Vertrauensfrage, Auflösung des Bundestages, Neuwahl - das war es dann mit der 20. Wahlperiode. Ein Überblick über Akteure, Vorschriften und Verfahrensfragen.
Dass ein Bundeskanzler im Bundestag die Vertrauensfrage nach Artikel 68 Grundgesetz stellt, ist in der Geschichte der Bundesrepublik erst fünfmal vorgekommen. Zweimal (November 2001 und Juli 2005) griff Gerhard Schröder (SPD) zu diesem Mittel. Davor stellten Willy Brandt (SPD) im September 1972, Helmut Schmidt (SPD) im Februar 1982 und Helmut Kohl (CDU) im Dezember 1982 die Vertrauensfrage.
Wie ist die Vertrauensfrage im Grundgesetz geregelt?
Das Grundgesetz regelt die Frage nur knapp. Dort heißt es in Artikel 68, Absatz 1: „Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen.“ Dieses Recht erlösche, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen anderen Kanzler wähle.
Festgelegt wird in Absatz 2 zudem, dass zwischen dem Antrag des Kanzlers und der Abstimmung im Bundestag 48 Stunden liegen müssen.
Welche Möglichkeiten für eine Vertrauensfrage gibt es?
Der Bundeskanzler kann die Vertrauensfrage allein oder aber in Verbindung mit einer konkreten Sachentscheidung stellen. Letzteres gab es bislang nur einmal: 2001 stellte die Bundesregierung den Antrag auf Entsendung deutscher Streitkräfte für den von den USA angeführten Kampf gegen den internationalen Terrorismus im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“ in Afghanistan. „In Verbindung mit der Abstimmung zum Antrag der Bundesregierung (...) stelle ich den Antrag nach Artikel 68 Abs. 1 des Grundgesetzes“, hieß es in einem weiteren Antrag von Kanzler Schröder.
Vier Jahre später verzichtete er auf eine Verknüpfung mit einer konkreten Sachfrage. Sein Antrag lautete damals: „Gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes stelle ich den Antrag, mir das Vertrauen auszusprechen. Ich beabsichtige, vor der Abstimmung am Freitag, dem 1. Juli
2005, hierzu eine Erklärung abzugeben.“ Schröder zog damals die Konsequenzen aus einer Reihe bitterer SPD-Niederlagen bei Landtagswahlen und aus dem starken Widerstand in der eigenen Partei gegen die Hartz-IV-Reformen.
In seiner Erklärung im Bundestag gab Schröder damals unumwunden zu: „Mein Antrag hat ein einziges, ganz unmissverständliches Ziel: Ich möchte dem Herrn Bundespräsidenten die Auflösung des 15. Deutschen Bundestages und die Anordnung von Neuwahlen vorschlagen können.“ Durch die schmerzlichen Wahlniederlagen sei deutlich geworden, „dass es die sichtbar gewordenen Kräfteverhältnisse ohne eine neue Legitimation durch den Souverän, das deutsche Volk, nicht erlauben, meine Politik erfolgreich fortzusetzen“.
Ist eine unechte Vertrauensfrage zulässig?
Das Pikante bei Schröder 2005 war: Seine rot-grüne Bundesregierung hatte im Bundestag eine Mehrheit. Das Vorgehen des Kanzlers zielte nicht darauf ab, sich diese bestätigen zu lassen, sondern im Gegenteil die Vertrauensfrage zu verlieren, um zu einer Neuwahl zu kommen. Diese sogenannte unechte Vertrauensfrage ist umstritten, weil sie der Intention des Grundgesetzes zuwiderläuft. Werner Schulz (Grüne) und Jelena Hoffmann (SPD) zogen deshalb vor das Bundesverfassungsgericht, weil sie sich in ihren Abgeordnetenrechten verletzt sahen.
Was sagt das Bundesverfassungsgericht?
Das Bundesverfassungsgericht hat die sehr knappen Ausführungen von Artikel 68 Grundgesetz in mehreren Urteilen inhaltlich angereichert. Nach der Auflösung des Bundestages durch den Bundespräsidenten im Januar 1983 erklärte es einen Monat später, der Kanzler solle das Verfahren nach Artikel 68 Grundgesetz nur anstrengen dürfen, wenn es politisch für ihn nicht mehr gewährleistet sei, mit den im Bundestag bestehenden Kräfteverhältnissen weiterzuregieren. „Die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag müssen seine Handlungsfähigkeit so beeinträchtigen oder lähmen, dass er eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag.“
Karlsruhe machte zugleich deutlich, dass es dem Sinn von Artikel 68 nicht gerecht würde, wenn ein Kanzler mit einer ausreichenden Mehrheit im Bundestag sich zum geeignet erscheinenden Zeitpunkt die Vertrauensfrage negativ beantworten ließe mit dem Ziel, die Auflösung des Bundestages zu betreiben. „Desgleichen rechtfertigen besondere Schwierigkeiten der in der laufenden Wahlperiode sich stellenden Aufgaben die Auflösung nicht“, heißt es in den Leitsätzen des Urteils.
In seinem Urteil vom August 2005 ging das Bundesverfassungsgericht direkt auf die unechte Vertrauensfrage ein: „Die auflösungsgerichtete Vertrauensfrage ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Handlungsfähigkeit einer parlamentarisch verankerten Bundesregierung verloren gegangen ist“, urteilten die Richter. „Handlungsfähigkeit bedeutet, dass der Bundeskanzler mit politischem Gestaltungswillen die Richtung der Politik bestimmt und hierfür auch eine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich weiß.“
Was bedeutet das für den Fall Scholz?
Nach dem Rauswurf von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und dem Rückzug der FDP aus der Ampel führt Kanzler Scholz nur noch eine rot-grüne Minderheitsregierung an. Es kann also keine Rede mehr davon sein, dass er - wie Karlsruhe es formuliert hat - „eine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich weiß“. Seine Handlungsfähigkeit ist auf diese Weise stark beeinträchtigt, er müsste sich für jeden Gesetzesbeschluss mühsam mit Stimmen aus der Opposition eine Mehrheit organisieren.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wies unmittelbar nach dem Ampel-Crash auf seine Zuständigkeit für die Auflösung des Bundestages hin. „Zu dieser Entscheidung stehe ich bereit“, sagte er. Das Grundgesetz knüpfe diese Entscheidung an Voraussetzungen. „Aber unser Land braucht stabile Mehrheiten und eine handlungsfähige Regierung. Das wird mein Prüfungsmaßstab sein.“
Wie geht es nach der Auflösung des Bundestages weiter?
Wenn er die Auflösung des Bundestages verkündet, wird Bundespräsident Steinmeier zugleich einen Termin für die Neuwahl bekanntgeben. Diese muss nach Artikel 39 Grundgesetz innerhalb von 60 Tagen stattfinden. Inzwischen gibt es eine Festlegung auf den 23. Februar kommenden Jahres. Die Bundesregierung bleibt derweil geschäftsführend im Amt - bis ein neuer Kanzler gewählt und seine Ministerinnen und Minister ernannt sind.
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