Joaquin Phoenix als Kaiser
„Napoleon“ von Ridley Scott: Welteroberer mit Liebeskummer

21.11.2023 | Stand 21.11.2023, 10:28 Uhr

Als eine strenge und düsterer Figur gibt Schauspielstar Joaquin Phoenix seinen Napoleon auf dem Schlachtfeld. − Foto: Aidan Monaghan, Apple TV+, dpa

Kanonenkugeln zerreißen Pferde und Soldaten, im Wasser unterm Eis schwimmen Kadaver: Grandiose Schlachtenbilder, dazwischen immer wieder Szenen von Napoleon Bonaparte und seiner sechs Jahre älteren Frau Joséphine de Beauharnais. Denn ihr war der berühmte Kaiser der Franzosen ebenso verfallen wie seinem Hunger nach Macht.



In „Napoleon“ zeichnet Altmeister Ridley Scott ein Porträt Napoleons, das eine Parallele zwischen seiner Machteroberung und seiner turbulenten Beziehung zu Joséphine zieht. Er habe die Welt erobert, um ihre Liebe zu gewinnen, und als ihm das nicht gelang, eroberte er sie, um sie zu zerstören, und zerstörte sich dabei selbst, erklärte die Regie-Legende dem Filmmagazin „Deadline“ seine Absicht.

Für rund 130 Millionen hat der 85-Jährige ein großes Schlacht- und Ausstattungskino gedreht und neben Vanessa Kirby („Mission: Impossible – Dead Reckoning“) nach 23 Jahren wieder Joaquin Phoenix vor die Kamera geholt. Der Hollywood-Star spielte in „Gladiator“ aus dem Jahr 2000 die Nebenrolle des irren und erbarmungslosen Kaisers Commodus. Für Scott konnte nur Phoenix Napoleon verkörpern. Er habe in „Gladiator“ einen der komplexesten Kaiser der Filmgeschichte geschaffen, sagte er. Und er werde mit seinem „Napoleon“ einen weiteren erschaffen.

Der 49-jährige Darsteller gibt auf dem Schlachtfeld eine strenge und düstere Figur ab – eine Reminiszenz an seinen römischen Kaiser in Scotts „Gladiator“ –, gleichzeitig spielt er den Clown, wenn er vor Politikern flieht und der Mumie eines Pharaos tief in die Augen schaut. Phoenix meistert dieses Paradox geschickt und antwortet trotzig auf Joséphines Kommentar, die Napoleon als fett bezeichnet: Das Schicksal habe gewollt, dass er hier sei, das Schicksal wolle, dass er dieses Lammkotelett esse.

Mit historischen Fresken ist Scott bestens vertraut. Ihm verdanken wir neben „Gladiator“ mit Russell Crowe auch „1492 – Die Eroberung des Paradieses“ mit Gérard Depardieu. Aus „Napoleon“ hat er erneut ein optisch beeindruckendes Epos geschaffen, wenn auch mit weniger eindringlichen und spektakulären Sets wie in „Gladiator“.

Das Epos zeigt Kampfszenen, die Napoleon berühmt machten: den Sieg bei Toulon gegen die britische Armee 1793, den Ägyptenfeldzug, den Staatsstreich 1799 und den Russlandfeldzug. Anleihen bei der Bildwelt der Maler Jacques-Louis David und Jean-Léon Gérôme liefern einige visuell fesselnde Momente.

Wer eine so imposante historische Persönlichkeit wie Napoleon auf die große Leinwand bringt, läuft zwangsläufig Gefahr, sich dem Urteil einer breiten Öffentlichkeit mit vielen Experten auszusetzen. Kaum war der Trailer im Netz, kamen die ersten Reaktionen. Napoleon-Spezialisten kritisierten unter anderem, dass der Film Bonaparte während der Hinrichtung von Königin Marie-Antoinette zeigt (wo er nicht gewesen sein soll). Eine Szene, mit der der Film optisch eindrucksvoll beginnt.

Scott hat einen Film an der Grenze zwischen Geschichte und Fiktion gedreht. Der Film sei keine historische Biografie. Er konzentriere sich auf die Charaktere der Protagonisten und deren Emotionen, so Phoenix.

Für den Mann, der mit 35 Jahren Kaiser von Frankreich wurde und sein Leben im Exil auf St. Helena beendete (einer kleinen Vulkaninsel mitten im Atlantik), hat sich Scott schon lange interessiert. Für ihn sei er ein faszinierender Charakter, sagte er der dpa in Paris. Er verkörpere einfach alles, das Gute und das Böse.

Napoleon lernte Joséphine 1795 auf einem Ball kennen, wo er sich in die 32-jährige Witwe mit zwei Kindern sofort verliebte, nur ein Jahr später heiratete er sie. Weil sie ihm keine Kinder zur Welt brachte, ließ er sich 1810 von ihr scheiden, um Marie-Louise von Österreich zu heiraten. Napoleon schrieb über 200 Liebesbriefe an Joséphine. Aus vielen wird in dem Film zitiert. Scott konstruiert eine interessante, sowohl romantische als auch tragische Liebe und spätere Freundschaft. Die Beziehung zwischen den beiden, die den emotionalen Kern der Geschichte bildet, lässt einen jedoch etwas kalt. Nur wenig kommt von der Osmose zwischen den Protagonisten mit gegensätzlichen Charakteren und Ambitionen rüber.

Zwei Stunden und 38 Minuten sind nicht viel, um den Aufstieg und Fall von Napoleon auf detaillierte Weise behandeln zu können. Ein Direcor’s Cut von ganzen vier Stunden ist bereits angekündigt und soll auf AppleTV+ erscheinen.

Sabine Glaubitz


• GB, USA 2023, von Ridley Scott, mit Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby, 158 Min., frei ab 12 Jahren

• Trailer auf pnp.de/kultur