Kino-Kritik
Habe ich sie selbst getötet? – Clint Eastwood legt mit 94 Jahren „Juror #2“ vor

15.01.2025 |
Sascha Rettig

Clint Eastwood, inzwischen 94 Jahre alt. − Foto: Eric Risberg, dpa

Oft wurde spekuliert. Jetzt ist der Moment des Abschieds wohl tatsächlich gekommen. Mit eindrucksvollen 94 Jahren stand Clint Eastwood noch einmal als Regisseur hinter der Kamera und hat mit „Juror #2“ nun seinen womöglich endgültig letzten Film gedreht.

Hier finden Sie einen zum Thema passenden Inhalt von YouTube. Klicken Sie auf "Beitrag ansehen", um den Inhalt anzuzeigen.

Mit dem Klick auf "Beitrag ansehen" erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an den Drittanbieter übermittelt werden. Weitere Infos finden Sie unter www.pnp.de/datenschutzerklärung

  

Sollte das der Fall sein, wäre es der Schlusspunkt einer überaus langen und produktiven Ausnahmekarriere. Der Mann, der „Dirty Harry“ und maulfauler Held in Westernklassikern wie „Für eine Handvoll Dollar“ war, spielte seit seinen Anfängen Mitte der 1950er in über 80 Filmen mit. Als Regisseur, der vor allem in seiner späteren Phase Großtaten wie „Million Dollar Baby“ oder „Gran Torino“ schuf, hat er mit „Juror #2“ sein 41. Werk vollendet.

Ein bisschen aus der Zeit gefallen

Der Film ist ein Gerichtsdrama (mit etwas Thriller), das etwas aus der Zeit gefallen wirkt wie das Hollywood-Urgestein selbst. Erinnerungen an John Grisham werden da wach, dessen Romane in den 90ern für einige Kinohits sorgten. Die Prämisse von „Juror #2“ ist zwar sehr konstruiert, aber auch sehr spannend: Nicolas Hoult, der zuletzt als Simpel-Version des russischen Zaren in der köstlichen Serie „The Great“ amüsierte, spielt darin den werdenden Familienvater Justin Kemp, der eines Tages als Geschworener in einem Mordfall berufen wird.

Dem Angeklagten wird vorgeworfen, vor rund einem Jahr nach einem Streit in einer Bar seine Freundin ermordet haben, die danach an einem Flüsschen in einer Schlucht tot aufgefunden wurde. Als Kemp im Gerichtssaal davon hört, kommt ihm ein schockierender Gedanke: Ist er vielleicht selber in den Fall verstrickt? Er erinnert sich genau an das Paar und den Abend, an dem er in derselben Bar war. Auf dem Weg nach Hause hatte er in der Dunkelheit im strömenden Regen ein Reh angefahren – dachte er zumindest bislang. Oder ist er es, der den Tod der Frau zu verantworten hat?

Niemand ahnt etwas davon. Den Indizien nach scheint die Lage für die Geschworenen eindeutig. Doch Kemp, von seinem Gewissen geplagt, sorgt bei den Gesprächen zur Urteilsfindung für Zweifel und wirft Fragen auf. Parallel dazu nimmt auch Toni Collette als Staatsanwältin, die um ihre Wiederwahl kämpft, noch einige Nachforschungen auf.

Eastwood, der sich nicht zum ersten Mal mit verzwickten moralischen Fragen beschäftigt, macht sein Publikum im Grunde zu Mitgeschworenen. Immer wieder wägt man ab: Wie würde man selber entscheiden? Was ist die eigene Freiheit mit bleischwerem Gewissen wert? Man weiß zwar aus der Rückblende, dass der Angeklagte unschuldig ist.

Die Sympathien liegen aber eindeutig auf Kemps Seite, der zwar trockener Alkoholiker, aber auch ein fürsorglicher Ehemann und Vater eines Neugeborenen ist – mit Bilderbuchvorstadtleben. Soll der junge Familienvater ins Gefängnis statt des toxischen Angeklagten, der in Drogengeschäfte verwickelt war? Ohnehin ist bis zum Schluss nicht hundertprozentig sicher, ob Kemp auch wirklich schuld ist.

Bei seiner Inszenierung bleibt Eastwood seinem typisch schlanken, ökonomischen Regiestil treu. Er konzentriert sich aufs Wesentliche und auf das mehr als solide Schauspiel – vor allem von Hoult und Collette. Die Spannung hält er zwar auf niedrigem Level, doch es gibt genug neue Wendungen, die das Interesse wachhalten. „Juror #2“ ist dabei kein letztes großes Meisterwerk und kein letzter Aufschwung zur Höchstform. Stattdessen schleicht sich seine so lange wie große Karriere hier solide, aber etwas unscheinbar aus.

Sascha Rettig


USA 2024, von Clint Eastwood, 114 Minuten, frei ab 12 Jahren

Artikel kommentieren