Kinokritik
„September 5“ zeigt Münchner Olympia-Terror aus Sicht eines Fernsehteams

08.01.2025 | Stand 10.01.2025, 14:24 Uhr |
Martin Schwickert

Was geschieht, wenn die Terroristen vor laufender Kamera Geiseln erschließen? Solche ethisch schweren Fragen mussten einige amerikanische Sportjournalisten beantworten, die die Welt 1972 mit den Bildern vom Olympia-Terror in München versorgten. − Foto: Constantin Film Verleih GmbH, Jürgen Olczyk, Teleschau

Als am 26. August 1972 aus dem Münchener Olympiastadion 5000 weiße Tauben in den Himmel flatterten, sollte dies ein weithin sichtbares Zeichen für ein neues, friedliches Deutschland sein, das seine kriegerische NS-Vergangenheit weit hinter sich gelassen hat. Aber es kam anders. Am 5. September stürmten acht Mitglieder des palästinensischen Terrorkommandos „Schwarzer September“ das Wohnquartier des israelischen Teams, töteten zwei Sportler und nahmen neun weitere Israelis als Geiseln.

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Durch das Versagen der deutschen Sicherheitskräfte kamen schließlich bei der Erstürmung des Fluchtflugzeuges in Fürstenfeldbruck 16 Menschen, darunter alle Geiseln, ums Leben. Die dramatischen Ereignisse von München waren schon oft Gegenstand filmischer Betrachtung. Kevin Macdonalds Dokumentation „Ein Tag im September“ (1999) wurde mit dem Oscar ausgezeichnet. Steven Spielbergs „München“ (2005) verfolgte die Arbeit einer israelischen Mossad-Einheit, welche die Verantwortlichen des Massakers zur Strecke brachte. Zum 50. Jahrestag der Olympiade untersuchte die ARD-Doku „Tod und Spiele“ die Ereignisse.

Ein ganz anderer, neuer Zugang

 Trotz dieser umfangreichen Aufarbeitungsversuche gelingt nun dem Schweizer Regisseur Tim Fehlbaum („Hell“) mit „September 5“ ein ganz anderer, neuer Zugang. Sein Film schließt sich ein in die Redaktionsräume des US-Fernsehsenders ABC, die sich in Sichtweite zu den Unterkünften der israelischen Sportler befanden. Als der junge Produzent Geoff Mason (John Magaro) seine Frühschicht beginnt, stehen Box-und Volleyball-Wettkämpfe auf dem Programm. Die ersten Schüsse der Terroristen sind im Studio deutlich zu hören und wenig später sickert die Nachricht der Geiselnahme durch.

Die schwere Studiokamera wird auf einen kleinen Hügel vor der Tür platziert. Ein Reporter und ein weiterer Kameramann beziehen in einem Apartment in direkter Nachbarschaft zum Tatort Quartier. Studienleiter Roone Arledge (Peter Sarsgaard) verlängert die Sendezeit für die Satellitenübertragung. Die Bilder aus dem Olympischen Dorf gehen nun direkt live in die ganze Welt. Mit gebührender Faszination zeigt Fehlbaum, wie hier mit den limitierten Mitteln des Analog-Zeitalters und großem Improvisationsvermögen die Live-Berichterstattung auf die Beine gestellt wurde.

Mit einer pulsierenden Dramaturgie verfolgt der Film die sich überschlagenden Ereignisse, die in den Redaktionsräumen klare, schnelle Entscheidungen von großer ethischer Tragweite erfordern. Was geschieht, wenn die Terroristen vor laufender Kamera Geiseln erschließen? Welche Verantwortung haben wir gegenüber den Angehörigen der Geiseln? Inwieweit greifen wir mit der Live-Berichterstattung ins Geschehen ein? Genau dies geschieht, als die ABC einen dilettantischen Befreiungsversuch von deutschen Polizeikräften filmt und die Terroristen durch die Live-TV-Bilder vor dem Einsatz gewarnt werden.

Mit „September 5“ reiht sich Fehlbaum ein ins Genre des Journalismus-Thrillers, das in den letzten Jahren von Filmen wie „Spotlight“ (2015) und „She Said“ (2022) geprägt wurde. Aber anders als diese Werke erzählt Fehlbaum keine lupenreine journalistische Erfolgsgeschichte, sondern beleuchtet einen Wendepunkt der TV-Historie, an dem Erfolg und Versagen eng ineinandergreifen.

900 Millionen Menschen waren live am TV dabei

 900 Millionen Zuschauer verfolgten damals durch die ABC-Kameras die dramatischen Ereignisse weltweit. Durch diese Bilder hat sich das Münchner Attentat fest im kollektiven Gedächtnis verankert. Und es sind nicht die Gesichter der getöteten Geiseln, die in die mediale Ewigkeit eingegangen sind, sondern die Aufnahmen der maskierten Terroristen.

Die Stärke von Fehlbaums Film ist, dass er selbst keine eigene Wertung vorgibt. Er zeigt den professionellen journalistischen Ethos der Fernsehleute ebenso wie ihr moralisches Scheitern. Und natürlich verweist dieser historische Film auch auf die aktuelle Social-Media-Landschaft, wo die ethischen Filter des Journalismus nicht mehr existieren und Terroristen ihre Gräueltaten selbst dokumentieren, um sie zu Propagandazwecken hochzuladen.

Martin Schwickert


• D 2024, von Tim Fehlbaum, mit Peter Sarsgaard, Leonie Benesch, 91 Minuten, frei ab 12 Jahren

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