Strafen für Raser zu mild?
Zahl illegaler Autorennen in Bayern steigt: Experte fordert lebenslangen Führerscheinentzug

23.11.2024 | Stand 26.11.2024, 7:59 Uhr |

Junge Männer in PS-starken Boliden. Sie rasen über Autobahnen, überfahren rote Ampeln oder liefern sich riskante Überholmanöver. Es gibt immer mehr Fälle von illegalen Straßenrennen. − Symbolbild: Uwe Anspach, dpa

Junge Männer in PS-starken Boliden. Sie rasen über Autobahnen, überfahren rote Ampeln oder liefern sich riskante Überholmanöver. Gibt es einen gefährlichen Trend zu immer mehr illegalen Autorennen? Eine Nachfrage bei der Polizei und einem Verkehrsexperten.

  

Ein schrecklicher Verkehrsunfall erschütterte Anfang Juli 2024 Niederbayern: Eine 22-jährige Motorradfahrerin stieß in einer Kurve bei Eggenfelden (Landkreis Rottal-Inn) mit einem Auto zusammen und starb. Ein Ermittlungsrichter erließ kurze Zeit später Haftbefehl gegen zwei 19-jährige Autofahrer. Dringender Tatverdacht: Teilnahme an einem verbotenen Autorennen.

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Einer der beiden jungen Männer soll in einer langgezogenen Kurve mit seinem BMW zum Überholen in den Gegenverkehr ausgeschert sein. Dort sei der Wagen frontal mit dem entgegenkommenden Motorrad der 22-Jährigen zusammengestoßen. Die junge Frau starb noch an der Unfallstelle. Teil der Ermittlungen ist die Frage, ob es sich um ein illegales Rennen handelte.

Illegale Rennen auf Höchststand



Die Zahl der illegalen Autorennen auf Bayerns Straßen hat nach Angaben des bayerischen Innenministeriums im laufenden Jahr einen Höchststand erreicht. Allein von Januar bis Mitte November 2024 registrierte die Polizei 687 Fälle. In den beiden gesamten Jahren zuvor hatte die Polizei noch 664 und 605 Fälle zur Anzeige gebracht. Im Jahr 2019 wurden 294 illegale Kraftfahrzeugrennen polizeilich festgestellt, im Jahr 2018 waren es lediglich 191 Fälle.

Zahlen steigen weiter



Auch in der Oberpfalz scheint der gefährliche Trend auf den Straßen angekommen zu sein, wie Jonas Krauß, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberpfalz, mitteilt. „Im Jahr 2022 auf 2023 ist ein starker Anstieg verbotener Kraftfahrzeugrennen zu verzeichnen“, sagt Krauß gegenüber der Mediengruppe Bayern. „Auch im laufenden Jahr ergibt sich die Tendenz, dass der Wert sogar wahrscheinlich deutlich überschritten wird.“

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Vermehrte Schwerpunktkontrollen



Der Anstieg hänge laut Krauß mit einer erhöhten Aufmerksamkeit der Polizei zusammen. Die „Kontrollbeamten Tuning/Posing“ würden vermehrt Schwerpunktkontrollen durchführen. Der Anstieg der Anzeigen bedeute daher nicht zwangsläufig einen tatsächlichen Anstieg der Taten. Diese werden jetzt aber vermehrt aus dem Dunkelfeld herausgeholt.

Drei Arten von Autorennen



Grundsätzlich unterscheidet die Polizei laut Innenministerium drei Arten verbotener Rennen: organisierte Rennen mit oft internationaler Strecke, bei denen Bayern als Transitland dient. Private Rennen, die kurzfristig geplant oder sich spontan durch das Aufeinandertreffen Gleichgesinnter ergeben.

Und zuletzt Einzelrennen, bei denen Fahrer rücksichtslos und übermäßig schnell unterwegs sind. Ein solches Verhalten würden die Beamten zunehmend bei normalen Fahrzeugkontrollen beobachten: Statt anzuhalten, geben die Fahrer Gas.

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„Die Vielzahl der festgestellten Straftaten sind Fälle, bei denen sich die Tatverdächtigen der Kontrolle entziehen möchten“, teilt die Polizei Niederbayern mit.

Auch in der Oberpfalz hat die Kategorie Einzelrennen einen erheblichen Anteil, sagt Polizeisprecher Krauß. Filtere man die Fluchtfahrten heraus, bleiben für die Jahre 2021 und 2022 jeweils nur sechs Autorennen im landläufigen Sinne übrig. 2023 gab es 14 Fälle, also mehr als doppelt so viele wie in den Jahren davor.

Wer sind die Tatverdächtigen?



Aktuelle Zahlen des Polizeipräsidiums Niederbayern geben Aufschluss: Im Zuständigkeitsbereich wurden von Januar bis Mitte November 2024 gegen insgesamt 98 Personen Verfahren wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennen eingeleitet.

Darunter seien 95 Männer und nur drei Frauen, wie Kriminalhauptkommissar Günther Tomaschko, Polizeisprecher, gegenüber der Mediengruppe Bayern berichtet.

Besonders auffällig sei der hohe Anteil junger Männer: 59 der 95 männlichen Beschuldigten waren zwischen 18 und 25 Jahren alt, was einem Anteil von 62 Prozent entspricht.

Experte Andreas Knie erklärt Motive



Gibt es also den typischen Raser? Nachfrage bei Andreas Knie, Professor für Soziologie an der Technischen Universität Berlin. Für den Berliner Verkehrsexperten sind die Zahlen aus Niederbayern nicht überraschend, das sei in ganz Deutschland ähnlich. „Die Beteiligten an Autorennen sind fast ausschließlich junge Männer.“

Das Motiv der jugendlichen Raser sei banal, im Fachjargon nennt der Experte es „archaische männliche Riten“. Man könnte es auch als spätpubertäre Auswüchse bezeichnen, sagt Knie. „Ich bin der Coolere, ich kann schneller fahren als du.“

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Nach Ansicht des Professors sind Autorennen daher kein neuer Trend. Schon immer hätten junge Männer ihre vermeintliche Überlegenheit durch gefährliche Fahrmanöver beweisen wollen. Statistisch gesehen endet dieses Verhalten mit 26 Jahren. Die Altersgrenze von Autovermietern sei kein Zufall.

Zu hohe Akzeptanz



Ein Teil des Problems ist laut Knie die fehlende soziale Sanktionierung: In Deutschland gebe es eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz für Geschwindigkeitsüberschreitungen. Rasen werde oft nicht ernst genommen und als Kavaliersdelikt abgetan. Diese Haltung spiegele sich auch in den Strafen und Bußgeldern wider, die im Vergleich zu anderen Ländern wie der Schweiz sehr milde ausfielen.

Harte Konsequenzen



Knie fordert daher deutlich härtere Strafen für Straßenrennen. Seiner Ansicht nach sollte der Führerschein mindestens für fünf Jahre entzogen werden – oder sogar lebenslang. „Wer mit solcher Absicht unterwegs ist, nimmt den Tod anderer Menschen billigend in Kauf. Das ist faktisch Totschlag.“

− an/ dpa



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