„Zeichen tiefer Polarisierung“
Mit Video: Eichstätter Politikwissenschaftler Stüwe zur Debatte über Biden und Trump

09.07.2024 |

Die amerikanische Verfassung in der Hand: Politikwissenschaftler Klaus Stüwe. Foto: Schneider

Seit seinem fahrigen und wirren Auftritt im Fernsehduell mit Donald Trump Ende Juni hat die Diskussion um die erneute Kandidatur von Joe Biden als Präsident der USA deutlich an Fahrt gewonnen.

Politikwissenschaftler Klaus Stüwe, Vizepräsident der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, gilt als ausgewiesener Experte der US-amerikanischen Politik. Im Interview ordnet der 58-Jährige die Vorgänge ein.



Herr Professor Stüwe, das TV-Duell zwischen Joe Biden und Donald Trump hat nachhaltige Diskussionen ausgelöst, die bis heute anhalten. Wie bewerten Sie diese Diskussion, auch aus europäischer Sicht?
Klaus Stüwe: Der Präsident hat eine katastrophale Vorstellung gegeben. Es ist nicht gelungen, das zu kaschieren, was in den letzten Monaten vielen Insidern schon offensichtlich war, nämlich Bidens offensichtliche Schwächen. Das Thema seines Alters wird die nächsten Tage, – und wenn Biden nicht aufgeben sollte, die nächsten Wochen – beherrschen. Das hat auch Auswirkungen auf deutsch-amerikanische und europäische-amerikanische Beziehungen.

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Ein Kritikpunkt: Ist Joe Biden mit 81 Jahren noch in der Lage, Präsident dieser Nation zu sein?
Stüwe: Das Alter an sich ist jetzt nicht das Thema. Es gibt viele fitte 81-Jährige. Die Frage ist, ob er mit den offensichtlichen Schwächen noch in der Lage ist, wirklich volle vier Jahre das Präsidentenamt auszuüben.

Er selbst hat gesagt, nur der liebe Gott kann ihn zum Rückzug bewegen.
Stüwe: Ich kann das nur als Realitätsverlust werten. Ich kann nicht glauben, dass er nicht selbst merkt, dass er diese Schwächen hat. Er ist ein Präsident, der kaum noch Pressekonferenzen gibt. Das ist ein Indiz dafür, dass er sich dessen sehr wohl bewusst ist. Er meidet inzwischen die Öffentlichkeit.

Nach der Entscheidung des Supreme Court, dass Amtshandlungen während der Präsidentschaft unter die Immunität fallen, sehen viele Kommentatoren die Demokratie in den USA in Gefahr.
Stüwe: Ich war nicht überrascht von diesem Urteil des Supreme Courts. US-Präsidenten genießen grundsätzlich für die während der Ausübung ihres Amtes vorgenommenen Handlungen Immunität. Das gilt übrigens auch bei uns. Unsere Bundestagsabgeordneten haben auch Immunität, oder der Bundespräsident. Das ist nichts Außergewöhnliches. Die Frage ist, was sind Akte des Präsidenten? Die Abwägung, wann er als Privatperson handelt, oder als Kandidat, der gerne die Wahl gewinnen möchte, oder Fake News verbreitet, oder als Präsident. Diese Abgrenzung zu treffen, das ist die Herausforderung. Wenn das falsch entschieden wird, dann ist die Präsidentschaft und die Demokratie insgesamt in Gefahr.

Trump ist der erste straffälliggewordene Präsidentschaftskandidat, der jetzt in den USA antritt. Hat das Auswirkungen auf das Wahlvolk?
Stüwe: Anscheinend nicht. Viele Leute schauen darüber hinweg. Das ist ein Zeichen dieser tiefen Polarisierung, die das Land durchzieht. Man nimmt selbst einen verurteilten Straftäter in Kauf. Man nimmt einen Kandidaten in Kauf, der in seiner persönlichen Lebensführung überhaupt nicht überzeugend ist, nur um eine konservative Linie auf Bundesebene wieder ins Weiße Haus einziehen zu lassen.

Sie haben bei der ersten Wahl Trumps gesagt, er wünscht sich Amerika, dass es zu alter Stärke zurückfindet. Ist das in den letzten Jahren eingetroffen?
Stüwe: Aus der Sicht der Trump-Anhänger natürlich nicht. Sie sehen Biden als einen der schwächsten Präsidenten an, der auch dem Ansehen der USA international geschadet habe. Aber man muss sich fragen, was heißt alte Stärke? Das hat eine psychologische Seite, die Trump sehr gut bedient, indem er „Make America Great Again“ zum Slogan macht. Die politische Realität in der Welt des 21. Jahrhunderts sieht jedoch anders aus, sie ist multipolarer. Es gibt einen großen Herausforderer mit China. Wir haben ein Wiederaufleben des Kalten Krieges mit dem großen Rivalen Putin. Es gibt Kriege, die Amerika alleine nicht mehr beherrschen kann.

Sie haben vorhin die Polarisierung angesprochen. Das ist ja auch ein Phänomen, das wir in Deutschland erleben.
Stüwe: Manche sagen, dass die USA uns immer ein paar Jahre voraus sind. In der Tat, diese Konfliktlinie zwischen solchen, die eher konservativ, orientiert an traditionellen Werten und nationalen Mustern sind, und anderen, die stärker kosmopolitisch, liberal, grün denken, die tut sich auch in anderen Ländern auf. Nicht nur in den USA, sondern in allen etablierten Demokratien weltweit.

Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht Vertrauen und Verlässlichkeit in diesem Wahlkampf?
Stüwe: Wenig. Da sind die US-Amerikaner ganz nüchtern. Seit etwa 20 Jahren beobachten wir in Umfragen, dass das Vertrauen in die Bundesregierung katastrophal zurückgeht, extrem niedrig ist. Nur 20, 22 Prozent der Amerikaner trauen den Regierenden in Washington noch. Das ist keine Kategorie für Wahlentscheidungen. Am Ende, glaube ich, sagen die meisten, sie müssen sich für das geringere Übel entscheiden.

Zurück zu Joe Biden. Glauben Sie, dass er sich möglicherweise doch besinnt und zurückzieht?
Stüwe: Ich bin kein Prophet, aber es stehen sehr viele Zeichen in Richtung Rücktritt von der Kandidatur. Ich könnte mir vorstellen, dass einige Vertraute Biden nahelegen, als Kandidat zurückzutreten. Es wird wahrscheinlich auch Druck von seinen Parteifreunden im Kongress kommen, der gerade in dieser Woche erneut in eine Sitzungsperiode eingetreten ist. Wird er das alles ignorieren und dennoch an seiner Kandidatur festhalten oder werden wir demnächst einen anderen Kandidaten – oder eine Kandidatin – für die Demokratische Partei sehen? Ich bin selbst gespannt.

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