Südosteuropa
Russland will Westkurs Moldaus stoppen

16.03.2023 | Stand 16.03.2023, 5:06 Uhr

Proteste in Moldau - Bei einer Demonstration gegen die Regierung in Chisinau schwenken Menschen moldauische Flaggen. - Foto: Aurel Obreja/AP

Die frühere Sowjetrepublik Moldau sieht sich hin- und hergerissen zwischen Russland und dem Westen. Nun gibt es Berichte, Moskau plane, eine Anbindung des Landes an die EU und die Nato zu verhindern.

Als Nachbar der von Russland überfallenen Ukraine sieht sich auch die völlig verarmte Ex-Sowjetrepublik Moldau zunehmend im Visier von Moskaus Großmachtstreben. Der Kreml will nach Recherchen eines internationalen Investigativ-Netzwerks den Westkurs des in die EU strebenden Landes stoppen und seinen Einfluss in dem Nachbarland von EU-Mitglied Rumänien ausbauen.

Zwar äußert sich Moskau nicht zu solchen Plänen und wies unlängst Vorwürfe der Regierung in Chisinau zurück, einen Umsturz in dem Land zu planen. Trotzdem sind Russlands Interessen in dem Agrarland kein Geheimnis.

Ein Strategiepapier des Kremls soll detaillierte Etappen aufzeigen, wie Moskau es wieder an seine Seite ziehen wolle, berichteten unter anderem das russische Projekt Dossier.Center des Kremlgegners Michail Chodorkowski, das moldauische Enthüllungsnetzwerk Rise, die «Süddeutsche Zeitung», der Westdeutsche und der Norddeutsche Rundfunk (WDR und NDR). So sollen etwa in vielen Bereichen des Landes der russische Inlandsgeheimdienst FSB und andere Nachrichtendienste Moskaus aktiv sein.

Das Reporter-Netzwerk sieht etwa die Oppositionspartei Sor vom FSB gesteuert. Mit ihren seit Wochen laufenden Protesten gegen hohe Gas- und Strompreise versuche die Partei, die Lage im Land zu destabilisieren. Auch die vom moskaufreundlichen Ex-Präsidenten Igor Dodon gemeinsam mit dem Russen Igor Tschaika gegründete moldauisch-russische Handelsvereinigung werde wie andere Nichtregierungsorganisationen von Interessen des Kremls bestimmt.

Hohe Inflation macht den Menschen zu schaffen

Wer in diesen Tagen durch die Hauptstadt Chisinau läuft, merkt bei Gesprächen schnell, wie aufgeladen die Atmosphäre ist. Viele Menschen sind verärgert über die hohe Inflation von über 30 Prozent. Sie klagen, dass sie nicht wissen, wie sie die Rechnungen bezahlen sollen. Auf dem nackten Asphalt verkaufen viele ihr Hab und Gut. Früher, unter Dodon, gab es Gas aus Russland zu Freundschaftspreisen. Nun sind sie um das Siebenfache gestiegen. Wegen der politischen Feindschaft zwischen Chisinau und Moskau können Bauern nun nicht mehr ihre Äpfel, Pflaumen und Weintrauben nach Russland exportieren.

Der im Februar nach dem Rücktritt von Natalia Gavrilita eingesetzte neue Regierungschef Dorin Recean sagte, dass 30 bis 40 Prozent der Menschen dafür seien, dass sich die prowestliche Präsidentin Maia Sandu mit Kremlchef Wladimir Putin treffe. «Die Leute haben Angst. Und wenn sie Angst haben, dann sagen sie: Gut, der russische Bär ist zu groß für uns», schilderte Recean die Stimmung. Viele wollten eine Einigung mit Moskau über günstiges Gas und ihren Frieden. Die Angst sitzt auch deshalb tief, weil in der von Moldau abtrünnigen Region Transnistrien Russland Soldaten stationiert hat.

Opposition organisiert andauernd Proteste

Die Partei des Oppositionellen Ilan Sor fordert bei den immer wieder organisierten Protesten, dass die Regierung die Kosten für Gas, Heizung und Strom übernimmt. Dazu soll an diesem Donnerstag auch ein Gesetz ins Parlament eingebracht werden, sagte Sor. Er rief die Bürger auf, zahlreich zum Parlament zu kommen.

Nach den Recherchen des Journalisten-Netzwerks sind diese Forderungen aber nur Mittel zum Zweck, die Lage in dem Land weiter zu destabilisieren und am Ende eine Mitgliedschaft Moldaus in der EU und in der Nato zu verhindern. Auch Moskaus Außenminister Sergej Lawrow betonte unlängst, dass verhindert werden müsse, dass die USA dort, wie er sagte, nach dem Vorbild der Ukraine ein weiteres Projekt «Anti-Russland» aufzögen.

Zwar ließ die moldauische Regierung sechs russisch-sprachige TV-Kanäle schließen, trotzdem ist Russisch weiter eine verbreitete Verkehrssprache. Es gibt auch Zeitungen in russischer Sprache. Russische Medien aber verfolgen genau Besuche wie den am Mittwoch von einer US-Delegation, die Moldau Unterstützung zusicherte.

Dagegen warnen Freunde Moskaus wie Ex-Präsident Dodon vor einer Verwestlichung und einer «Rumänisierung Moldaus». In der Hauptstadt Chisinau ist der Einfluss des EU-Nachbarn stark präsent. An denkmalgeschützten Gebäuden erinnern Tafeln daran, dass die rumänische Regierung die Sanierung bezahlte. Auch die blaue EU-Flagge weht an offiziellen Gebäuden. Russland will diesen Einfluss stoppen, berichtet das Reporter-Netzwerk unter Berufung auf das Strategiepapier des Kremls.

Chodorkowski: Moskau setzt auf «Gas-Erpressung»

Das Dokument sei in der Präsidialverwaltung in Moskau 2021 von der Abteilung für grenzüberschreitende Zusammenarbeit erstellt worden. Es zeige einmal mehr die Einmischung Russlands in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, meinte der im Exil in Großbritannien lebende Chodorkowski, der einst reichster Mann Russlands war. Hauptinstrument für die Destabilisierung der Lage in Moldau sei die «Gas-Erpressung».

«Das Dokument stammt offenbar von denselben Kreml-Experten, die zur gleichen Zeit ein Papier entworfen haben, in dem es um eine schleichende Einverleibung von Belarus durch Moskau geht», berichtete die «Süddeutsche Zeitung». Im Februar hatte das Enthüllungs-Netzwerk über solche angeblichen Pläne berichtet. Anders als Moldau ist Belarus von Russland wirtschaftlich und finanziell komplett abhängig.

«Moskaus Plan für Moldau zielt diesmal jedoch weniger auf eine Integration des Landes in einen russisch dominierten Unionsstaat», schrieb die «Süddeutsche Zeitung». Ziel sei «Schaffung eines Vasallenstaates, der sich dem Willen Moskaus unterordnet.» Russland will demnach Moldau in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) halten, die aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion hervorgegangen ist. Auch eine Einbindung in die ebenfalls von Moskau gesteuerte Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit und in die Eurasische Wirtschaftsunion sei geplant.

© dpa-infocom, dpa:230315-99-967039/2