Kino-Kritik
Maschinen, Motoröl, Männlichkeit: „Bikeriders“ mit Austin Butler zeigt raue Motorradclub-Kultur

19.06.2024 | Stand 19.06.2024, 11:00 Uhr |
Martin Schwickert

Erst als Musik-Legende Elvis auf der Bühne, nun als Rocker Benny auf der Bike: Austin Butler verkörpert aufstrebenden Clubchef. − F.: dpa

Wenn sie auf schweren Motorrädern in Schrittgeschwindigkeit durch die Straßen von Milwaukee tuckern, starren ihnen die Menschen auf dem Gehweg hinterher. In seinem neuen Film „Bikeriders“ begibt sich Regisseur Jeff Nichols („Loving“) tief hinein in das Soziotop einer US-amerikanischen Rockergang Ende der 1960er Jahre.



Bewunderung und Abneigung sind gleichermaßen in den Gesichtern zu lesen, während die Motoren mit ihrem tiefen Bass-Rhythmus über die Dolby-Atmos-Anlage auch im Kinosaal das Zwerchfell der Zuschauenden vibrieren lassen.

Schwarz-Weiß-Fotografien als Filmvorlage



Als Buchvorlage diente hier kein Roman, sondern der gleichnamige Fotoband von Danny Lyon, der als Vertreter des „New Journalism“ damals mit seinen Schwarz-Weiß-Aufnahmen das subkulturelle Leben eines Motorradclubs in Chicago dokumentierte. Und auch Nichols Film versteht sich weniger als nostalgisches Remake von „Easy Rider“ (1969) denn als Milieustudie einer selbst ernannten Outcast-Gruppe.

Natürlich finden sich auch hier die archetypischen Genrebilder, wenn die Kerle mit ihren Maschinen über die Landstraßen entlang der Maisfelder des Mittleren Westens brausen oder auf einem Highway in Formation aus der Dunkelheit der Nacht auftauchen. Auch an ölverschmierten Männerhänden, verstaubten Gesichtern und Schlägereien samt Versöhnungsgelage mangelt es nicht.

Working-Class-Woman unter Rockern



Aber „Bikeriders“ hat eine Geheimwaffe, mit der Jeff Nichols die maskulinen Stereotypen und Riten toxischer Männlichkeit transzendiert. Ihr Name ist Kathy (Jodie Comer). Sie die Erzählerin, die die Fäden fest in der Hand hält. Wenn sie das erste Mal das „Clubhaus“ betritt, ist sie von den Gestalten mehr angewidert als eingeschüchtert. Als ihr Blick beim Herausgehen auf Benny (Austin Butler) fällt, macht sie kehrt. Seinem Sexappeal kann sie sich nicht entziehen.



Am selben Abend noch sitzt sie mit wehendem Haar auf Bennys Rücksitz, während sich dahinter die anderen Mitglieder des Clubs formieren. Benny bringt sie nach Hause und bleibt einfach auf der anderen Straßenseite stehen – zwei Tage lang, bis Kathys Lebensgefährte laut fluchend aufgibt. „Seit ich Benny kenne, habe ich nichts als Ärger“, berichtet sie dem Fotojournalisten Danny Lyon (Mike Faist) von den Ereignissen.

Sie machen ihre eigenen Regeln



Es ist Kathy, die auf die Absurdität der Gang verweist: Männer, die alle gesellschaftlichen Regeln verabscheuen, tun sich in einem Club zusammen, um dessen Regelwerk freiwillig penibel Folge zu leisten. Die meisten dieser Regeln hat Johnny (Tom Hardy) festgelegt, der den Bikerclub gründete, nachdem er Marlon Brando in „The Wild One“ gesehen hatte. Der Vorsitzende hat Benny als Nachfolger auserkoren, denn er ahnt, dass er bald nicht mehr Herr der Lage sein wird. Die Gang hat sich vergrößert mit Filialen in anderen Städten und brutaleren Methoden.

Unter den Neuen sind viele Heimkehrer aus dem Vietnamkrieg – verlorene Seelen, die harte Drogen nehmen und vor nichts zurückschrecken. Und so zeigt der Film auch die Entwicklung des Motorradclubs hin zu einer hochkriminellen Vereinigung, die mit Drogenhandel, Prostitution und Mord ihr Geld verdient.

Mittendrin und doch die Außenseiterin



„Bikeriders“ ein Film, der sich weniger über einen ausgeklügelten Plot erzählt als über atmosphärische Genauigkeit. Im Kern geht es um die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, die bekanntlich bei Männern besonders bizarre Blüten treiben kann. Kameramann Adam Stone zieht das Publikum mit einem Stonewashed-Look und starken Kontrasten hinein in diese Subkultur, ohne sie ästhetisch zu überhöhen.

Auf die harten, wortkargen und emotional unterentwickelten Kerle blickt Nichols ohne Ironie, aber mit der gezielten Brechung einer weiblichen Perspektive. Jodie Comer ist herausragend in der Rolle der resoluten Working-Class-Woman, die mitten im Männergetümmel steht und sich trotzdem den klaren Blick der Außenseiterin bewahrt.


USA 2024, von Jeff Nichols, mit Jodie Comer, Austin Butler und Tom Hardy, 116 Minuten, frei ab zwölf Jahren

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