Interview
Kernfusionsexperte sieht auf AKW-Standorten ideale Bedingungen für Kernfusionskraftwerke

04.01.2023 | Stand 17.09.2023, 6:15 Uhr |

Hartmut Zohm ist Leiter der Tokamak-Szenario-Entwicklung am Max-Planck-Institut. −Foto: Silke Winkler, IPP

Hartmut Zohm, Leiter des Bereichs Tokamak-Szenario-Entwicklung am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in München fordert von der Politik eine langfristige Planung, die den Atomausstieg mit dem Einstieg in die Kernfusion verbindet

Die FDP will nach Erfolgen in den USA mehr Geld für die Kernfusionsforschung. Reicht mehr Geld allein aus?
Hartmut Zohm: Mehr staatliches Geld hilft, aber wir müssen auch unseren Ansatz überdenken. Im Moment ist es so, dass wir sequentiell vorangehen. Wir machen einen Schritt und setzen darauf den nächsten auf. Wenn man schneller vorwärtskommen möchte, müsste man viel mutiger sein. Nehmen Sie das Manhattan-Project zur Entwicklung der Atombombe oder das Apollo-Programm für die Reise zum Mond. Da wurden mehrere Ansätze gleichzeitig verfolgt und einer hat sich dann als zielführend herausgestellt. Das kostet natürlich immens viel Geld, führt aber schneller zum Ziel. Das kann man mit Steuergeld nicht machen. Mit Industrie-Geld geht das eher. In den USA gibt es Ansätze in dieser Richtung. Die Amerikaner wollen schneller einen kommerziellen Fusionsreaktor bauen. Es ist ein Wettlauf.

Wo steht Europa?
Zohm: In Europa soll der Forschungsreaktor ITER in Frankreich bis Ende des Jahrzehnts laufen. In der zweiten Hälfte der 30er-Jahre könnte mit dem Bau erster Reaktoren begonnen werden. Aber nur wenn man sich dafür entscheidet, Forschung und erste Nutzung parallel zu entwickeln. Wenn wir warten, bis alles erforscht ist und wir also bei den bisherigen Plänen bleiben, stehen die ersten kommerziellen Reaktoren erst in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts.

Fließen die neuen Ergebnisse aus den USA, nun bei ITER mit ein?
Zohm: Nein, denn das Prinzip der US-Kollegen ist ein völlig anderes. Bei dieser Form der Fusion mittels Lasertechnologie zündet man nacheinander immer wieder eine miniaturisierte Explosion, so dass man im Mittel Energie freisetzt. Bei der Magnetfusion, die in Europa, auch bei uns in Garching und später bei ITER angewandt wird, schließt man ein Fusionsplasma ein, das kontinuierlich brennt. Die Temperatur bei beiden Varianten ist unfassbar hoch, höher als im Inneren der Sonne. Aber die Zahl der Teilchen, die gebraucht werden, sind völlig unterschiedlich.

Wird es kommerzielle Kernfusion geben, die verschiedenen technischen Prinzipien folgt?
Zohm: Ja, so wird es sein. Die Fusion mit magnetischem Einschluss bei ITER ist aber noch immer ein ganzes Stück weiter. Wir haben in Europa ja von Anfang an eine kommerzielle Nutzung geplant. In den USA wird militärische Forschung betrieben. Dort wird simuliert, was in einer Wasserstoffbombe passiert. Um das technologisch zu einer friedlichen Energiequelle umzubauen, muss man noch viel Entwicklungsarbeit leisten.
Eine Lösung kommt. Die Frage ist nur wann?
Zohm: Ja, das ist so. Es kann technisch umgesetzt werden. Das ist sicher. Das Problem ist, es so unter Kontrolle zu bringen, so dass es 365 Tage im Jahr vor sich hinläuft.

Wenn wir nicht investieren, machen den Reibach dann andere?
Zohm: Ja, Europa muss am Ball bleiben. Die USA und China setzen hier enorme Ressourcen ein. Jeder will der Erste sein. In den USA will man das fortwährende Brennen schon Ende des Jahrzehnts hinkriegen. Das schaffen wir in Europa nicht.

Grüne und SPD sagen, sie wollen lieber Geld für Erneuerbare ausgeben. Was kostet diese Haltung?
Zohm: Das Energieproblem geht nicht weg. Nicht in Deutschland und vor allem nicht weltweit. Wir brauchen eine Komplementärenergie zu den Erneuerbaren. Wind und Sonne werden weltweit nicht die Energieprobleme lösen können. Wir müssen ein Backup vorhalten. Dazu dient die Kernspaltung oder die Kernfusion. Die Spaltung haben wir in Deutschland abgeschafft. Wenn wir nun nicht in Kernfusion investieren, koppeln wir uns auch von dieser Energiequelle ab. Andere werden uns dann überholen. Dann wird der Punkt kommen, dass wir Fusionsstrom oder Fusionskraftwerke von anderswo her kaufen müssen. Es ist der Baustein, der im Energiemix der Zukunft fehlt.
Radioaktivität wird auch bei der Fusion frei. Was unterscheidet sie von der Kernspaltung?
Zohm: Es wird in der Tat Radioaktivität frei. Aber der Brennstoff Tritium hat eine viel kürzere Halbwertszeit. Nach gut hundert Jahren ist nichts mehr davon da. Ähnlich verhält es sich mit der Reaktorhülle. Wir müssen also kein Endlagerproblem lösen. Wir können die Abbauprodukte auf dem Gelände der Reaktoren lagern und warten.

Wie viele solcher Reaktoren würde man eigentlich benötigen?
Zohm: Ein Kraftwerk wird etwa ein Gigawatt erzeugen. Das entspricht etwa einem Block eines Kernkraftwerks oder eines großen Kohlekraftwerks. Die Zahl der Fusionskraftwerke würde dann ungefähr der Zahl der abgeschalteten und noch im Betrieb befindlichen Kernkraftwerke entsprechen müssen. Von zehn bis 15 gehe ich in Deutschland aus.

Auch Fusionskraftwerke betreiben Generatoren. Auch Kühlung wird also eine Rolle spielen. Was heißt das für die Standorte?
Zohm: Fusionskraftwerke können dort entstehen, wo heute große Kohle- oder Kernkraftwerke stehen. Es wäre also nicht schlau, die Kernkraftwerke zur grünen Wiese zurückzubauen. Wir müssen dann von vorn anfangen. Die Lage an Flüssen ist sinnvoll und nötig, man käme also nach der Prüfung der Standorte zum Ergebnis, dass sie an den bisherigen Standorten der Kernkraftwerke entstehen müssten. Das sollte schon in der Planung berücksichtigt werden. Die Kernkraftwerksstandorte einfach aufzugeben, wäre kurzsichtig.

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