Regensburger Paartherapeut im Interview
Unerfüllter Kinderwunsch: Wenn Frauen anfangen ihren Partner zu hassen

19.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:55 Uhr |

Wenn sich ein Partner ein Kind wünscht und der andere noch warten will, kann das zu Problemen führen. Denn schnell ist es dafür zu spät. −Foto: picture alliance/dpa/Christin Klose

Mit 14 ist aus evolutionsbiologischer Sicht das ideale Alter, um Kinder zu kriegen – gesellschaftlich sieht es da anders aus: Das Thema wird meist ab Anfang 30 interessant. Aber was tun Paare, wenn sich plötzlich herausstellt, dass der Partner eigentlich gar keine Kinder möchte?



„Ich habe oft Paare, bei denen der eine Kinder möchte und der andere nicht“, schildert Paar- und Sexualtherapeut Engelbert Ober aus Regensburg. Er kennt das Problem und seine Erfahrung zeigt ihm, dass in 80 bis 90 Prozent der Fälle die Frau einen Kinderwunsch hat, jedoch der Mann zurückhaltend reagiert.

Laut Engelbert Ober handelt es sich oft um Paare Ende 30, die Akademiker sind und deren Partner im gleichen Alter ist. „Der Mann ist da in einer besseren Position. Bei Frauen ab 38 besteht ein Risiko bei der Geburt“, berichtet der 62-Jährige. Frauen stünden in einem Spannungsfeld zwischen Alter und Kinderwunsch. Ober rät deshalb: „Klären Sie vor der Beziehung, ob ein Kinderwunsch besteht!“ Denn selbst wenn die Frauen in jüngeren Jahren noch ihren Kinderwunsch unterdrücken können, so holt dieser sie Mitte oder Ende 30 wieder ein, weiß der Therapeut. „Ein Kinderwunsch verschwindet nicht einfach“, betont er. Der 62-Jährige, der selbst Vater zweier Kinder ist, weiß, dass nichts auf der Welt den Wunsch nach Nachwuchs ersetzen kann.

Luxusartikel verlieren mit 30 ihren Reiz - Kinderwunsch bleibt



Eine ernsthafte Aussprache über den Kinderwunsch kommt für viele Paare erst in den mittleren Zwanzigern in Frage – für 16-Jährige liegt das Thema noch in weiter Ferne. Verliebte Jugendliche konzentrieren sich darauf, was sie erreichen wollen – sowohl finanzieller, als auch im persönlicher Sicht. „Meine Erfahrung ist, dass diese schöne Vorstellung vom Leben bei Paaren, die 50 oder älter sind, zu verblassen beginnt“, erläutert Engelbert Ober und führt aus: „Luxusartikel, die einen mit 30 vielleicht noch fasziniert haben, beginnen ihren Reiz zu verlieren. Und dann fangen die Frauen an, ihren Mann zu hassen“. Es entsteht Streit und Anschuldigen wie „wegen dir ist mein Traum nicht in Erfüllung gegangen“ werden laut. Was rät der Experte solchen Paaren? „Um ehrlich zu sein, habe ich für diese Situation keinen Rat, denn das, was sie haben wollen, ist nicht mehr möglich“, bedauert Ober.

„Männer spielen oft auf Zeit“ und hoffen, dass Wunsch weggeht



Neben den Frauen leiden laut Therapeut auch die Männer unter der Situation – insbesondere unter Schuldgefühlen. Jedoch sind sie es, die es so weit kommen lassen, weiß Ober: „Männer spielen oft auf Zeit, sagen den Frauen, dass es gerade nicht passt. Sie sind oft unfair und hoffen darauf, dass der Kinderwunsch irgendwann weggeht“, sagt Ober. Gleichwohl weiß der Paar- und Sexualtherapeut aus eigener Erfahrung, dass es keinen „perfekten Zeitpunkt gibt“, um Nachwuchs zu bekommen. Darum legt er den Frauen ans Herz, sich nicht mit solch einer Aussage abspeisen zu lassen.

Dabei nimmt Engelbert Ober die Männer, die zu ihm kommen auch mal in die Mangel: „Ich sage ihnen, dass wenn sie den Wunsch nach Kindern weiter rausschieben, werden sie keine glückliche Beziehung haben, sondern von ihrer Partnerin dafür gehasst werden.“ Für die Partnerinnen hat er einen, wie er selbst sagt, sehr harten Ratschlag: „Sie müssen die Reißleine ziehen und aufhören, sich unrealistischen Vorstellungen hinzugeben.“ Am besten sei es, sich zu trennen. In solchen Situationen erlebte der Therapeut, dass die Partner es sich dann oftmals anders überlegen – und: die meisten Männer seien dann am Ende auch gute Väter.

Menschen mit Kindern sind „am glücklichsten“



Dass Frauen sich häufiger Kinder wünschen, als Männer, ist nicht ungewöhnlich, weiß Ober: „Das hängt mit der Evolutionsbiologie zusammen. Das Ziel der Beziehung zwischen Mann und Frau ist die Reproduktion.“ Derzeit scheint es, als würden sich immer mehr Menschen für die Kinderlosigkeit entscheiden. Woran das liegt? - „Der Kinderwunsch wird weit über 30 rausgeschoben, weil es viele Akademiker gibt“, weiß der Paar- und Sexualtherapeut. Allerdings macht er deutlich: „Die Evolution jedoch hat Teenager als optimal gebärfähig eingestuft und nicht Frauen um die 40.“

Er sieht das Alter zwischen 25 und 35 als ideal an, um Kinder zu bekommen und begründet es damit, dass viele Frauen zuerst ihre Karriere fördern wollen, aber dabei vergessen, dass ihr Körper nicht dafür ausgelegt ist. Im Laufe seines Berufslebens kam der Therapeut schon mit vielen Paaren unterschiedlichen Alters in Berührung und durfte für sich lernen: „Meiner Meinung nach hat der Kinderwunsch Priorität eins. Wenn man mich fragt, welche Menschen am glücklichsten werden, sind es die mit Kindern.“

Mensch hat das Bedürfnis, sich um etwas zu kümmern



Nicht jeder kann Kinder bekommen, doch auch für Paare, die biologisch keinen Nachwuchs schaffen können hat Engelbert Ober einen Vorschlag: Neben der Adoption, sofern sie altersbedingt noch möglich ist, empfiehlt er ein „gemeinsam Projekt“. „Der Mensch hat das Bedürfnis, sich um etwas oder jemanden zu kümmern. Das gibt ihnen Befriedigung und ist sinnstiftend.“ Als Beispiele nennt er die Arbeit mit anderen Menschen oder ein Haustier. Ob das Paar am Ende ihr eigenes Kind oder ihr Projekt als ihr „Baby“ bezeichnet, sei egal, solange sie für sich spüren: „Mein Leben hat einen Sinn“.

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