PNP-Interview
Wirtschaftsweiser Truger zu Mindestlohn: "Ich halte den Vorwurf des ‚Staatslohns‘ für überzogen"

24.02.2022 | Stand 20.09.2023, 23:00 Uhr

Prof. Achim Truger. −Foto: dpa



Der Wirtschaftsweise Prof. Achim Truger hält die Mindestlohnerhöhung für "nachvollziehbar", die Kritik der Arbeitgeber daran aber für zu weitgehend.


Das Kabinett hat heute eine Mindestlohnerhöhung auf zwölf Euro beschlossen. Ist die Kritik berechtigt, dass damit ein "Staatslohn" fixiert wird, mit dem in die Arbeit der zuständigen Kommission eingegriffen wird?
Prof. Achim Truger: Ich kann verstehen, dass die Arbeitgeber von dem Schritt nicht begeistert sind, halte den Vorwurf des "Staatslohns" aber für überzogen. Der Gesetzgeber kann und muss für eine existenzsichernde Lohnuntergrenze sorgen. Dafür reichten die bisherigen Schritte, auf die sich die Mindestlohnkommission einigen konnte, nicht aus. Wenn der Staat das nun einmalig korrigiert, finde ich das nachvollziehbar und nicht für eine Skandalisierung geeignet.

Wie ist dieser Schritt sozial- und konjunkturpolitisch zu bewerten?
Truger: Die Anhebung des Mindestlohns wird für über sechs Millionen Beschäftigte die Löhne spürbar verbessern. Das ist ein Sechstel aller Beschäftigten, in Ostdeutschland sogar mehr als ein Fünftel. Dadurch wird sich die Ungleichheit der Markteinkommen spürbar verringern, auch die verfügbaren Einkommen im unteren Einkommensbereich dürften deutlich steigen. Das kann insgesamt einen leicht positiven Konjunkturimpuls geben. Wichtig ist mir aber vor allem, dass nicht mit nennenswerten negativen Beschäftigungseffekten zu rechnen ist. Nach den positiven Erfahrungen mit dem Mindestlohn bisher hat sich die Debatte diesbezüglich zu recht total gedreht, und die meisten Unkenrufe sind verhallt.

Der höhere Mindestlohn ist auch geeignet, um die Folgen der Teuerung abzudämpfen. Mit welchen Instrumenten sollte die Politik darüber hinaus dem massiven Preisauftrieb im Interesse der Verbraucher entgegentreten?
Truger: Da der Mindestlohn die Lohnkosten erhöht, wird er voraussichtlich die Inflation sogar etwas erhöhen. Allerdings dürfte der Effekt mit vielleicht 0,2 Prozentpunkten nur sehr gering sein. Gleichzeitig werden die etwas höheren Einkommen die Haushalte im unteren Verdienstbereich etwas entlasten. Das reicht aber nicht, um den massiven Anstieg der Energiepreise auszugleichen. Da ist die Politik gefordert. Heizkostenzuschüsse, die Neuregelung der Heizkostenaufteilung zwischen Vermietern und Mietern sowie die vorzeitige Abschaffung der EEG-Umlage werden ja bereits vorbereitet. Darüber hinaus wären aber auch pauschale Transfers, etwa als Steuererstattung oder Kinderbonus, befristete Absenkungen der Stromsteuer oder der Mehrwertsteuer auf Energie bis hin zu einem Gaspreisdeckel möglich. Die Politik muss am Ende ein möglichst zielgenaues, verteilungspolitisch ausgewogenes und ökologisch nicht kontraproduktives Paket schnüren.

Ist die Zuspitzung des Konfliktes mit Russland um die Ukraine geeignet, den ohnehin verzögerten Wirtschaftsaufschwung aus der Corona-Krise zu brechen?
Truger: Die Aussichten für eine kräftige Erholung im Frühjahr und Sommer sind gut. Die Corona-Welle sollte abklingen, die Auftragsbücher der Unternehmen sind gefüllt und die Materialengpässe sollten auslaufen. Die Zuspitzung des Konflikts kann natürlich über Sanktionen und Gegenmaßnahmen zu einer Belastung der Konjunktur führen. Allerdings ist die russische Wirtschaft für die deutsche und europäische Wirtschaft nicht von besonders großer Bedeutung, so dass die Effekte begrenzt sein und das Konjunkturbild nicht gravierend verändern dürften, solange der Konflikt nicht unkontrolliert eskaliert. Allerdings stellt der Anstieg des Ölpreises und vor allem des Gaspreises ein Risiko für die Inflationsentwicklung dar.