„Hollands Kunstwunder“
Schon vor 300 Jahren ein Superstar: Die Alte Pinakothek zeigt das Werk von Rachel Ruysch

06.01.2025 |
Barbara Reitter-Welter

Ein Fruchtstillleben mit Hirschkäfer und Nest, 1717 von Rachel Ruysch voller Details auf Leinwand festgehalten, zu sehen in der Alten Pinakothek München − Foto: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Fischer-Kohler

Was verbindet den Fußballspieler Marco Reus mit der Kunst? Erst mal nichts. Doch die Besucher der Ausstellung „Rachel Ruysch. Nature into Art“ können sich an ihm orientieren: Reus spricht man auch den Namen der holländischen Malerin Rachel Ruysch (1664-1750) aus.

Die Alte Pinakothek München gibt in einer ungewöhnlichen Ausstellung erstmals einen Überblick zum Oeuvre der immer noch weitgehend unbekannten Künstlerin, die bereits zu Lebzeiten ungemein erfolgreich war und als Meisterin des Blumenstilllebens nicht umsonst von einem zeitgenössischen Biografen „Hollands Kunstwunder“ genannt wurde.

36 Pflanzen auf einem Bild

  Auch wenn man an der Alten Pinakothek eher abschätzig auf Blockbuster blickt – dieses wissenschaftlich gestützte internationale Projekt wird garantiert Besucherströme ins Münchner Museumsquartier ziehen. Allein die Fakten und Zahlen hinter der Ausstellung sind sensationell. In Kooperation mit Toledo und Boston konnte man weltweit unzählige Museen und private Leihgeber sowie ein Netzwerk an Spendern überzeugen, letztlich 80 Gemälde aus 14 Ländern, darunter 57 von Rachel Ruysch selbst, sowie mehr als 40 Arbeiten auf Papier nach Bayern zu holen. Dazu zählen auch mehrere Münchner Sammlungen, darunter das Deutsche Museum mit einem Mikroskop aus dem Jahr 1700.

Zu sehen sind Gemälde ihrer zeitgenössischen Anreger und des Lehrers Willem van Aelst, der die erst 15-jährige Rachel in seinem Atelier ausbildete, sowie Arbeiten ihrer jüngeren Schwester Anna. Ein ganzer Saal ist der wichtigsten Inspirationsquelle von Rachel Ruysch gewidmet – naturwissenschaftlichen Präparaten, also: in Alkohol konservierten Pflanzen, aufgespießten Käfern und Schmetterlingen, die sich auf den Gemälden in unglaublicher Fülle befinden. Auf einem Bild sind es allein 36 verschiedene, teils exotische Pflanzen aus den Kolonien der Niederlande und aus der Heimat. Dasselbe gilt für die Tierwelt. So kann man auf einem Waldstillleben zwischen pittoresken Baumstümpfen neben einheimischem Getier eine Wabenkröte aus dem indonesischen Surinam entdecken.

Zugang zu Flora und Fauna durch den Vater

  Als junge Künstlerin begann Rachel Ruysch bereits mit der Konstruktion von Illusionen, indem sie Versatzstücke aus der vermeintlichen Realität, innovativ für diese Zeit, collagierte und in ihre Bilder montierte. Pflanzen aller Jahreszeiten und Länder wurden täuschend echt zur effektvollen Einheit verschmolzen, etwa die mitteleuropäische Akelei mit der Passionsblume aus fernen Landen. Mit Kleintieren aller Art, Amphibien, Reptilien und Insekten reicherte sie ihre schwarzgrundigen Gemälde an, darunter Schnecken, Schlangen, dekorative Käfer und Eidechsen neben Pilzen. Bei den Fruchtstücken dominierte der Pfirsich, farblich kontrastiert durch Johannisbeeren oder Pflaumen im legendären Berliner Blau, einem damals raren Pigment.

Den Zugang zu Flora und Fauna verdankte Rachel ihrem Vater, dem berühmten Naturwissenschaftler Frederik Ruysch, der nicht nur Pharmazie und Medizin studiert hatte, sondern als Professor der Botanik dem berühmten Amsterdamer Hortus Botanicus vorstand – und später seine Kollektion menschlicher, tierischer und pflanzlicher Präparate an Zar Peter den Großen verkaufte. Doch die junge Frau experimentierte auch selbst mit präparierten Tieren.

Noch mit 80 malte Ruysch

 Biografie wie Werk sind gleichermaßen außergewöhnlich, ja spektakulär. Die perfekte Könnerin von Stillleben war bereits in frühen Jahren, besonders ab 1700, berühmt und vermarktete sich gekonnt. Sie fertigte jährlich nur wenige Gemälde, was den Preis in die Höhe trieb. Als erste Frau wurde sie in die renommierte Haager Künstlerbruderschaft Pictura aufgenommen, mit ihrem Mann, Porträtmaler Juriaen Pool – mit dem sie übrigens zehn Kinder hatte! 1708 avancierte sie sogar zur Hofmalerin beim Wittelsbacher Kurfürsten Johann Wilhelm in Düsseldorf. Das brachte ihr ein stattliches Salär und Aufträge dessen italienischer Verwandtschaft.

Vor allem erfand sich Ruysch immer wieder neu. Noch mit 70 modifizierte sie ihren Stil hin zu kleinen Formaten, reduzierten Motiven und lichter Farbigkeit, die bereits ins Rokoko weist, und arbeitete noch als 80-Jährige. Neben ihre Signatur schrieb sie stolz das Alter.

Barbara Reitter


Bis 16. März, Alte Pinakothek München, Barer Straße 27, geöffnet Di./Mi. 10-20 Uhr, Do. bis So. 10-18 Uhr

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