Vorverurteilung
„Letzte Generation“ eine kriminelle Vereinigung? Behörde räumt Fehler ein

24.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:35 Uhr

Diese Hinweistafel des Bayerischen Landeskriminalamtes und der Münchner Generalstaatsanwaltschaft hat im Netz für viel Wirbel gesorgt. Mittlerweile wurde die Formulierung korrigiert. −Foto: Screenshot Twitter/@stephanpalagan

Die bundesweite Razzia gegen Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“ hat auch die Internetseite der Gruppe betroffen. Sie wurde beschlagnahmt, die Gruppe als kriminelle Vereinigung bezeichnet. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat Medienberichten zufolge zurückgerudert.





Frühmorgens stürmen Dutzende Polizisten Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern. Ziel der Razzia: Beweise sichern für eine Strafverfolgung der Klimaschutzgruppe Letzte Generation. Gesucht wird nach Mitgliederlisten und Spendengeldern in Millionenhöhe.

Verantwortlich für die Aktion ist die Generalstaatsanwaltschaft München. Sie geht dem Verdacht nach, dass die „Klimakleber“, die mit ihrem Protest quasi täglich den Straßenverkehr stören, eine kriminelle Vereinigung bilden.

Diesen Verdacht tragen die Ermittler auch im Internet offensiv nach außen. Zu offensiv. Die Beschlagnahmung der Homepage der „Letzten Generation“ hat das Bayerische Landeskriminalamt (BLKA) auf Geheiß der Münchner Generalstaatsanwaltschaft mit dem Hinweis versehen, dass die Gruppe „eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB“ darstelle. Auch Spenden an die „Letzte Generation“ ordnete die Behörde als „strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung“ ein.



Vorverurteilung? Behörde rudert zurück



Im Netz haben diese Formulierungen für viel Wirbel gesorgt. „Wenn diese Veröffentlichung keine Konsequenzen für die Verantwortlichen in Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt hat, können wir den Rechtsstaat zu Grabe tragen“, heißt es von einem Twitter-Nutzer. Außerdem war von Vorverurteilungen der Aktivisten die Rede.

Tatsächlich ist die Hinweistafel, die zwischenzeitlich unter der mittlerweile gesperrten Domain letztegeneration.de aufrufbar war, wieder entfernt worden. Außerdem haben sowohl das BLKA als auch die Generalstaatsanwaltschaft München auf Anfrage mehrerer Medien eingeräumt, dass die oben genannte Formulierung „unzutreffend“ sei. Bislang sei lediglich „ein Anfangsverdacht gegeben, dass es sich bei der ‘Letzten Generation‘ um eine kriminelle Vereinigung handeln könnte“, heißt es bei tagesschau.de. Ob die „Letzte Generation“ tatsächlich eine kriminelle Vereinigung darstellt, ist gerichtlich bislang nicht geklärt.



Vorwürfe stichhaltig? Experten skeptisch



Der Polizeieinsatz wirft Fragen auf - vor allem, ob sich der Vorwurf, die Aktivisten gehörten einer kriminellen Vereinigung an, stichhaltig begründen lässt. Eher nicht, meinen viele Experten. Denn nur, wenn man die erklärten klimapolitischen Motive der Gruppe als vorgeschoben abtue, könnte man ihre illegalen Handlungen - wie etwa Nötigung - zum eigentlichen Hauptzweck der Gruppierung umdeuten. „Dafür sehe ich keine Anhaltspunkte“, schreibt dazu etwa der Protestforscher Dieter Rucht im Tagesspiegel. Die Strafrechtsexpertin Inga Schuchmann von der Humboldt-Universität gibt in dem Blatt zu bedenken, die Verhältnismäßigkeit müsse gewahrt sein: Die Straßenblockaden seien wohl für manche lästig, aber keine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

− mit dpa/Torsten Holtz