„Tanz Linz“, die Ballettsparte des Linzer Landestheaters hat sich mit gewaltigem Paukenschlag nach etlichen suchenden Jahren seit der Ära Mai Hong Lin zurückgemeldet. Der Produktionsleitung Roma Janus ist es gelungen, den weltweit geschätzten Choreografen Emanuel Gat mit dessen Meisterwerk „Lovetrain 2.0“ zu gewinnen.
Seine unverwechselbare Handschrift lässt sich nicht kategorisieren und setzt das Publikum in größtes Erstaunen. Gat selbst war von der Linzer Bühne mit all ihren Möglichkeiten so begeistert, dass er sein berühmtestes Werk dafür bestimmte. Während der Pandemie ist „Lovertrain 2.0“ entstanden, teils als Show mit Musical-Einflüssen, die über den Begriff Ballett hinausgeht.
Tutu und Spitzenschuhe sind passé, es wird barfuß mit wunderbaren, ständig sich wandelnden Kostümen (Thomas Alfred Bradley) performt. Gat ist bestrebt, einen „dezentralen Prozess zu schaffen, der es jedem Tänzer und jeder Tänzerin erlaubt, ihre/seine Identität und Individualität zu bewahren“, wie es die Leiterin der Tanzsparte Roma Janus formuliert hat
Gat hat ausschließlich Musik von Tears for Fears verwendet, der kultigen Synthiepop- und Pop-Rock-Band aus England, 1981 gegründet. Er hat Songs ausgesucht wie den Titelsong „Sowing the Seeds of Love“ und den Hit „Shour“. Klare, pulsgebende Percussion mischt sich in den Kompositionen mit filigranen Synthieklängen und Roland Orzabals faszinierender Stimme.
Genial ist die herrlich laute Wiedergabe der Originalsongs mit perfektem, raumfüllenden Sound – die Band hätte ihre Freude daran! Zum Gesamtkunstwerk wird „Lovetrain 2.0“ durch eine fulminante Bühnen- und Lichtregie, welche Gat zusammen mit Guillaume Février kreiert hat.
Gleich sich bewegender Renaissancebilder wechseln Helligkeit und fantasiefördernde Dunkelheit, der Bühnenrauch wird zum romantischen Wolkenbild. Die 16 Tänzerinnen und Tänzer beeindrucken in groß angelegten Ensembles wie in intimen emotionalen Soli. Gat lässt Raum für individuelle Interpretationen mit nötiger Freiheit und persönlicher Kreativität. Jedes Mitglied ist ein Künstler und kann dies in verschiedenartigen Soli wunderbar demonstrieren. Synchrone Ensemblebewegungen beeindrucken durch unglaubliche Präzision, die durch die Kostüme und Licht noch verstärkt werden.
Atemberaubend winden sich die Solisten mal in Zeitlupe oder in ekstatischem Rhythmus mit einer Körperbeherrschung bis in die Zehenspitzen. Der gebürtige Israeli Gat fragt nachdem „Wie“ des Lebens, der Zuschauer soll sich fragen: „Was macht es mit mir?“
Die Faszination dieses Abends entsteht durch die Intensität und Professionalität der Choreografie, des Tanzes und der Musik. „Es geht um die Freiheit, die eigene Erfahrung zu haben, ohne das Gefühl, etwas nicht verstanden zu haben“, sagt Choreograf Gat. Am Ende nach 70 Minuten entfesselter Applaus, nicht enden wollende Bravi und glückliche Macher des Landestheaters Linz, das auch im Tanz sein hohes Niveau demonstriert hat.
Carola Baumann-Moritz
„Lovetrain 2.0“ ist wieder zu sehen am 2./7./17./29. November, 19. Dezember, 10./18./31. Januar, 8. Februar, 25. März und 25. April. Info und Karten gibt es auf www.landestheater-linz.at
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