„Der Erdspiegel“
Ein bayerischer Jack the Ripper: Neuer Krimi der „Tannöd“-Autorin

26.01.2023 | Stand 17.09.2023, 4:42 Uhr
Ulrich Steinmetzger

Der Mörder ist von Anfang an bekannt: „Der Erdspiegel“ von Andrea Maria Schnkel. −Foto: Kampa

Ein bayerischer Jack the Ripper: „Tannöd“-Autorin Andrea Maria Schnkel hat einen neuen Krimi veröffentlicht.



Die Mütter wissen, dass man nicht aus Liebe heiratet. Das sind Flausen, die sich bald vertun. Ihre naiven Töchter glauben trotzdem daran, vor allem auf dem Land und wenn sie recht jung sind. Napoleon braucht Soldaten, weil er nach Russland will. Das ist noch ein Grund, warum die jungen Männer verschwinden. So oder so oder noch anders. Wir schreiben das Jahr 1806 und sind im Landkreis Regensburg. Hier siedelt Erfolgsautorin Andrea Maria Schenkel gerne ihre historischen Krimis an, weil es die Gegend ist, in der sie sich auskennt, auch wenn sie inzwischen teilweise in Westchester bei New York lebt.

Sieben Jahre hat sie ihre Leser warten lassen. Nun verschwinden die Frauen, nachdem ihnen der Bichel über den Weg gelaufen ist. Archaisch präzise erzählt die Autorin davon, wobei sie wie selbstverständlich mit Vokabeln der Region um sich wirft. Das steigert die Authentizität. Also haben sie ihren Spenzer dabei in Stadtamhof, Zeitlarn oder Regendorf, essen Rauchfleisch, trinken Wasser aus irdenen Krügen, wissen nichts vom Laudanum darin, und dann sind sie tot. Immer ist der Bichel in der Nähe.

Der ist kinderlos verheiratet, Viehhändler mittleren Alters und einst auf der Walz über die Alpen bis nach Rom und Neapel gekommen. Nun zehrt er auf gemeingefährliche Art von seinem Mehrwissen, hat einen schönen Hof und vermag die Leute mit Geschichten so in den Bann zu ziehen, dass er spielen kann mit seinem Publikum, egal ob studierter Herr oder Magd. Einer will bei ihm gefühllose kalte Augen bemerkt haben und die Gabe, ganz unverhofft auftauchen zu können. Doch nur der Totengräber erkennt in ihm den Menschenfänger.

Das wurde Katharina und Barbara zum Verhängnis und Charlotte fast. Barbara hat einen Bankert, eine Stelle als Bedienung im Wirtshaus und die Nase voll vom Befummeltwerden. Sie kann nicht widerstehen, als der Bichel zur Tagelöhnerstochter kommt. Zu verlockend ist es, wenn er von der Magie seines Erdspiegels berichtet, mit dem er Damen unter gewissen Bedingungen in die Zukunft schauen lassen kann, wofür sie sich schön machen müssen, um sich dann die Hände auf dem Rücken binden zu lassen.

Blick in psychische Abgründe



Er erfindet den Mädchen Geschichten von Hochzeiten mit guten Männern. Dorthin sind sie verschwunden, erzählt er den Angehörigen. Fündig aber wird der Hund eines Nachbarn im Schuppen des Bichelhofs. Als dann auch andere suchen unter der Leitung des Landgerichts, finden sie Abscheuliches. Der Mörder war von Anfang an bekannt. Das ist auch in diesem Krimi der Andrea Maria Schenkel nicht anders.

Wieder spielt sie ihre Stärke aus, uns in psychische Abgründe blicken zu lassen. Und wieder hat sie dazu einen historischen Fall aufbereitet. Gefunden hat sie ihn im Buch „Merkwürdige Criminal-Rechtsfälle“ des königlich-bayerischen Geheimen Rates und Rechtsgelehrten Paul Johann Anselm zu Feuerbach (1775–1833), den sie in einer vor allem ihm gewidmeten Danksagung den ersten „True-Crime-Autor“ nennt. Der frühe Kollege hatte die Geschichte des Andreas Bichel so gut ins Licht gerückt, dass 1889 die New York Times den Mann aus der Oberpfalz zu einem Ahnen des Jack the Ripper machte. Dort in der Fremde hatten Recherchen die Autorin zum Mörder aus ihrer Heimat geführt.


Andrea Maria Schenkel: Der Erdspiegel, Kampa, 192 S., 22 Euro