Berlinale-Finale
Die Absolutheit des Gefühls: Der deutsche Wettbewerbsbeitrag „Bis ans Ende der Nacht“

Verleihung des Goldenen Bären im Berlinale-Palast steht als nächstes auf dem Programm

24.02.2023 | Stand 17.09.2023, 2:11 Uhr
Doris Groß

Eine tragische, unberechenbare Liebe: Der strauchelnde, schwule Polizist Robert (Timocin Ziegler) und die transsexuelle Leni (Thea Ehre) in „Bis ans Ende der Nacht“, dem letzten der fünf deutschen Wettbewerbsbeiträge um den Goldenen Bären der Berlinale. −Foto: Heimatfilm, Berlinale, dpa

Mit Hossa oder der schönen Maid könnte man Christoph Hochhäusler sehr wahrscheinlich jagen. Beim Deutschen Schlager, da gruselt es den Regisseur nach eigener Aussage eher. Bei der Knef oder bei Zarah Leander sei das allerdings ganz anders. Oder bei Esther Ofarim, die er während seiner Recherchen entdeckte. „Es stand von Anfang an fest, dass ich populäre deutsche Musik verwenden möchte“, sagt der 50-Jährige auf der Berlinale, dessen aktueller Film „Bis ans Ende der Nacht“ nicht nur der letzte der fünf deutschen Beiträge im Wettbewerb war, sondern auch das Finale der diesjährigen Konkurrenz um den Goldenen Bären vor der Preisverleihung am Samstagabend, 25. Feburar. „Es ging mir bei der Musik um die Absolutheit des Gefühls.“ Auf eine Art sei der Film dadurch ein halbes Musical geworden.

Zwar zeigt Hochhäusler nach Filmen wie „Unter dir die Stadt“ oder vor neun Jahren „Die Lügen der Sieger“ auch hier einmal mehr seine Schwäche für das Genrekino. „Bis ans Ende der Nacht“ verschränkt allerdings vor allem Polizei-Thriller und Neo-Noir mit einer tragischen, unberechenbaren Liebe. Im Zentrum stehen der strauchelnde, schwule Polizist Robert (Timocin Ziegler) und die transsexuelle Leni (Thea Ehre), die mit der Polizei einen Deal eingeht. Sie soll aus dem Gefängnis freikommen, wenn sie bei den Undercover-Ermittlungen hilft und vorgibt, ein Paar mit Robert zu sein, um sich ins Umfeld eines Nachtclubbesitzers und Drogenhändlers einzuschleusen und ihn zu überführen.

Ungewöhnlich ist vor allem die Transsexuellen-Thematik in diesem Zusammenhang, die auf ganz selbstverständliche Weise einfließt in die Handlung. Die Figur gehört sicher zu den reizvollen Aspekten von „Bis ans Ende der Nacht“, genauso wie der gleitende, visuelle Stil und die besondere Atmosphäre, die der Einsatz der alten Lieder schafft. Und doch will der Film nicht so richtig funktionieren. Weder erzeugen die letztlich recht schematischen Undercover-Ermittlungen irgendeine Spannung. Noch will die Liebesgeschichte emotional durchdringen. So bleibt man in zu großer Distanz zum Geschehen: zum Hin und Her beim Drogenfall und den Gefühlsturbulenzen, den Wendungen und Haken bei Wahrheit und Lüge, weil man sich dafür nicht mehr so richtig interessieren mag.

Dennoch fügte Hochhäuslers Beitrag dem Berlinale-Wettbewerb eine weitere Facette hinzu, der in diesem Jahr ohnehin in vielerlei Hinsicht Diversität widerspiegelte. Thematisch war die Bandbreite der Auswahl groß, in der die deutschen Beiträge mit wechselhafter Qualität außergewöhnlich stark präsent waren.

Großer Favorit war nur ein Film: Celine Songs „Past Lives“, der fast durchweg hohe und Höchstwertungen erhielt. Dabei handelte es sich um eine kluge, zunehmend ergreifendere Reflexion über Liebe, Freundschaft und ein großes „Was wäre wenn“, die Erinnerungen an Richard Linklaters „Before“-Reihe wachrief. Ob sich die Jury unter Vorsitz von Kristen Stewart auch davon so klar überzeugen ließ? Das entscheidet sich am Samstagabend bei der Verleihung des Goldenen Bären im Berlinale-Palast.

Sascha Rettig


• „Berlinale 2023: Die Bärenverleihung“, Samstag, 25. Februar, 18.30 bis 20.15 Uhr, 3sat