Karpathos: Immer noch eine andere Welt

27.07.2018 | Stand 21.09.2023, 5:23 Uhr
Sascha Rettig

Auf Karpathos gibt es viele Gelegenheiten, die üppigen Portionen der schmackhaften Mahlzeiten wieder "abzuwandern".

Wer ein Insel-Griechenland sucht, in dem es noch ruhiger, ursprünglicher und traditioneller zugeht als in den Tourismus-Hochburgen, wird im Norden von Karpathos fündig.

Ihr macht keine Ziege was vor. Sofia mag zwar Mitte 60 sein. Doch zu ihrer traditionellen Kleidung trägt sie trendy Sneaker, mit denen sie flink ist. Und wenn nötig, meckert sie resolut zurück, während sie sich aus ihrer Herde handfest ein Tier nach dem anderen greift. Jede der erwischten Ziegen hält sie dann zum Melken zwischen ihren Beinen fest – bis der Eimer voll ist.

Rund 200 Tiere hält sie mit ihrer Tochter Evgenia, mit der sie die frische Milch zu Butter, Rahm und vor allem Käse nach traditionellem Rezept verarbeitet. Alles ist dabei im Grunde noch wie damals, als sie als einziges Mädchen unter neun Brüdern aufwuchs und von ihrem Vater alles über die Arbeit mit den Ziegen lernte. Touristen waren auf der Insel Karpathos zu der Zeit eine Seltenheit.

Beim Frühstück, für das der Tisch voll mit verschiedenen Käsesorten, Honig und frischem Brot gedeckt ist, erinnert sich Sofia, wie im lange isolierten Bergdorf Olympos die ersten ausländischen Gäste auftauchten. Die Anreise per Boot und zu Fuß war beschwerlich. Erst vor ein paar Jahren wurde eine Asphaltstraße aus dem Süden durch die Berge gebaut – und doch landet man im Norden von Karpathos nach wie vor in einem Griechenland jenseits größerer Hotelansammlungen und Stränden voller Liegestühle. Ja, anders als im touristischeren Süden geht es auf dieser Inselhälfte noch etwas ruhiger, ursprünglicher und traditioneller zu.

Dass vieles wie damals ist, aber manches eben auch nicht, sieht man in diesem Bergdorf. Vor einigen Restaurants hängen Tafeln mit ausgeblassten Fotos der angebotenen Gerichte, was an Touristenfallen erinnert. Und in mancher Auslage vermischt sich überflüssiger Erinnerungsnippes mit einheimischem Kunsthandwerk. Trotzdem hat sich Olympos seinen eigenen Charme bewahrt: durch die verschlungenen Gässchen mit kleinen Kirchen, mehr als 70 Windmühlen(ruinen), zahlreiche Tavernen – und auf der Meeresseite mit dem weiten Traumblick über die tiefblaue Ägäis.

Bekannt sind die Frauen des Dorfs. Schlendert man durch die Hauptgasse, stehen sie in ihren Restaurants oder Souvenirlädchen, grüßen, zeigen ihre Kunsthandwerksfähigkeiten, erzählen ein bisschen, lächeln für Fotos – so wie manche von ihnen das auch auf den Postkarten tun. Das Besondere: Die meisten tragen die typische Tracht aus Bluse, bunt gemustertem Gürtel und passender Schürze, sowie dem Mandili-Kopftuch. "Das ist ein Dreieckstuch – schwarz, wenn die Frau verheiratet ist und weiß, wenn nicht", erklärt Rigopoula Pavlidi. Sie betreibt seit 31 Jahren ihren Laden, der nur ein paar Häuser von der Werkstatt des Schuhmachers Jannis Prearis entfernt ist. Auch er hält einen Brauch am Leben und stellt als einziger die sogenannten Stivani-Schuhe her, Maßanfertigungen aus Ziegen- und Lammleder.

Evangelia Agapiou hat eigene Vorstellungen für den Tourismus im Norden. Sie ist 29 Jahre alt, hat Geographie studiert und sieht die Stärke dieser Gegend im Ökotourismus: das Leben, die Traditionen und die Geschichte kennenlernen, die Natur erkunden und Tiere beobachten. Vögel vor allem, am besten in Avlona, einem Dorf in einer Ebene, in der seit der Antike die Felder bestellt werden und bis heute Weizen, Favabohnen und Kichererbsen wachsen. "Karpathos ist ein wichtiger Stopp für Zugvögel", erklärt sie, als sie dort im Garten etwas Knoblauch für die bevorstehende Kochstunde holt. Kurze Zeit später schließt sie das typische Vorzeigezimmer im Haus ihres Vaters bei Olympos auf. "Ich möchte euch gern meine Familie vorstellen", sagt die junge Touristenführerin und zeigt auf die Bilder von Generationen an Verwandten zwischen bunt-opulenten Dekorationen mit Verzierungen, Stickereien, Ziertellern aus aller Welt. Dann wird traditionell gekocht: Evangelia lässt den zerkleinerten Oktopus in Essig und Öl köcheln. Sie frittiert Artischocken mit Anis und viel frischem Knoblauch. Die Spezialität der Insel aber sind Makarounes, kleine Spätzle-Nudeln. Evangelia zeigt, wie sie frisch gemacht werden. Das Entscheidende ist der letzte Kniff: Während man die Teigstückchen unter den Fingern rollt, muss man sie im richtigen Moment eindrücken.

Das Menü an diesem Abend ist zwar üppig. Glücklicherweise gibt es aber genug Gelegenheiten, die Portionen abzuwandern: am nächsten Morgen etwa nach Vroukounda. Vom Dorf Avlona aus führt Evangelia über jahrtausendealte Stufen hinunter bis zum Meer, wo nicht nur die letzten Ruinen einer antiken Stadt stehen. Kaum sichtbar führt am Ende des Weges auch eine Treppe in die kühle Höhlenkirche Agios Jiannis. Einmal im Jahr kommen die Einheimischen zu einem großen Fest hierher. Heute steht nur eine hochschwangere Eseldame im Schatten des Olivenbaumes.

Eine andere Wanderung führt zum Karpathos-Wasserfrosch – einer Spezies, die es so nirgendwo anders auf der Welt gibt. Um die 100 von ihnen sollen in dem trockenen Flussbett leben. Prächtige Oleanderbüsche in leuchtendem Rosa sind darin in die Höhe gewachsen. Die Wasserstellen sind kaum größer als Regenpfützen, in denen von den Fröschen keine Spur ist. Immerhin: Kaulquappen schwimmen darin vor sich hin – die Zukunft der nächsten Generation scheint gesichert.

INFORMATIONEN

Die Insel Karpathos ist die zweitgrößte der Dodekanes-Inselgruppe in der östlichen Ägäis. Gerade in ihrem Norden ist vieles noch ursprünglicher als auf der größeren Nachbarin Rhodos. Die Frauen tragen die typischen Trachten, auf den Teller kommen Makarounes-Nudeln. Und bei Wanderungen durch die Felsgebirgslandschaften entdeckt man Frösche und Pflanzen, die es nirgendwo anders gibt.

ANREISEN

Germania beispielsweise fliegt direkt nach Karpathos ab rund 430 Euro pro Person.

ÜBERNACHTEN

Eine besondere Unterkunft in Olympos ist Irene’s House, ein traditionelles Haus mitten im Dorf mit ebensolcher Einrichtung.

Im Hafenort Diafani bietet das Dorana Hotel eine sehr schlichte, aber preisgünstige und saubere Unterkunft nur wenige Schritte vom Meer.

www.visitgreece.gr

Sascha Rettig arbeitet als freier Journalist in Berlin. Seine Recherche wurde unterstützt von Holiday World Karpathos Travel.