Der Gau am Bau
Vervierfachte Bauzinsen stürzen Häuslebauer und Firmen in die Krise

20.04.2023 | Stand 16.09.2023, 23:22 Uhr

Rund 14 Prozent aller Bauunternehmen in Deutschland meldeten laut ifo-Institut im Februar abgesagte Aufträge. −Foto: imago

Im vergangenen Jahr haben sich die Bauzinsen in Deutschland etwa vervierfacht – von einem auf vier Prozent. Gestiegene Rohstoff- und Energiekosten verschlimmern die Krise in der Baubranche. Das stellt Häuslebauer und Firmen vor Probleme.



Bauen, das steht für Tobias fest, will er um jeden Preis. Der junge Mann aus dem Landkreis Kelheim ist in der Baubranche tätig. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin plant er über ein Jahr die eigenen vier Wände, zeichnet Skizzen, sucht eine Küche aus, holt Angebote ein. Von ihrer Mietwohnung haben die beiden die Nase voll. Dass der endgültige Preis für den Traum vom Eigenheim jedoch zum finanziellen und mentalen Härtetest wird, trifft das junge Paar wie ein Schlag. Schließlich hatte Tobias vorgesorgt. Er schloss bereits vor geraumer Zeit einen Bausparvertrag ab, erhöhte sogar dessen Summe, als sich die Beziehung der beiden festigt und das Bauvorhaben konkrete Züge annimmt.

Doch mit ebendieser Erhöhung beginnt die Finanzierungsmisere. Denn: Die Laufzeit des Bausparvertrags verlängert sich, Tobias und seine Lebensgefährtin können erst in etlichen Jahren auf die 450.000 Euro mit einem Zinssatz von 0,7 Prozent zugreifen. Sein Bankberater hatte es ihm anders erklärt, sagt Tobias. Seinen Namen will er nicht veröffentlicht wissen, dafür schildert er seine Erfahrungen, die wohl viele Bauwillige in Deutschland teilen.

Wenn Bauen zum Alptraum wird



Tobias verfolgt den Traum von den eigenen vier Wänden, immerhin hat er bereits ein Grundstück mit Bauzwang gekauft. Doch dadurch gerät er geradewegs in die Zinsspirale, die die Europäische Zentralbank (EZB) im Kampf gegen die Inflation seit einem Jahr stetig nach oben dreht. Während die Bauzinsen in Deutschland im Januar 2022 noch bei etwa einem Prozent standen, schießen sie bis November auf knapp vier Prozent in die Höhe. Tobias holt Angebote bei vier Banken ein. „Die Zinsen sind uns vor der Nase weggerannt. Wir haben auf einen Abschwung gehofft, aber dann wurde es nur dramatischer“, sagt er. Letztlich sichert sich das Paar einen Satz von 3,4 Prozent – und machen Zugeständnisse. Für andere ist die Pille noch bitterer: Sie zahlen über vier Prozent Zinsen.

Tobias und seine Freundin leihen sich nur noch 350.000 Euro, machen vieles selbst. Seither hätten sie kaum mehr Freizeit, nehmen sich Urlaub für den Bau, arbeiten am Wochenende und nach Feierabend, verschieben den Einzug. Und die finanzielle Belastung? „Die ist schon nicht ohne“, sagt Tobias nonchalant. Die Raten seien teurer geworden, die Finanzierung dauere länger – und das Eigenkapital schwinde.

Viele Bauwillige – Firmen und Privatpersonen – entscheiden sich daher gegen ihr Bauvorhaben. Im Januar diesen Jahres brachen laut statistischem Bundesamt die Baugenehmigungen für Wohnungen im Vergleich zum Vorjahresmonat um 26 Prozent ein, allein der Freistaat Bayern genehmigte mit insgesamt 76.633 im vergangenen Jahr 3711 Wohnungen weniger als 2021. Das liegt zum einen an der Zinsexplosion, zum anderen an den gestiegenen Material- und Energiepreisen. Die Baupreise für Wohngebäude stiegen von Februar 2022 bis zum Februar 2023 um über 15 Prozent. Hinzu kommen immer strengere Regeln für die Baubranche. Die Folge: Eine Stornierungswelle schwappt über Deutschland. Laut ifo-Institut meldeten im Februar 14,3 Prozent der Unternehmen abgesagte Aufträge, im Januar 13,6 Prozent.

„Einfamilienhausbau komplett weggebrochen“



Christian Rottenkolber musste diese Entwicklung am eigenen Leib erfahren. Er ist Maurermeister und gründete vor 18 Jahren seine eigene Baufirma in Oberdolling bei Ingolstadt. Er sagt: „Der klassische Einfamilienhausbau ist komplett weggebrochen.“ Für seinen kleinen Betrieb mit fünf Angestellten ist das ein herber Schlag. Viele begründen ihre Absage mit den gestiegenen Kosten, sie können es sich einfach nicht mehr leisten, sagt Rottenkolber.

Der ist eigentlich Krise gewohnt: Vor der Pandemie sei in seiner Brache Rohstoffmangel bereits ein Thema gewesen, mit Corona verschlimmerte sich die Lage wegen der erliegenden Handelswege. Mit dem Ukraine-Krieg begann die Energie-Krise, und die Inflation trieb die Preise nach oben. Doch die Banken verliehen günstiges Geld und pufferten so die Preissprünge ab. Die Nachfrage blieb erhalten – bis zur Zinserhöhung zu Jahresbeginn 2022. „Wir hatten Kunden, die haben vor drei Jahren ein Haus für 450.000 bis 500.000 Euro gebaut, heute würden 700.000 Euro für das selbe Haus nicht reichen“, sagt Rottenkolber. „Viele sagen jetzt: Ich warte ab und zahle lieber weiter Miete.“

Dabei seien seine Auftragsbücher in den vergangenen Jahren noch voll gewesen. „Wir waren verwöhnt ohne Ende, konnten uns die Aufträge aussuchen.“ 2022 habe sich die Nachfrage dann beruhigt, doch es habe noch Arbeit gegeben. Heuer hält sich Rottenkolber mit Sanierungsobjekten und Gewerbebau über Wasser. Er hat bereits Kurzarbeit beantragt. Im schlimmsten Fall müsste er einige seiner Angestellten entlassen, doch das will er vermeiden. Rottenkolber habe schon viele Talfahrten mitgemacht, „aber so wie jetzt, war es selten.“

Wie konnte es soweit kommen? Schuld sind die Preissprünge bei den Energieträgern, schreibt Dominik Müller, Sprecher der Bayerischen Landesbausparkasse LBS. Sie haben die Inflation auf „historische Höchststände“ getrieben. Und die Leitzinserhöhungen der EZB taten ihr Übriges – eine Entwicklung, die auch Kreditgebern Sorgen bereitet. Der Markt für Immobilienfinanzierungen habe stark an Dynamik verloren. Die LBS rechne mit keinem weiteren Zinsanstieg wie im vergangenen Jahr, allerdings gehen die Experten davon aus, dass die Zinsen vorerst auf dem aktuellen Niveau verharren, so Müller.

Das bringt Merten Larisch, Berater bei der Verbraucherzentrale Bayern unter anderem zur Immobilienfinanzierung, zu einer drastischen Einschätzung. Er sagt: „Zunehmend wird Bauen nur noch etwas für Reiche sein.“ Viele Menschen würden sich das in Zukunft kaum mehr leisten können. Wie Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) legt auch er nahe, dass Interessenten doch einen Umzug aufs Land erwägen sollten. Auch der Kauf von Bestandsimmobilien könnte eine Alternative zum Neubau sein. Bauwillige und Käufer mit begrenzten Mitteln müssten jedenfalls Abstriche machen.

Die Firma Haas Fertigbau im niederbayerischen Falkenberg gehört bereits seit Jahren in der Region zu den größten Unternehmen der Branche. Rund 60 Prozent ihres Umsatzes erwirtschaftet die Firma mit dem Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern. Etwa 30 Prozent dieser Sparte ist Haas im Jahr 2022 weggebrochen. „Wir haben die Zinssteigerungen schon gemerkt“, sagt Geschäftsführer Xaver Haas. Allerdings, und das ist ihm wichtig zu betonen, habe der Rückgang dazu geführt, dass sich das hohe Auftragsniveau der vergangenen Jahre etwas einpendelt.

Bernreiter will mit Förderprogrammen helfen



Außerdem habe der hohe Auftragsbestand den Rückgang zusätzlich abgefedert. Eine Stornierungswelle wie bei anderen Wettbewerbern habe es nicht gegeben, sagt Haas. Nur Investoren in größere Wohnungsobjekte hätten ihre Aufträge teilweise auf Eis gelegt. Beim Buhlen um Kunden sieht Haas beim Fertigbau einen Vorteil. Die klimafreundlichen Holzbaustoffe und die praktischen Bauteilkonstruktionen befänden sich in einem Wachstumsmarkt. Xaver Haas blickt optimistisch in die Zukunft.

Deutlich pessimistischer beurteilt dagegen die Politik die Lage in der Baubranche. Bayerns Bauminister Christian Bernreiter (CSU) sagt auf Nachfrage der Mediengruppe Bayern: „Die Lage für die bayerischen Wohnungsunternehmen und für private Bauherren ist aktuell sehr schwierig.“ Er macht neben den hohen Zinsen und den gestiegenen Materialkosten die „unzureichenden Förderprogramme des Bundes“ verantwortlich. Deshalb will Bernreiter beim Wohnungsbau selbst für Stabilität sorgen. Förderprogramme wie der „Wohnbau-Booster“ und das „Bayern-Darlehen“ sollen dabei helfen. „Wir lassen die Menschen und die Wohnungsbranche nicht alleine und unterstützen weiterhin bestmöglich“, so Bernreiter.

Tobias aus dem Landkreis Kelheim werkelt derweil weiter auf seiner Baustelle. Bereut er seine Bauentscheidung? „Ich würde es wieder so machen, aber nicht mehr so lange warten“, sagt er. Schließlich wollte er ja schon immer bauen – um jeden Preis.