Palästinenserpräsident zu Gast
Holocaust-Eklat im Kanzleramt - Scholz lässt Entgleisung unwidersprochen

16.08.2022 | Stand 22.09.2023, 6:46 Uhr

Mahmoud Abbas hat Israel „50 Holocausts“ in Palästina vorgeworfen. −F.: Schlüter, afp

Von Thomas Vitzthum

Der Präsident der palästinensischen Autonomie-Behörde Mahmoud Abbas sorgte bei seinem Besuch in Berlin für eine doppelte Entgleisung.



Olaf Scholz war kaum dem Flugzeug aus Stockholm entstiegen, da stand in Berlin der Besuch des Präsidenten der palästinensischen Autonomie-Behörde Mahmoud Abbas auf dem Programm. Einen solch schwierigen Gast zu empfangen, wenn man selbst noch mit dem Kopf womöglich ganz woanders ist, hat sich für den Bundeskanzler jedenfalls am gestrigen Dienstag gerächt.

Denn Abbas hat eine ganz eigene Agenda nach Berlin mitgebracht. Und er hat dafür gesorgt, seinen Gastgeber richtig schlecht dastehen zu lassen. Abbas sorgte auf offener Bühne, vor laufenden Kameras für einen veritablen Holocaust-Eklat im Kanzleramt – und Scholz konnte noch nicht einmal darauf reagieren.

Holocaust-Eklat: Was war passiert?

Nach einem zwanzigminütigen Vier-Augen-Gespräch und einer weiteren halben Stunde mit Vertretern der Delegationen Deutschlands und der Autonomiebehörde traten Abbas und Scholz vor die Presse. Scholz wirkte sichtlich müde. Sein Eingangsstatement fiel knappst aus, bis auf ein paar Plattitüden zum Nahost-Konflikt sagte er nicht viel. Deutschland halte an der Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israelis und Palästinensern als Ziel fest, das war der Kern seiner Ausführungen.

Dann kam Abbas. Er hielt mehrere Seiten eng beschriebenen Texts in der Hand, die er alle vorlas. Scholz wirkte zusehends unruhiger und genervter. Er wechselte ständig das Spielbein und blickte seinen Regierungssprecher Steffen Hebestreit an, als wollte er ihn bitten, den Monolog zu beenden.

Doch das wäre einem diplomatischen Eklat gleichgekommen. Für den sorgte Abbas dann aber selbst. Und zwar gleich zwei Mal. Er redete sich in Rage und beschuldigte Israel der „Schaffung eines Apartheid-Regimes, das nicht im Dienste unserer Bevölkerung ist“. Niemand auf der Welt akzeptiere ein Apartheid-System. „Warum verurteilen das die Staaten der EU nicht?“, fragte Abbas mit lauter Stimme.

„Mache mir das Wort Apartheid nicht zu eigen“

Es war offensichtlich, dass Scholz hier gerne schon dazwischen gegangen wäre. Doch das erlauben die Gepflogenheiten nicht. Scholz musste warten. Die erste Frage aber ging wieder nicht an ihn. Was Scholz intern gesagt habe, fragte eine Journalistin einer palästinensischen Nachrichtenagentur Abbas. Der nahm den Ball gern auf und tat so, als habe Scholz den Bau von Siedlungen durch Israel scharf verurteilt. Als Scholz an der Reihe war, betonte er nur, dass man „kritisch“ gegenüber dem Siedlungsbau sei und sagte dann: „Ich mache mir das Wort Apartheid nicht zu eigen und halte es nicht für richtig zur Beschreibung der Situation.“

Doch es sollte noch krasser kommen. Als ein deutscher Journalist Abbas fragte, ob er erwäge, sich im Namen des palästinensischen Volkes für das Attentat bei den Olympischen Spielen in München 1972 zu entschuldigen, platzte ihm der Kragen. Israel habe seit 1947 mehr als 50 Massaker begangen, sagte er. Und dann nutzte er das Wort, das Scholz sofort auf den Plan hätte rufen müssen: „Das sind 50 Holocausts.“ Die Relativierung des Holocaust in Gegenwart des deutschen Kanzlers als Gastgeber ist wohl der größte Fauxpas, den ein Gast begehen kann.

Scholz lässt Holocaust-Relativierung unkommentiert

Doch es kam nicht zur Zurückweisung dieses Vergleichs durch Scholz. Der Regierungssprecher beendete nach Abbas‘ Worten die Pressekonferenz. Scholz schritt zögerlich davon, ließ den Gast gar einige Meter hinter sich. Auch das ein diplomatischer Eklat. Aber darauf kam es nun auch nicht mehr an. Umstehende hörten, wie Scholz sich bei Hebestreit beschwerte, ihm keine Gelegenheit gegeben zu haben, sich noch zu äußern. Er hätte freilich einfach stehenbleiben können. Er ist der Kanzler. So blieb Abbas‘ unsäglicher Vergleich unwidersprochen.