Es ist wohl das Klassik-Ereignis des Jahres in Passau, und seit über einem Jahr ausverkauft: Am Sonntag, 27. Oktober, dirigiert Kent Nagano das Verdi-Requiem im Dom.
Es spielt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, es singt die vom Passauer Dirigenten geleitete Audi Jugendchorakademie, Solisten sind Ljudmyla Monastyrska, Elina Garanča, Francesco Meli und René Pape. Veranstalter sind die Festspiele Europäische Wochen Passau in Gedenken an ihren langjährigen Förderer Heinz Hermann Thiele.
Herr Nagano, Ihr Buch über den Wert von klassischer Musik heißt „Erwarten Sie Wunder“. Für Passau ist dieses Verdi-Requiem in Luxusbesetzung ein kleines Wunder. Wie hat Intendant Carsten Gerhard Sie überzeugt, dieses Engagement anzunehmen?
Kent Nagano: Seit der allerersten Aufführung, die Verdi selbst dirigiert hat, bringt dieses Werk Menschen zusammen, und seine Themen sind zeitlos gültig. Es ist eine große Ehre, dass wir dieses Konzert spielen können! Und es gibt ein persönliche Verbindung: Ich habe Heinz Thiele kennengelernt in meiner Zeit an der Bayerischen Staatsoper. Er war sehr aktiv im Freundeskreis der Staatsoper und hat sehr viel getan, um die Kultur in Bayern zu unterstützen. Seine Frau hatte die Idee, dass wir mit dem Requiem an ihn erinnern – es war ein Lieblingstück von ihm.
Als Chor haben Sie die Audi-Jugendchorakademie des Passauer Dirigenten und Münchner Professors für Chorleitung Martin Steidler eingeladen. Welche Qualitäten hat der Chor, dass er neben diesen Profis bestehen kann?
Nagano: Der Audi Jugendchor ist ein besonderes Projekt von Prof. Steidler und der Automobilfirma Audi, gegründet mit dem Zweck, die nächste Generation zu unterstützen. Alle jungen Menschen in Deutschland sind eingeladen, an dem Chor teilzunehmen – aber sie müssen Engagement und Hingabe zeigen, um als Amateure professionelles Niveau zu erreichen. Denn Exzellenz, Disziplin und stetige Verfeinerung sind immer relevant, in jedem Beruf. Drum geht die Idee dieses Chores über die Musik hinaus – sie sensibilisiert für den Wert von Perfektion. Martin Steidler hat dies über die Jahre immer weiter gesteigert – bis hin zum Auftritt in der Carnegie Hall.
Sprechen wir über das Werk. Viele sagen, Verdis Requiem sei eigentlich eine Oper, die sich als Totenmesse verkleidet hat. Wie sehen Sie das?
Nagano: Es ist schwierig, solche Werke zu zu kategorisieren. Kann man sagen, ein symphonisches oder instrumentales Werk hat kein Drama, kein Theater in sich? Oder kann man sagen, eine Oper sei nicht instrumental sehr virtuos? Darum ist es mir nicht so angenehm, Stücke in dieser Art zu kategorisieren. Vor allem Stücke wie das Verdi-Requiem. In diesem Kunstwerk liegt Verdis Pionier-Idee, eine katholische Messe in eine immer expressivere Form zu bringen – und trotzdem den universellen Ideen der Texte und der Liturgie treu zu bleiben.
Ist Ihnen das zu privat oder darf man fragen: Haben Sie eine Vorstellung, was nach Tod geschehen könnte?
Nagano: Ja, das ist ein bisschen privat. Dazu kann ich nur sagen: Ich bin – durch meine Eltern – in der Kirche aufgewachsen, schon lange, bevor ich mich erinnern kann. Und ich werde immer mit der Kirche verbunden bleiben.
Lassen Sie uns einen Blick ins nächste Jahr werfen: Am 20. und 21. Juni 2025 gastieren Sie im Konzerthaus Blaibach mit Musiken Ihres Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg und mit Schauspieler Akihiro Yamamoto des japanischen No-Theaters. Warum spielen Sie in einem Haus mit nur 200 Plätzen?
Nagano: Das ist ein ungewöhnliches Sonderprojekt, das während der Pandemie entstanden ist. Ich hatte Zeit, Klavier zu üben und zu forschen über verschiedene Formen von Theater. Und ja, es ist wahr, ich habe japanische Wurzeln, aber die Familie Nagano ist in den 1890er Jahren nach Amerika gekommen. Ich bin also seit mehreren Generationen Amerikaner, und ich habe nur einmal japanisches No-Theater gesehen, als ich ein kleiner Knabe war.
Jetzt kommt Ihr Kooperationspartner Yamamoto ins Spiel?
Nagano: Ja. Ich habe ein Interview mit ihm gesehen, das war sehr kontrovers, weil er sich erlaubt hat, ein neues No-Theaterstück zu schreiben. Eigentlich ist das verboten – es wird zumindest nicht gemacht. So wie man kein neues Shakespeare-Stück schreibt. No-Theater besteht aus einem festem altem Repertoire, das in neuen Produktionen wiederholt wird. Yamamoto hat viele Studenten aus Europa und wollte eine neue Generation für No-Theater begeistern. Darum hat er mit dieser Gruppe ein neues Stück geschrieben – es wurde ein großer Erfolg.
Und was ist Ihr Part dabei?
Nagano: Ich habe mich parallel viel mit Arnold Schönbergs Konzept der „Sprechstimme“ befasst (dabei wird die Tonhöhe nicht gehalten wie beim Gesang, rhythmische Vorgaben werden exakt umgesetzt – das Konzept wurde erstmals in seinem Werk „Pierrot Lunaire“ von 1912 prominent eingesetzt; Anmerkung der Redaktion). Ich hatte die Idee, ob sich das verbinden ließe mit dieser alten japanischen Art, Texte vorzutragen. Dass wir also eine neue Form finden, sehr stilisiert Text vorzutragen, so dass das für eine neue Generation relevant sein könnte. Wir haben darüber gesprochen, und Resultat ist dieses Stück, das wir in Blaibach aufführen. Yamamoto ist No-Meister ich glaube in der siebten Generation, und sein Theater hat 100, vielleicht 200 Plätze. Genau wie Blaibach! Denn es ist absolut notwendig, dass das Publikum den Text verstehen und die Nuancen der Artikulation wahrnehmen kann. Yamamoto hat ein weiteres neues Stück geschrieben mit zwei Akten und einem Intermezzo dazwischen. Hauptfigur ist ein Pierrot, und als Intermezzo wird – anstatt der traditionellen No-Musik – „Pierrot Lunaire“ von Arnold Schönberg gespielt. Es wird sehr poetisch!
Seit 2015 sind Sie Generalmusikdirektor und Chefdirigent in Hamburg. 2024/2025 ist Ihre letzte Spielzeit dort. Haben Sie schon Pläne für Herbst 2025 – oder werden Sie ein bisschen ausruhen?
Nagano: Ich arbeite am Projekt „The Wagner Cycles“ in Dresden (Ziel ist ein historisch informierter „Ring“, 2025 steht „Siegfried an“; Anmerkung der Redaktion). Dann gibt es ein Projekt mit meiner alten Klavierlehrerin, Yvonne Loriod, der Frau von Olivier Messiaen. Sie war auch Komponistin – und wir versuchen das zusammen mit der französischen Nationalbibliothek ans Licht zu bringen. Mit den Hamburger Philharmonikern bleibe ich trotzdem verbunden, sie haben mich gebeten – wie Montréal Symphony und Concerto Köln –, aktiv zu bleiben als ihr Ehrendirigent.
Raimund Meisenberger
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