparkamt Jasmund warnt eindringlich, die Absperrungen zu missachten und sich nicht zu nah am Abgrund zu bewegen. Immer wieder breche ein Kreideteil ab. Was auf den ersten Blick von oben bewachsen und befestigt aussehe, bestehe oft nur aus Luftwurzeln ohne festen Boden darunter. Immer wieder verunglücken uneinsichtige Menschen hier, zuletzt eine Mutter mit Kind.

Kenner des Weges beginnen ihn von oben beim Nationalpark-Zentrum Königsstuhl, wo sich auch ein kleines Museum befindet. Die Aussichtsplattform Königsstuhl bietet einen besonderen Überblick. Der Ausstellungsraum mit Kino und 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche erklären die Entstehung der Kreidefelsen, ihren Ursprung in der Eiszeit und dass die Formungskräfte der Natur noch immer aktiv sind: Meeresbrandung, Gezeiten, Strömungen, Sturmfluten, Regen und Frost sowie tektonische Kräfte aus dem Inneren der Felsen greifen sie beständig an. Deshalb sind sie auch heute stets Veränderungen ausgesetzt.

Begibt man sich dann auf den Wanderweg runter nach Sassnitz, ist man von den gigantischen Buchendomen überwältigt. Wie klein und unbedeutend ist der Mensch doch angesichts dieser Baumriesen! Die Buche hat sich durchgesetzt, weil sie mit sehr wenig Licht auskommt. Unterholz gibt es dadurch kaum. Die Bäume stehen dicht an dicht. "Hallenwald" nennt man dies in der Fachsprache. Und ein Baum wirkt gesünder als der andere. Ja, dieser Wald tut richtig gut.

Der Weg ist abwechslungsreich, nicht nur wegen der Aus- und Durchblicke auf die Kreidefelsen, sondern auch wegen des häufig wechselnden Auf- und Abstiegs. Man sieht richtig, wie die Landschaft hier mehrfach "gefaltet" wurde wie eine kunstvolle Serviette.

Auf beiden Inseln gibt es reichlich Spezialitäten der Region. Das sind in erster Linie Fische, allen voran der Hering in allen Variationen, Dorsch und Hornhecht. Der Einfluss der Pommerschen Küche ist groß: Zander auf Haferstroh und Apfelfleisch gelten als traditionelle Gerichte, ebenso der Pommersche Gurkensalat mit Buttermilch und Dill. Nicht zu vergessen: die "Zitrone des Nordens", wie der Sanddorn genannt wird. Er ist besonders lecker und vitaminreich als Aperitif mit Rotkäppchen-Sekt oder in Gebäck, wie es zum Beispiel die Bäckerei Peters in Sassnitz anbietet.

Fontane setzte Inseln literarische Denkmäler Bis 30. Dezember feiert Mecklenburg-Vorpommern noch den großen Romancier Theodor Fontane. Beide Inseln kannte er. 1884 weilte er im eleganten Sassnitz. Rügen ist in seinem berühmten Roman "Effi Briest" literarisch verarbeitet worden. So ist etwa der Name einer Figur, Major von Crampas, dem ehemaligen Fischerdorf Crampas entlehnt, das heute Teil der Gemeinde Sassnitz ist.

Usedom blieb Theodor Fontane dagegen sein Leben lang treu. In Heringsdorf erlebte er glückliche Kindertage, literarisch verarbeitet in "Meine Kinderjahre". 1863 schrieb Fontane an seine Frau aus Usedom: "Man hat Ruhe und frische Luft und diese beiden Dinge erfüllen Nerven, Herz und Lungen mit einer stillen Wonne".

Rund 120 Kilometer Fahrtstrecke liegen zwischen den beiden Inseln. Da fällt die Entscheidung nicht schwer, beide zu besuchen.
INFORMATIONEN

Die Ostsee-Perlen Rügen und Usedom sind die beiden flächengrößten und bevölkerungsreichsten deutschen Inseln. Sie gehören zum Bundesland Mecklenburg-Vorpommern.

ANREISEN

•Die Anreise nach Rügen oder Usedom erfolgt am besten per Bahn nach Berlin und weiter nach Heringsdorf; seit diesem Sommer fährt direkt ein ICE nach Rügen.

•Mit dem Flugzeug gibt es Verbindungen von München nach Rostock; von dort am besten per Bahn weiter.

ÜBERNACHTEN
Usedom: Wasserschloss Mellenthin, Schlossallee 5, 17429 Mellenthin, ✆038379/28780.

Rügen: Panorama Hotel, An der Steilküste 8, 18551 Lohme, ✆038302/9110.

ESSEN & TRINKEN
Usedom: Restaurant & Pension Café Knatter, Hauptstraße 36, 17459 Ückeritz.

Marc O’Polo Strandcasino, Kulmstraße 33, 17424 Seebad Heringsdorf.

Rügen: Fischkopp, Seestraße 66, 17429 Seebad Bansin.

Restaurant Strandhalle Binz, Strandpromenade 5, 18609 Binz.

SEHENSWERT
Usedom: Verbena Kräutergarten, Stolper Straße 9, 17419 Dargen/OT Prätenow.

Atelier Otto Niemeyer, Lüttenort 1, 17459 Ostseebad Koserow 10.

Rügen: Nationalpark Zentrum Königsstuhl, Stubbenkammer 2, 18546 Sassnitz .

www.ruegen.de  usedom.de

www.auf-nach-mv.de
Redakteurin Dr. Edith Rabenstein recherchierte auf Einladung der Tourismuszentrale Rügen und der Usedom Tourismus GmbH.