Natur pur beim Paddeln in den Masuren

21.06.2019 | Stand 20.09.2023, 3:05 Uhr

Während der Fahrt auf der sanft fließenden und grün schimmernden Krutynia ist es auch für Kanu-Anfänger kein Problem, das Paddel ruhen zu lassen und ein Foto von der Landschaft zu schießen. −Fotos: Christoph Häusler

Der Tourismus in den Masuren wird von den vielen Kanuten bestimmt, die zum Paddeln auf dem Fluss Krutynia nach Polen kommen. Neben dem Erlebnis auf dem Wasser kann man dabei vor allem unberührte Natur genießen.

Bei Sonnenuntergang hocken Natascha und Elias Kotzem im Schneidersitz an einem Steg. Sie bändigen selbst zubereitete und mit Parmesan aus der Dose besprenkelte Nudeln mit Gabeln, um sie ohne zu kleckern in ihre Münder zu befördern. Das Paar aus Jena, beide 26 Jahre jung und miteinander verheiratet, stößt auf den gemeinsamen Trip ins Nachbarland mit ungarischem Rotwein an, eingeschenkt in Kaffeetassen. "Der schmeckt ganz gut", sagen sie. Die beiden haben es mit ihrem himmelblauen VW-Bus, Baujahr 1984, von Ostdeutschland quer durch Polen bis in die Masuren geschafft und genießen den Abend am Ufer der Krutynia.

Natascha und Elias tragen Kapuzenpullis. Die benötigen sie auch. Trotz einiger Sonnenstunden zeigt das Thermometer Ende Mai nur 14 Grad Celsius. Der etwa hundert Kilometer lange Fluss, der mehrere Seen der Sensburger Seenplatte und die Großen Masurischen Seen der Masurischen Seenplatte miteinander verbindet, verfügt über eine hervorragende Wasserqualität. Die zu sehenden Rotalgen und Muscheln gelten als Indikatoren dafür. Während der Jenaer nochmals mit der Gabel ein paar Nudeln aufdreht, fließt die grünlich schimmernde Krutynia an ihm vorbei. Kleine Fische nutzen die sanfte Strömung, um an Nahrung zu gelangen, lassen sich diese in ihre Mäuler treiben.

Ebenso treiben lassen sich viele Touristen, die an die Krutynia reisen, um die Flusslandschaft vom Kanu aus zu bestaunen. "In den Sommermonaten, in der Hochsaison, sind 3000 bis 4000 Leute am Wasser, pro Tag", berichtet Robert Wróbel, Direktor des Touristischen Informationszentrums in Mragowo (Sensburg). Ist es dann vorbei mit der Idylle, die sich aus der in Teilen gänzlich unberührten Flusslandschaft und der größten Storchenpopulation der Welt speist? Kommen zu viele Touristen in die Region? "Ganz bestimmt nicht", entgegnet der 40-Jährige bei einem Grillabend am Fluss. Er räumt aber auch ein, dass die Antwort aus Sicht der Verantwortlichen des Landschaftsparks anders ausfallen würde. Robert Wróbel pocht auf die Vernunft der Touristen, die insbesondere wegen der Natur in die polnischen Masuren reisen. Das Polskie Towarzystwo Turystyczno-Krajoznawcze, kurz die Vereinigung PTTK, führt in einer Broschüre zum Beispiel "zehn goldene Verhaltensgrundsätze der Kanuten in der Natur" auf, damit Paddler Vögeln, Fischen, Kleintieren und Pflanzen nicht schaden.

Ähnliche Antworten gibt Waldemar Bzura, der in seiner Heimat als Naturfotograf Luchse, Elche, Kraniche, Kormorane, Eisvögel und Seeadler vor die Linse bekommt. Das ist einerseits seiner Erfahrung geschuldet – seit 1991 fotografiert er, versorgt zum Beispiel das Polnische Fremdenverkehrsamt mit Bildern –, andererseits der vorhandenen Artenvielfalt. Sein Eindruck: "Touristen, die nach Krutyn und Umgebung kommen, sind meist umweltbewusst. Die nehmen ihren Müll wieder mit, lassen ihn nicht am Ufer liegen."
Für die meisten gilt diese Annahme wohl, wie sich bei drei Paddeltouren über insgesamt etwa 21 Kilometer Ende Mai feststellen lässt. Außer einer vereinzelten Bierdose, einer PET-Wasserflasche und dem Überbleibsel eines Schokoriegels bleibt Natur pur in Erinnerung: am Schilf schwimmende Schwanen- und Entenfamilien, die eingehenden Rufe des Kuckucks, ein untertauchender Fischotter und ein Gerippe eines größeren Landtieres – Natur pur eben.

Dass das Tourismusgeschäft in den Masuren, das bis weit in die Vergangenheit reicht, läuft, hat für die Region und deren Bewohner hohe Bedeutung. "Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gab es hier vier Pensionen und zahlreiche Privatquartiere", ist auf einer Schautafel vor dem Museum des Masurischen Landschaftsparks in Krutyn zu lesen. Während 1939 das Dorf noch 435 Einwohner zählte, waren es 2013 nur noch 277. "Wer hier einst wohnte, hatte ein stabiles Leben", erzählt Naturfotograf Bzura. Dies habe sich geändert. "Die Arbeit fehlt, und die Tourismussaison läuft ja nur höchstens sieben Monate." Eine weitere Tatsache: Die Woiwodschaft Ermland-Masuren ist der polnische Verwaltungsbezirk mit der höchsten Arbeitslosigkeit mit einer Quote, die mehr als doppelt so hoch liegt wie der Landesdurchschnitt, wie Zahlen des Statistikamtes Olsztyn belegen.

Während der Kanu-Tourismus funktioniert – an jeder Ecke verleiht ein anderer Betreiber die Boote und bietet Bring- und Abholdienste entlang der Krutynia-Route – fehlt es laut Robert Wróbel an neuen touristischen Investitionen. Er spricht damit fehlende Fahrradwege an. E-Bike-Fahrer hätten Probleme damit, mit den schwereren Gefährten die oftmals sandigen Wege zu meistern. "Das Geld ist vielleicht sogar vorhanden", sagt er. Doch führe zum Beispiel ein Weg von einer in die nächste Gemeinde, müssten sich die beteiligten Kommunen über Planung, Finanzierung und Bau einig werden.

Trotz dieser Probleme sieht der Tourismus-Chef die Region um die Krutynia als "günstiges Reiseziel für ganze Familien", für ältere Generationen, die auf Stakenbooten Flussabschnitte erkunden, und für erfahrene Paddler, die abseits der Standard-Route ebenso ihre Herausforderungen finden.
Und noch eine wachsende Branche hat Robert Wróbel im Blick: Camper, die wie Natascha und Elias Kotzem aus Jena durch Polen reisen und sich im Dorf Krutyn eine Auszeit gönnen – nachdem sie ihren VW LT28 kurz zuvor noch aus dem Dreck geschoben haben, da sich das Straßennetz in den Masuren vom deutschen Landstraßen-Standard deutlich unterscheidet.

INFORMATIONEN
Die Krutynia-Paddelroute ist rund hundert Kilometer lang, beginnt im See Warpunskie in der Nähe des Ortes Sorkwitten und endet im Bereich der Großen Masurischen Seen in Ruciane-Nida. Über die Hälfte der Route führt durch den Masurischen Landschaftspark.

ANREISEN
Direktflüge von München gibt es sowohl nach Warschau als auch nach Danzig. Von den jeweiligen Flughäfen sind es noch etwa drei Stunden Fahrt zum Dorf Krutyn. Für Camper: Zum Beispiel von Passau aus dauert die Fahrt rund zwölf Stunden.

ÜBERNACHTEN
Eine Übernachtung in Krutyn gibt es laut Polnischem Fremdenverkehrsamt im Zwei-Bettzimmer mit Bad für rund 19 Euro pro Person. Für ein Frühstück gibt man etwa sechs Euro, für ein dreigängiges Menü zwölf Euro aus.

www.polen.travel
www.mazury.travel

Redakteur Christoph Häusler reiste auf Einladung des Polnischen Fremdenverkehrsamtes nach Krutyn.