Neuer Lyrikband aus Passau
Dichter Friedrich Hirschl beseelt die Natur: "Ein Rest von Blau"

10.10.2022 | Stand 19.09.2023, 4:19 Uhr

Dichter Friedrich Hirschl in seinem natürlichen Lebensraum: draußen in der Natur, die er mit liebevollem Blick in Verse fasst. −Foto: Nicole Schaller

Steht eine Entscheidung an, bei der keiner helfen kann, dann hilft vielleicht eine Stunde allein im Wald. Wenn im Kummer keiner da ist, der zuhört, dann hört doch der Fluss mit Geduld ohne Maß zu, nimmt Sorgen mit, wäscht sie im besten Fall fort oder lehrt im Fließen zumindest tröstend, dass alles vorübergeht. Wenn es Frühling wird, übersieht der eine die Knospen, der andere spürt das Leben: "Wiese Baum Strauch brechen / in grünen Jubel aus". Die Werke des 1956 geborenen Passauer Lyrikers Friedrich Hirschl sind eine Feier der Natur, schlichtes Betrachten, achtsames Wahrnehmen, tief empathisches Empfinden, poetisches Verdichten.

Seit 1987 publiziert Hirschl Gedichte und wurde dafür unter anderem mit dem kulturellen Ehrenbrief der Stadt und dem Kulturpreis des Landkreises Passau geehrt. Der frühere Pastoralreferent und Religionslehrer lebt mittlerweile als freischaffender Schriftsteller und hat nach "Flussliebe" 2012 und "Stilles Theater" 2017 nun seinen neunten Lyrikband "Ein Rest von Blau" veröffentlicht. Diesen Donnerstag, 13. Oktober, stellt Hirschl den Band – von der Viechtacher Edition Lichtung liebevoll gestaltet und mit einem Cover der Vilshofener Künstlerin Bernadette Maier – bei Bücher Pustet in Passau vor.

Friedrich Hirschls Kunst besteht darin, den achtlos gewordenen Blick auf Vertrautes neu aufzuladen mit Staunen und Hingabe. Noch so kleine Teile der Umgebung löst der Dichter aus ihrer Selbstverständlichkeit, besingt und beseelt sie. Handwerklich-lyrisch geschieht das vor allem dadurch, dass die knappen, vier- bis 18-zeiligen ungereimten Gedichte im freien Versmaß ihren Gegenstand um je eine Stufe auf der Evolutionsleiter erhöhen: Unbelebtes wird als lebendige Natur gedeutet: Nässespuren auf dem Asphalt sind Adern. Der Gartenschlauch ist eine Wasser speiende Schlange, das Meer ein wildes Pferd mit Schaum vorm Mund. Leblos Bewegtes wird lebendig. Lebendiges hebt Hirschl in menschliche Sphären, spricht den Dingen Seele, Gefühle und Willen zu: Aus Kaminen wachsen Rauchwälder, die Sonne küsst das Gesicht rot, der Wind fällt – berauscht von der Blütenpracht – über die Bäume her, die Stadt will unterm Nebel ein paar Tage nur für sich sein.

Im Blick von Hirschls Lyrik ist nichts, wie es ist. Nichts ist banal, alles ist subjektiv aufgeladen, lebendiger Akteur. Das dichterische Resultat ist bezaubernd, wenn etwa Hirschl mit Blick auf "Mohnblüten" sagt: "Im Grün / die rote Spur / Meine Liebe / ist übers Feld / zu dir gelaufen". Oder wenn das Abendrot zur Metapher einer Beziehung wird: "Himmel und Abend / lieben sich / Machen keinen Hehl daraus / Lassen es alle wissen / Doch viel zu schnell / mischt sich ins Rot / das Grau".

In elf Abschnitten auf 181 Seiten – für Lyrikverhältnisse geradezu verschwenderisch – widmet sich der Lyriker dem, was er auf seinen Spaziergängen beobachtet: Natur, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, Wind, Sterne, immer wieder vergnügter, lustvoller Vogelgesang: Selten inspirieren ihn Dinge wie Springbrunnen, Litfaßsäule, Mülleimer, Gleise. Fast noch seltener Menschen. Manche Begegnung ist keusch erotisch aufgeladen: Der Blick kommt nicht von den Frauenbeinen los, der Abdruck eines Gesichts bleibt "herznah zurück / und pocht". Explizite Erotik findet nur weit weg im Sternenhimmel statt: "Der Mond besteigt die Nacht / Es kühlt nicht ab / Es rinnt der Schweiß / Zerwühlt die Wolkenkissen". Schlussendlich wirft das Sichversenken in die Natur den Menschen zurück auf seine Vergänglichkeit. In rührend-tröstlichen Gedicht "Für K" nimmt Hirschl Abschied vom seinem 2015 gestorbenen Verleger Karl Stutz.

Kultur, Gesellschaft, modernes Leben spart Hirschl ziemlich konsequent aus. Treten sie in Erscheinung, dann als Störfaktor in Form von Handy, Display, Kopfhörer, die den Menschen hindern, in Kontakt zu kommen zur Welt oder gar zum Mitmenschen.

Hirschls Sprache ist klar, zärtlich und gibt dem Leser keinerlei Rätsel auf. "Meine Blicke streifen / der Bäume grünen Flor" mögen Kritiker als unzeitgemäß rügen. Hirschls Leser werden genau dies als Kompliment auffassen. Sie finden in diesem Band genau die richtigen Worte für genau die richtige Zeit.

Raimund Meisenberger

Edition Lichtung, 19,90 Euro. Lesungen am 13.10., 19.30 Uhr, Pustet Passau (0851/560890). 12.10. Stadtbücherei Regensburg, 5.11. Kulturzentrum Kuno Nürnberg, 25.11. Stadtbibliothek Freising