Kinokritik + Trailer
„Furiosa: A Mad Max Saga“: Alte Saga, neue Heldin

22.05.2024 | Stand 22.05.2024, 5:00 Uhr |

Viele Pferdestärken, Wüste und Feuerwaffen: Die Optik im neuen „Mad Max“-Film erinnert immer noch stark an den ikonischen Stil von 1979. − Foto: Festival de Cannes

Ein wenig sah Anya Taylor-Joy so aus, als wäre sie am roten Teppich in Cannes von einem Raumschiff abgesetzt worden und nicht von einer teuren Limousine. Die Schauspielerin („Das Damengambit“) hatte fast schon etwas entrückt Außerirdisches, wie sie da bei der Premiere von „Furiosa: A Mad Max Saga“, der nun auch in den deutschen Kinos startet, neben Co-Darsteller Chris Hemsworth entlang der Fotografen-Phalanx posierte: mit kühler Anmut, einem Gesicht wie aus Porzellan, makellosem Styling und durchdringenden Blicken aus ihren katzenartigen Augen. Sie war so filigran und elegant, dass man sie kaum zusammenbringen konnte mit der Action-Kriegerin, die sie wenig später auf der Leinwand als Furiosa entfesselte und mit der sie zeigt, dass es dafür längst keine Muskelberge mehr braucht.



Genau an dieser Stelle, im großen Premierensaal Lumière gab es vor neun Jahren schon einmal eine Begegnung mit Furiosa. Damals tauchte sie in „Mad Max: Fury Road“ auf, George Millers erstem „Mad Max“-Spektakel seit der zwischen 1979 und 1985 entstandenen Ur-Trilogie mit Mel Gibson. Verkörpert wurde Furiosa in der grandiosen Ausnahmeaction mit feministischen Untertönen damals noch von Charlize Theron. Dabei war sie allerdings, obwohl es sich eher um eine Nebenrolle handelte, eine so eindrückliche Figur, dass es nicht wirklich verwundert, warum Miller sie nun in einem eigenen Werk tiefer ergründet. „Ich bin dafür aus dem Ruhestand zurückgekehrt“, sagte der 79-jährige Regisseur in Cannes. „Ich habe mich oft gefragt, ob ich verrückt bin, dass ich das immer noch mache. Aber ich bin nach wie vor neugierig, wie und warum wir Geschichten erzählen.“

„Furiosa“ schaut nun zurück und erzählt, wie sie als Mädchen einer Biker-Gang in die Hände fällt und über 15 Jahre hinweg im dauerhaften Überlebensmodus im brutalen Ödland der Post-Apokalypse zur zähen, gerissenen Kämpferin wird. Auf dem Weg dahin gerät sie zwischen die Fronten einer kriegerischen Auseinandersetzung um die Vorherrschaft: zwischen dem aus „Fury Road“ bekannten Immortan Joe (Lachy Hulme) und Dementus (Hemsworth), mit dem Furiosa aber auch eine eigene, sehr persönliche Rechnung offen hat.

Die kaputte, von ständigen Verteilungskämpfen bestimmte Welt, die dafür entworfen wird, knüpft visuell – auch in ihrer Detailfülle – an „Fury Road“ an. Durch zahllose Katastrophen ist sie völlig aus den Fugen geraten und wird bevölkert von menschlichen Gestalten, die in jeder Hinsicht geprägt sind von der brutalen, lebensfeindlichen Umgebung. Die Bilder aus der weiten Wüste sind so groß, dass sie mühelos die mächtige Leinwand im Premierensaal ausfüllten. Ständig werden sie „Mad Max“-typisch durchbrettert von PS-mächtigen Maschinen in hochtourigen Verfolgungsjagden. Von fossilen Brennstoffen hat sich die Welt selbst nach der Apokalypse nicht verabschiedet. Es röhrt. Es dröhnt. Reifen quietschen. Es riecht hier förmlich nach Abgas und Benzin der mächtigen (Monster-)Trucks und Motorräder, die so wild zusammengebaut sind, dass sie der Alptraum jedes TÜV-Prüfers wären.

Und mittendrin: Die 28-jährige Taylor-Joy, die sich ohne viele Worte, aber mit wilder Entschlossenheit durchschlägt. Hart im Nehmen. Und smarter als alle Männer in einer Welt, die vor ungewaschener, unappetitlicher Maskulinität nur so trieft. Vor allem Rache und Liebe sind ihr Treibstoff für diese irre, flirrend aufregende Action-Odyssee, die sogar Frauenschwarm Hemsworth bei der Cannes-Premiere zum Nägelkauen brachte.

Aus der Art geschlagenesBlockbuster-Spektakel

Es ist die richtige Entscheidung, dass Miller nicht versucht hat, ein zweites „Fury Road“ zu machen oder den Vorgänger sogar zu überbieten. „Furiosa“ ist erzählerischer und keine so atemlose Dauer-Action-Choreographie – und eben auch nicht das epochale Action-Meisterwerk, dass Miller mit „Fury Road“ schuf. Und doch würde dieses Prequel wahrscheinlich noch deutlich außergewöhnlicher erscheinen, wenn man den vorherigen Film nicht ständig im Hinterkopf hätte. Denn mit „Furiosa“ brachte ein aus der Art geschlagenes Blockbuster-Spektakel Cannes zum Beben, an dem eine Crew von 13000 Leuten acht Monate lang gedreht hat – ohne einen Mad Max zwar, dafür aber viel (weiblicher) Wucht.

Sascha Rettig

Artikel kommentieren