Digitalkonferenz re:publica in Accra, Ghana
Digitales Afrika: "Ein Riesensprung nach vorne"

18.10.2018 | Stand 20.09.2023, 22:21 Uhr

In Regionen ohne Internetzugang leistet die in Europa aussterbende SMS wertvolle Dienste, auch in der Landwirtschaft. Im Bild ein Massai mit Mobiltelefon inmitten seiner Herde. −Foto: GIZ/laif, Ton Koene

Interview mit Katrin Bornemann, Referentin für Digitalisierung im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung über die Chancen der Digitalisierung für Entwicklungsländer.
Seit 2007 treffen sich Experten und Bürger in Berlin auf der Konferenz re:publica, um Wege zu finden, die Herausforderungen des digitalen Zeitalters zu meistern. In Kooperation mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) findet die Digitalkonferenz re:publica am 14. und 15. Dezember nun erstmals in Afrika, in der ghanaischen Hauptstadt Accra, statt. Katrin Bornemann, Referentin für Digitalisierung im BMZ, die in Passau Kulturwirtschaft studierte, erläutert im PNP-Interview, wie die Digitalisierung Entwicklungsländern helfen kann.
Warum eine Digitalkonferenz in Afrika?
Katrin Bornemann: Anlass war der starke Wunsch unserer Partner in Afrika: Minister Gerd Müller hat die Digitalisierung in unserem Haus zu einem neuen Schwerpunkt gemacht, und wir wurden auf der re:publica in Berlin von Partnern aus Afrika angesprochen: Statt zu den großen Tech-Konferenzen in Europa Experten aus Afrika einzufliegen und über Afrika zu reden, könnte man doch eine Konferenz in Afrika veranstalten und direkt mit den Partnern sprechen. Daraufhin sind wir an die re:publica herangetreten – und sie fanden die Idee ebenso toll.
Was sind die Ziele dieses Treffens in Accra?
Bornemann: Wir wollen zum einen den digitalpolitischen Dialog zwischen Europa und Afrika, aber auch innerhalb Afrikas ankurbeln. Die re:publica ist ja nicht nur als Vorreiter bei Digital-Themen bekannt, sondern auch bei Themen wie Freiheit, Demokratieförderung, Transparenz und Zugang zu Informationen. Zum anderen haben uns Jugendliche in Afrika oft gesagt: Ich möchte gerne einen zukunftssicheren Job, ich möchte eine Perspektive haben! Viele können auch ein bisschen programmieren, aber es fehlt an Rollenvorbildern. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Wenn ich keine Rollenvorbilder habe, ergreife ich als kleines Mädchen oder kleiner Junge auch nicht die Initiative.

Gibt es Ausnahmen von dieser Regel?
Bornemann: Ja, es gibt da eine sehr schöne Geschichte: Eine junge Frau namens Martha Chumo hat mit 19 Jahren in Kenia eine Programmierschule für Mädchen gegründet. Und ihr Vorbild war so beeindruckend, dass auch die Vereinten Nationen aufgesprungen sind und daraus eine richtige Initiative gemacht haben: Mit "Searching for Martha" wollen sie mehr Mädchen und Frauen wie Martha finden und zum Nachahmen ermutigen. Wir brauchen mehr solche Rollenvorbilder wie diese junge Frau! Und auch das wollen wir anstoßen mit der re:publica in Accra: Es gibt diese tollen jungen Leute, die sollen sich untereinander vernetzen – und wir wollen das publik machen.

Accras Wirtschaft produziert vor allem Nahrungsmittel, Sperrholz, Textilien und Chemikalien. Wieso haben re:publica und das BMZ sich für Accra entschieden?
Bornemann: Ghana ist spannend: Neben Tunesien und der Elfenbeinküste gehört das Land zu unseren Reformpartnern, die Minister Müller auf den Weg gebracht hat. "Fördern und Fordern" ist hier das Prinzip. Eigenanstrengungen bei guter Regierungsführung und Kampf gegen die Korruption stehen im Vordergrund. Ghana ist hier schon recht weit: ein Anker für Demokratie und Stabilität in Afrika. Die Bedingungen für private Investoren sind schon gut. Und Ghana hat jetzt schon eine sehr lebendige Digital- und Tech-Szene. Wir begreifen Digitalisierung als ein Mainstreaming-Thema, das wir auch als Impulsgeber für unsere weitere Entwicklungszusammenarbeit im Land nutzen – beispielsweise auch, um das wichtigste Ziel weiter voranzubringen: neue Jobs zu schaffen.
Welcher Schädling ist das? Die Datenbank weiß esSpielt Digitalisierung auch in Sektoren wie der Landwirtschaft eine Rolle?
Bornemann: Ja. Wir prüfen derzeit, wie wir Digitalisierung in der Landwirtschaft einsetzen können, um etwa Ernteerträge zu verbessern und Pflanzenschädlinge besser zu erkennen. Es gibt dazu ein tolles Vorhaben in Tunesien, wo Kleinbauern Fotos von Schädlingen an eine Datenbank schicken und sich informieren können, um welchen Schädling es sich handelt. Oder mit zwei großen deutschen Digital-Konzernen starten wir gerade eine Kooperation zum Stichwort "Internet der Dinge": Da werden kleine Sensoren in den Boden versenkt, die hyperlokale Wetterdaten abgeben und den Landwirten entscheiden helfen: Wann säe ich am besten aus? Wann hole ich meine Ernte ein? Diese Daten werden den Bauern als SMS zugeschickt.

Die re:publica wird u. a. auch von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert. Warum ist dem Staat diese Konferenz – gegründet von den Betreibern der Blogs Spreeblick und netzpolitik.org – so wichtig?
Bornemann: Wir haben auf der re:publica den Raum, eigene Vorträge anzubieten und auch der deutschen Zivilgesellschaft zu verdeutlichen, dass Digitalisierung kein nationales, sondern ein globales Thema ist. Digitalisierung kann zum einen die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößern, aber sie kann ebenso helfen, diese Kluft zu schließen. Das ist ein anspruchsvoller Prozess, bei dem wir auch auf Input aus der Zivilgesellschaft angewiesen sind. Die re:publica ist ein guter Ort für diesen Dialog. Die re:publica Accra legt zudem den Finger in die Wunde und macht darauf aufmerksam, dass bei der Digitalisierung der globale Süden nicht vergessen werden darf.

Welche und wie viele Teilnehmer treffen sich auf der re:publica Accra?
Bornemann: Angepeilt sind 450 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, und sprechen werden in erster Linie Speaker der afrikanischen Digital- und Tech-Szene. Wir haben auch Anfragen von großen Wirtschaftsunternehmen, die teilnehmen möchten, zudem werden Nichtregierungsorganisationen und Universitäten beteiligt sein. Vor allem ist uns wichtig, keine hippe re:publica Berlin zu duplizieren. Das Anliegen unserer Entwicklungspolitik ist es, die lokale ländliche Bevölkerung, Frauen, die Kommunen und die Dorfältesten miteinzubeziehen. Das ist natürlich eine neue Herausforderung für die re:publica, so wie sie bisher in Berlin stattfindet.

Lässt sich beziffern, wie viele Europäer an der re:publica Accra teilnehmen werden?
Bornemann: Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht genau sagen. Wir werden natürlich ein Reihe von internationalen Rednerinnen und Rednern haben, auch um den Dialog zwischen Europa und Afrika zu Digitalem anzukurbeln. Aber was uns wichtig ist: Dies soll klar eine afrikanische Veranstaltung sein. Wenn von hier jemand teilnehmen möchte, kann er das gerne tun, wir wollen den Austausch. Wichtiger ist uns aber, dass viele afrikanische Länder vertreten sind. Dies ermöglichen wir etwa über ein Stipendien-System für Rednerinnen und Rednern aus anderen afrikanischen Ländern, die sich die Reise nicht leisten können.

Büroarbeitsplätze und Internetzugang für StartupsIhr zentraler Partner in Ghana ist das "Impact Hub Accra". Was zeichnet die Institution aus?
Bornemann: Die re:publica hat ja keine Zweigstelle in Accra. Aber der Impact Hub ist eine etablierte Institution in Ghana, die Bundeskanzlerin und Minister Müller waren im August auch schon dort zu Besuch. Der Impact Hub stellt u. a. Büroarbeitsplätze und Internetzugang für Startups zur Verfügung, schult Unternehmensgründer oder legt Bildungsprogramme auf. Die Kolleginnen und Kollegen dort sind sehr erfahren, das ist ein idealer Umsetzungspartner für die Veranstaltung.
Inwiefern sind digitale Startups ein relevantes Thema in für die Entwicklungshilfe?
Bornemann: Das ist aus zweierlei Gründen ein wichtiges Thema für unser Haus. Sie müssen sich vor Augen führen, dass nur 0,5 Prozent aller Patente weltweit auf Afrika zurückgehen. Das ist unglaublich und erschreckend gering, gerade angesichts der jungen Bevölkerung. Wir sind der Überzeugung, dass Gesellschaft Innovation braucht, und zwar nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch für die demokratische und zivilgesellschaftliche Entwicklung. Beides wird ganz stark von Startups getragen. Das Zweite ist Gründergeist: es geht uns ja darum, Arbeitsplätze zu schaffen. Und wir glauben daran, dass lokale Unternehmen am besten lokale Lösungen für lokale Probleme entwickeln können.

Wie hoch liegt der Anteil digitaler Arbeitsplätze beispielsweise in Ghana oder – falls Zahlen dazu vorliegen – in Afrika?
Bornemann: Dazu gibt es noch wenige Erhebungen. Wir wissen aber, dass etwa im Nachbarland Nigeria jedes neue Start-up im Schnitt acht Arbeitsplätze schafft – dazu kommen noch indirekte Arbeitsplätze bei Zulieferern. In Tunesien testen wir gerade ein Konzept namens IT-Sourcing: Laut Branchenverband Bitkom fehlen in Deutschland schon heute 51000 Fachkräfte im Tech-Bereich – in Tunesien gibt es dagegen sehr viele Informatiker, Programmierer, Designer, die oft keinen Arbeitsplatz finden. Die Idee ist, die jungen Menschen vor Ort in Tunesien auszubilden und zu zertifizieren. Deutsche Unternehmen können dann bei Bedarf diese Tech-Experten in Tunesien nachfragen.
Ohne, dass im Sinne des sprichwörtlichen "Computer-Inders" der Nullerjahre diese Fachkräfte nach Deutschland ziehen müssen?
Bornemann: Genau. Diese gut ausgebildeten Leute wollen auch gar nicht zu uns kommen, sie möchten vor Ort bleiben – aber gerne mit Job und Einkommen. Und das ist etwas, das die Digitalisierung schaffen kann. Das Konzept ist noch in der Entstehungsphase, aber es könnte helfen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: den Fachkräftemangel in Deutschland zu beheben und Perspektiven vor Ort zu schaffen. Und gerade die Perspektiven vor Ort sind es, auf die es uns in der deutschen Entwicklungspolitik ja ankommt.

Wo ist der Frachter? Wo sind die Säcke voll Weizen?"Ist es nicht wichtiger, Hungersnöte zu lindern, Brunnen zu bohren und Schulen zu bauen als ein Unternehmen zu fördern, das in Ghana Kinder mit Tabletcomputern unterrichtet?" – Diese Frage mögen Sie gar nicht. Was ist so dumm an ihr?
Bornemann: Das ist keine dumme Frage, aber diese Frage hören wir bei fast jeder Podiumsdiskussion. Ich versuche dann immer zu erklären, dass es nicht um Konkurrenz von Themen und Problemen geht, sondern, dass Digitalisierung hilft, andere Entwicklungsziele zu erreichen. Stichwort Hungersnot: Digitalisierung kann natürlich unglaublich helfen, wenn es um die Logistik und logistisches Monitoring bei humanitären Katastrophen geht, beispielsweise: Wo ist der Frachter? Wo sind die Säcke voll Weizen? Wie können wir die am besten transportieren? Es ist ja nicht so, dass wir sagen: Sollen wir jetzt Laptops kaufen oder lebensrettende Erdnusspaste? Sondern wir können Digitalisierung einsetzen, um Hilfsgüter besser zu verteilen oder Notsituationen gar nicht erst entstehen zu lassen.
Haben Sie weitere Beispiele?
Bornemann: In Krisensituationen, etwa beim Erdbeben auf Haiti, wurde die Software Ushahidi eingesetzt, um auf digitalen Karten zu markieren, wer wo Hilfe benötigt. Die Open-Source-Software wurde ursprünglich in Kenia entwickelt, um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Und ein weiteres Beispiel: Ebola. Wir haben eine Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung und dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung als Pilotprojekt aufgesetzt, um den Ausbruch von Infektionskrankheiten in Nigeria zu bekämpfen. Die Software erfasst dabei Daten zur Seuchenbekämpfung in Echtzeit und ermöglicht so die Überwachung, Früherkennung und die Eindämmung von Infektionsausbrüchen wie beispielsweise von Ebola, Masern, Vogelgrippe und Cholera. Diese Beispiele sind mir sehr wichtig, weil sie zeigen, dass Digitalisierung keine Konkurrenz darstellt, sondern, dass wir sie nutzen, um andere entwicklungspolitische Ziele zu erreichen.
Inwieweit ist überhaupt die Infrastruktur von Strom und Internet ausreichend für digitale Entwicklung in Afrika?
Bornemann: Digitalisierung ist nicht gleich Digitalisierung, ausschlaggebend ist immer der Länderkontext. Ich kann ein Vorhaben, das über Smartphone läuft, wunderbar in Tunesien umsetzen oder in Kenia und Nigeria, aber nicht im Südsudan, wo es kaum Internetzugang gibt. Digitalisierung kann aber auch bedeuten, dass man ein sehr gutes SMS-Projekt umsetzt oder ein sehr gutes Radio-Projekt, auch das verstehen wir unter dem Begriff. Aber in der Tat werden wir wahrscheinlich bis Ende des Jahres die Marke knacken, dass weltweit mehr Menschen online als offline sind. Das ist ein wichtiger Punkt, aber auch weiterhin ein Problem, weil es eben auch bedeutet, dass knapp die Hälfte der Menschen immer noch offline sind, und das sind ganz oft die Ärmsten der Armen oder die marginalisierten Gruppen. Hier können wir – etwa mit Anti-Korruptions-Programmen – bessere Investitionsbedingungen für private Unternehmen schaffen, die den Internetzugang ausbauen. Wir müssen uns dabei besonders um die sogenannte Last Mile, die letzte Meile kümmern. Das ist die Verbindung von einem Internet-Knotenpunkt zum Haushalt – in ländlichen Regionen der Welt ein großes Problem.
Wie bekommen Sie in Bonn bzw. Berlin Kontakt zu afrikanischen Unternehmern, die entwicklungspolitisch interessante Lösungen anbieten?
Bornemann: Wir haben Referenten an den Botschaften vor Ort, das sind unsere Ansprechpartner in den Ländern. Und wir haben über die staatliche Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit eine sehr gute Infrastruktur mit einem großen Netzwerk in allen Entwicklungsländern. Afrikanische Unternehmerinnen und Unternehmer können sich zum Beispiel vor Ort in Afrika an die GIZ wenden, um sogenannte "Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft" aufzusetzen. Und wir treffen innovative Unternehmer natürlich auch in der Zusammenarbeit mit Inkubatoren und Treffpunkten wie dem oben genannten "Impact Hub" Netzwerk.

Wie sieht die Unterstützung des BMZ konkret aus?
Bornemann: Im Prinzip ist es nicht anders als Startup-Förderung in Deutschland. Hier wie dort geht es oft um die Frage: Wie komme ich vom Prototypen zur großen Produktion? Tech-Leute haben oft eine gute Idee, aber sind nicht unbedingt die Leute, die einen Geschäftsplan schreiben. Über unsere Initiative "Make IT" bieten wir sogenannte Accelerator-Programme an. Das heißt, wir suchen gute Startups mit einem gesellschaftlich nützlichen Ziel aus, sehen, wo sie Bedarf haben, etwa beim Geschäftsplan, bei einer passenden Finanzierung oder bei der Werbung. Und wir bringen sie im Rahmen unserer Make-IT-Allianz zusammen mit der Privatwirtschaft.

Inwiefern ist eine Mitarbeit in Ihrer Make-IT-Allianz für deutsche Unternehmen interessant?
Bornemann: Ich sage es mit den Worten des Ministers: Afrika ist ein Chancenkontinent aufgrund der demografischen Entwicklung und der Nähe zu Europa. Für deutsche Unternehmer ist Afrika ganz klar als Markt interessant. Sie möchten aber oft auch Kontakt bekommen zu der Entwicklerszene dort, um gemeinsam Businesscases und neue Geschäftsmodelle speziell für den afrikanischen Markt zu entwickeln. So nimmt der Software-Bereich in der Automobilbranche einen immer größeren Stellenwert ein, und ich brauche schließlich einen anderen Parkassistenten in Neu-Delhi als in Tübingen. Wenn in Deutschland von Digitalisierung die Rede ist, dann geht es meist um den Ausbau schneller Internetverbindungen oder um die Gefahr, dass schlecht qualifizierte Arbeiter massenweise überflüssig werden könnten. In Ihrem Vortrag auf der re:publica 2017 haben Sie gemahnt, man müsse die Digitalisierung weniger eurozentristisch denken. Was meinen Sie damit?
Bornemann: Wenn wir nicht aufhören, Digitalisierung vor allem aus dem nationalen Gesichtsfeld zu betrachten, dann haben wir zum einen Nachteile in Deutschland, etwa was das Angehen von globalen Problemen wie dem Klimawandel betrifft. Zum anderen haben Entscheidungen, die hier getroffen werden, einen immensen Einfluss auf die Entwicklungsländer. Europa hat dazu beigetragen, dass es gewisse Monokulturen in den Produktionsweisen gibt, etwa in Bangladesch den Textilsektor oder in Argentinien die Fleischproduktion. Wenn wir jetzt Reshoring betreiben und etwa Textilien wieder in Deutschland produzieren – so hat beispielsweise Adidas eine Smart Factory gebaut hat – dann hat das einen unglaublichen Einfluss auf die Entwicklungsländer. Wie sieht dieser Einfluss aus?
Bornemann: Die Weltbank hat errechnet, dass 85 Prozent aller Jobs in Ländern wie Äthiopien durch die zunehmende Automatisierung in Gefahr sind. Auch bei der Künstlichen Intelligenz müssen wir sehr aufpassen, dass wir nicht ganze Bevölkerungsschichten diskriminieren durch die Auswahl von Algorithmen, die etwa Bewerbungsfotos analysieren und sortieren. Darauf müssen wir aufmerksam machen. Und schließlich: Die Unternehmen Google, Apple, Facebook und Amazon erwirtschaften jährlich mehr als ganze Staaten. Je mehr wir digitale Power – sei es Entwicklerkompetenz, sei es Hardware – in den Industrienationen zentralisieren, desto mehr vergrößern wir die digitale und die ökonomische Kluft zwischen Armen und Reichen. Bei den einen wächst das Potenzial zur Wertschöpfung immer weiter, die anderen werden chancenlos.
Lässt sich gegen die digitale und ökonomische Kluft langfristig etwas tun?
Bornemann: Ja. Zum Beispiel unterstützen wir zusammen mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst DAAD Informatik-Studiengänge in Entwicklungsländern. Es ist sehr wichtig, dass IT-Kenntnisse vor Ort entstehen. Ein gutes Beispiel, welche Effekte das hat, ist M-Pesa, das System für bargeldlosen Zahlungsverkehr über Mobiltelefon ohne Bankkonto, das in Kenia zusammen mit der Vodafone-Stiftung und mit der US-amerikanischen Entwicklungsorganisation USAID entwickelt wurde. Ohne Entwicklungszusammenarbeit hätte es M-Pesa wohl nicht gegeben.

Sie sind plötzlich in der Lage, zu sparenWieso ist dieses digitales Bezahlen so wichtig in Afrika?
Bornemann: Weil die Menschen oft keine klassischen Bankkonten haben. Mit Technologien wie M-Pesa wird die Bankeninfrastruktur übersprungen. Sie sind plötzlich in der Lage, zu sparen, ohne ihr Geld unterm Kopfkissen aufbewahren zu müssen, sie können digital ihre Rechnungen bezahlen und so weiter. Ansonsten müssten sie zum Telefonanbieter hinlaufen und in bar bezahlen. Für viele Menschen ist das ein Riesensprung nach vorne.
Damit sind wir angelangt bei der dezentralen Verwaltung von Geld und bei der dezentralen Protokollierung von Transaktionen mithilfe der Blockchain-Technologie. Davon versprechen sich viele Transparenz und Erfolge im Kampf gegen Korruption. Ist Blockchain nur eine Hoffnung oder arbeiten Sie an konkreten Projekten?
Bornemann: Wir haben bislang eine Vielzahl an Einsatzmöglichkeiten von Blockchain in der Entwicklungszusammenarbeit identifiziert. Eine ganz wichtige Rolle spielen dabei die transparente Protokollierung von Lieferketten im fairen Handel und die Überwachung von Impf- und Kühlketten. In Georgien haben wir bereits ein Blockchain-Projekt bei Grundbucheinträgen auf den Weg gebracht, die durch das Speichern in der Blockchain transparent sind für alle. Das World Food Programme nutzt die Technologie in einem Flüchtlingscamp in Jordanien, wo man sich mit dem Scan der Augen-Iris identifiziert und dann eine Hilfsleistung erhält. Das Einschreiben in die Blockchain soll gewährleisten, dass ein Antragssteller eine Leistung nicht zweimal bekommt. Allerdings müssen wir aufpassen, dass wir keinen Hypes aufsitzen: Über Blockchain reden wir seit sieben Jahren, aber wir haben bisher keine massentaugliche technologische Anwendung, die eine vergleichbare Nutzung wie Facebook, Uber oder Airbnb aufweisen kann. Nicht umsonst spricht man bei Blockchain von der ineffizientesten Datenbank der Welt. Aber Blockchain kann potenziell in der Entwicklungszusammenarbeit dienlich sein: Wo immer Vertrauensprobleme auftreten, könnte man diese durch Blockchain zwar nicht beheben, aber doch etwas mehr Vertrauen herstellen.

Das Gespräch führte Raimund Meisenberger