Nicht nur in den USA
„Söder Songs“ und Habeck als „Swiftie“: Wenn im Wahlkampf Politik auf Pop trifft

06.12.2024 | Stand 07.12.2024, 12:59 Uhr |

Die Verschmelzung von Pop und Politik auf einem Foto: Diese Delegierte auf dem US-Parteitag der Demokraten im August in Chicago ist mit Devotionalien von Präsidentschaftkandidatin Kamala Harris und Pop-Superstar Taylor Swift ausgerüstet. − Fotos: Imago/Robert Michael/Michael Kappeler, dpa

Die USA hat Taylor Swift, Deutschland Herbert Grönemeyer. Popstars spielen eine Rolle im Wahlkampf, auch hierzulande. Manchmal, etwa im Fall von Grönemeyer, tun sie das wider Willen. Manchmal bieten sich Stars aber auch offensiv Politikern an – etwa unlängst Dieter Bohlen, als er sich als Berater des nächsten Kanzlers empfahl. Woher kommt diese Vermischung von Pop und Politik?

  

Robert Habeck ist bereits der „Kanzler Era“

 Ob Taylor Swift weiß, dass die Grünen unlängst auf ihrem Parteitag in Anlehnung an die Fans der US-Musikerin Armbändchen knüpfen ließen? Und Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck selbst eins mit der Aufschrift „Kanzler Era“ trug, in Anlehnung an die „Eras Tour“ der Musikerin? Vermutlich nicht.

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Herbert Grönemeyer hingegen nahm aktiv wahr, dass nicht nur Habeck, sondern auch die CDU seinen Song „Zeit, dass sich was dreht“ im Wahlkampf verwendeten, und wehrte sich dagegen. Warum übt gerade dieses Lied so einen Reiz auf deutsche Politiker aus? „Es ruft die Erinnerungen an die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland wach“, lautet die Einschätzung des Medien- und Kommunikationswissenschaftlers Jörg-Uwe Nieland. „Und das Gemeinschaftsgefühl, die Identifikation, die es damals beim sogenannten Sommermärchen gegeben hat. Außerdem soll es auch zeigen: Politiker und Politikerinnen haben verstanden, dass man aktiv werden muss, etwas in Bewegung setzen, um den Stillstand oder die Krise zu überwinden.“

Musik kann direkter als eine Rede wirken

 Musik kann direkter und emotionaler wirken, als eine Rede es tut. Verständlich, dass Politiker versuchen, sich das zunutze zu machen. Doch der Vermischung von Pop und Politik liegen auch andere Faktoren zugrunde. Sie sind ein Beleg für die starke Personalisierung im Wahlkampf – die derzeit eine neue Dimension erreicht. „Personalisierung und Unterhaltungsorientierung nehmen zu. Es sind immer weniger die politischen Programme, über die diskutiert wird, als viel mehr die Personen und ihre Performance“, sagt Wissenschaftler Nieland. Zwar sei das in den USA noch extremer. „Die Tendenz zu mehr Personalisierung und Spektakel ist aber auch in Deutschland messbar und nachgewiesen.“

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Personalisierung und Unterhaltungsorientierung führten dazu, dass die Politiker versuchen, Unterstützung durch in der (Pop-)Kultur prominente Personen zu bekommen, „in der Hoffnung, dass sich deren Prominenz auf sie überträgt“, sagt Nieland. Politiker möchten sich als nahbar darstellen. Wer Musik hört, zu dem kann man vielleicht leichter eine Bindung aufbauen. Deswegen beschreibt sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder bei Spotify schon lange als „großer Musikfan“ und postet Lieder in der Playlist „Söder Songs“. Abba und The Cure sind darunter, aber auch der „Bayerische Defiliermarsch“. Vielen in Erinnerung geblieben sind vielleicht auch Habecks und Söders Auftritte in der ARD-Show „Inas Nacht“. Söder hat dort den Schlager „Sie hieß Mary-Ann“ von Freddy Quinn vorgetragen, Habeck „Die Moritat von Mackie Messer“ aus der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht.

USA zeigen: Popstars gewinnen keine Wahlen

Zudem hätten die Politiker verstanden, wie die Sozialen Medien funktionierten. „Es braucht 24/7-Content, möglichst bunt und aufsehenerregend. Und was ist da besser als ein schneller Post? Ich war im Fußballstadion oder auf einem Konzert. Ich mache ein Backstage-Foto auf Instagram mit einer prominenten Person. Das ist wichtiger als ein Zitat aus dem Parteiprogramm“, so Nieland.

Doch welchen Effekt hat das Ganze? Spätestens seit dem US-Wahlkampf, bei dem die demokratische Kandidatin Kamala Harris Unterstützung einer schier endlosen Reihe von Superstars erhielt, ist klar, dass Popstars keine Wahlen gewinnen. Der US-Politikwissenschaftler David J. Jackson sagte dem Nachrichtenportal „Vox“, dass prominente Befürworter eher „bescheidene Auswirkungen“ hätten, wenn es darum geht, Wähler für sich zu gewinnen. Eher dienten sie dazu, die Begeisterung für einen Kandidaten zu steigern, zu dem ein Wähler vielleicht schon tendiert.

Lisa Forster

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