Nach dem Bruch der Ampel-Koalition wird weiter über den Zeitpunkt von Neuwahlen debattiert. Die eine wollen möglichst schnell wählen, die anderen hinauszögern. Dabei sind es nicht nur Gespräche, die sich gegenseitig angeboten werden, sondern auch teils kuriose Argumente.
Die SPD bot der Union Gespräche über eine frühere Vertrauensfrage durch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an, Verkehrsminister Volker Wissing warnte unterdessen davor, die Frage des Wahltermins zu einem Politikum zu machen. Die Wahlleiter von Bund und Ländern treffen sich einem Bericht zufolge am Montag zu Beratungen über die möglichen Neuwahlen.
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch sagte der „Süddeutschen Zeitung“ vom Samstag, Scholz habe „angeboten, dass wir uns konkret mit der Union darüber verständigen, welche wichtigen Projekte wir im Bundestag noch gemeinsam voranbringen – wie Kindergeld, Pflegeversicherung und das Deutschlandticket“. Er fügte an: „Wenn diese konstruktive Zusammenarbeit gesichert ist, können wir gern über den Zeitpunkt der Vertrauensfrage und der Neuwahlen sprechen.“
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Miersch forderte die Union insbesondere auf, mit SPD und Grünen das Rentenpaket zur Stabilisierung des Niveaus der Altersbezüge zu verabschieden. Auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will trotz des Bruchs der Ampel-Koalition weiter für seine Rentenpläne werben: „Wir sollten auch noch in dieser Legislaturperiode dafür sorgen, dass sich alle Generationen auf stabile Renten verlassen können“, sagte er der „Stuttgarter Zeitung“ und den „Stuttgarter Nachrichten“.
Zeitpunkt der Vertrauensfrage wird diskutiert
Unions-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) sagte allerdings der „Welt am Sonntag“ in Reaktion auf Miersch & Co., der SPD-Generalsekretär müsse „endlich die Wirklichkeit anerkennen“. Die Bundesregierung habe ihre Mehrheit verloren und es liege „nicht mehr an Rot-Grün, dem Parlament Bedingungen zu diktieren“. Es sei nun „höchste Zeit“, dass Scholz die Vertrauensfrage stelle, „anschließend können die anstehenden Gesetzesvorhaben unverzüglich weiter beraten und beschlossen werden“.
Nach dem Bruch der Ampel-Koalition hatte Scholz angekündigt, er wolle die Vertrauensfrage am 15. Januar stellen, um Wahlen „spätestens bis Ende März“ möglich zu machen. Davor will er bis Weihnachten in einer rot-grünen Minderheitsregierung noch mehrere ihm wichtige Gesetzesvorhaben durch das Parlament bringen.
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SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese schlug da eine andere Richtung ein: „Niemand da draußen möchte, dass an Heiligabend oder am ersten Weihnachtsfeiertag jemand an seiner Haustür klingelt und Wahlkampf macht.“ Das vermeldet die Bild. In eine ähnliche Richtung äußerte sich Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt. Er postete im sozialen Netzwerk X: „Wie würde wohl die Umfrage ‚Wollen Sie künftig jedes vierte Jahr zu Weihnachten einen Bundestagswahlkampf haben?‘ ausfallen?“
Ihnen wurde von X-Usern aber schnell der Wind aus den Segeln genommen. So zitierte etwa User Martin aus dem Grundgesetz: „Neuwahlen finden frühestens 46, spätestens 48 Monate nach Beginn der Wahlperiode statt.Wenn wir also im Januar 2025 wählen, kann danach locker schon im November 2028 erneut gewählt werden. Und dann im September 2032. Merken Sie was?“
Auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) reagierte auf X. „Es ist absolut beschämend, was für ein Demagoge der Kanzleramtschef hier ist. Entweder will er die Wähler absichtlich für dumm verkaufen oder er zeigt eine Unkenntnis des Grundgesetzes, die es in seiner Position nicht geben darf.“
Anna-Lena Baerbock ebenfalls skeptisch
Ebenfalls skeptisch bei frühen Neuwahlen ist Außenministerin Annalena Baerbock (43, Grüne). Sie argumentierte im ARD-„Morgenmagazin“, Deutschland brauche einen „geordneten Übergang“, denn „Ordnung“ sei „das Wichtigste in diesen unsicheren Zeiten“.
Die Bild dazu: „Das klang, als sei die Reste-Ampel für Baerbock ein Hort der Stabilität. In den kommenden drei Monaten sei in der größten Volkswirtschaft USA noch kein neuer Präsident im Amt und Deutschland als drittgrößter Volkswirtschaft komme eine zentrale Verantwortung in Europa zu. Warum in diesem Zeitraum kein Wahlkampf durchgeführt werden kann, begründete sie nicht.“
Merz fordert schnellstmögliche Neuwahlen
Unions-Kanzlerkandidat und CDU-Chef Friedrich Merz sprach sich hingegen für schnellstmögliche Neuwahlen am 19. Januar aus. Er schreibt in seiner neuen „MerzMail“: „Wenn sich der Bundeskanzler noch einen Rest von Respekt vor den Institutionen unseres Staates bewahrt hat, dann stellt er in dieser Woche nach seiner Regierungserklärung am Mittwoch die Vertrauensfrage. Alles andere ist eine weitere, inakzeptable Beschädigung des Amtes.“
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Scholz selbst erklärte sich dann zu Gesprächen bereit. „Über den Termin sollten wir möglichst unaufgeregt diskutieren“, sagte Scholz nach dem EU-Gipfel in Budapest. Eine Einigung der Fraktionen im Bundestag zu vor der Wahl noch nötigen Gesetzesvorhaben könne auch die Frage beantworten, „welcher Zeitpunkt dann der richtige ist, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen“.
Bundeswahlleiterin bangt um Papier
Gegen schnelle Neuwahlen gibt es nicht zuletzt Bedenken seitens der Bundeswahlleiterin Ruth Brand, die vor „unabwägbaren Risiken auf allen Ebenen“ bei einem zu kurzfristigen Wahltermin und der Vorbereitung während der Weihnachtstage und der Zeit zwischen den Jahren warnt. In der „Tagesschau“ sorgte sie mit der Behauptung, es sei „eine große Herausforderung in der heutigen Zeit, das Papier zu beschaffen und die Druckaufträge durchzuführen“, für Aufregung.
Inzwischen hat die Papierindustrie gegenüber dem ZDF bekräftigt, dass es keinen Papiermangel gibt. „Bei rechtzeitiger Bestellung können wir das benötigte Papier für eine vorgezogene Bundestagswahl liefern“, antwortete Alexander von Reibnitz, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Papierfabriken.
Wahlleiter treffen sich am Montag
Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zufolge will sich Brand am Montag mit den Landeswahlleitern zu Beratungen über den Umgang mit Neuwahlen treffen und dabei über die erforderlichen Schritte austauschen. Zu den Vorbereitungen gehören unter anderem die Suche von Räumen für Wahllokale und Briefwahllokale, die Suche nach Wahlhelferinnen und Wahlhelfern sowie die Erstellung und der Druck der Wahlunterlagen. All das fiele bei einem Wahltermin bereits im Januar auch in die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel.
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Verkehrsminister Wissing, der nach dem Aus der Ampel-Koalition im Amt bleibt und dafür die FDP verlässt, kritisierte die Debatte um schnellstmögliche Neuwahlen. „Wir sollten jetzt nicht im Wechselspiel zwischen Opposition und Regierung die Frage des Wahltermins zu einem Politikum machen“, sagte Wissing in der ARD. Es sei „für die Bürgerinnen und Bürger viel wichtiger, dass die Gesetze, die jetzt verabschiedet werden müssen, auch bei den nicht klaren Mehrheitsverhältnissen im Parlament, sachlich entschieden werden“.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr signalisierte in der „Augsburger Allgemeinen“ die Bereitschaft der Fraktion zur Zusammenarbeit mit der Regierung trotz des Koalitionsbruchs. „Überall da, wo wir Gutes fürs Land und für die Menschen bewirken können, sind wir gesprächsbereit und wollen handeln“, sagte er der Zeitung. Konkrete Beispiele wollte er nicht nennen.
Im Gegenzug forderte auch Dürr eine rasche Vertrauensfrage, diese müsse der Kanzler „so schnell wie möglich“ stellen. „Die FDP ist auf schnelle Neuwahlen eingestellt.“
− nb/afp/dpa
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