Giora Feidman in Raitenhaslach
Der "King of Klezmer" spielt für den Frieden

09.10.2022 | Stand 19.09.2023, 4:55 Uhr
Helmut Rieger

Als Giora Feidman 2019 zum ersten Mal in der Klosterkirche von Raitenhaslach spielte, war er vor der Ausstrahlung des Ortes so fasziniert, dass er unbedingt wiederkommen wollte. −Foto: Daniella Rieger-Böhm

Es war sein ausdrücklicher Wunsch, in diesem "Tempel" wieder aufzutreten: Als Giora Feidman 2019 zum ersten Mal ein Konzert in Raitenhaslach bei Burghausen spielte, war er von der Ausstrahlung des Ortes fasziniert. "This place is a temple", rief er beim Anblick der Klosteranlage aus. Nun hat sich der Wunsch des Welt-Musikers erfüllt. Mit neuem Programm und einem speziell für das "Friendship"-Projekt zusammengestellten Ensemble trat der nunmehr 86-jährige Ausnahmemusiker in der voll besetzten Kirche St. Georg auf, deren Apsis in ein fast magisch wirkendes Altrosa getaucht war.

"Ich beginne dieses Konzert mit einem Gebet"

Es ist ein ergreifender Moment, als der gebrechlich wirkende Maestro seine Klarinette – er spielt eine Spezialanfertigung aus Mopane-Holz – zur Hand nimmt. "Ich beginne dieses Konzert mit einem Gebet", sagt er schlicht und schon füllt sich der Kirchenraum mit dem warmen, runden Timbre seines Instruments. Nahtlos geht die Solo-Einleitung in ein fröhliches Klezmer-Motiv über, daraus entwickelt sich ein kontrapunktisches Spiel mit der Geige von Piotr Niewiadomski. Germán Prentkis Cello gesellt sich dazu, der Kontrabass von Nina Hacker legt swingend das Fundament und Sergei Tcherepanov komplettiert das polyphone Gespräch mit den Tasten des Cembalos.

Ein faszinierendes Ensemble, mit Altmeister Giora Feidman und seiner Klarinette als Zentrum, interpretiert mit Charme und Feeling den Zyklus "Freundschaft" von Majid Montazer. Mit dem 1978 in Teheran geborenen Komponisten, der mit elf Jahren nach Deutschland kam, verbindet Feidman eine Seelenverwandtschaft. Schmunzelnd kommentiert er: "Die Musik eines Moslems, gespielt von einem Juden in einer Kirche!" Das ist seit Jahrzehnten sein Programm: die Grenzen von Nationalität und Religion zu überschreiten. Die universelle Sprache der Musik sieht der kosmopolitische Herzensmusiker als Medium, Menschen verschiedener Kulturen zu verbinden.

Zwischen die Sätze dieser Suite schiebt der versierte Grandseigneur immer wieder Fragmente aus seinem Traditions-Repertoire: Seine Klarinette jubelt in Klezmer-Stücken wie "The Happy Nigun" und klagt in dem jiddischen Lied "Dos Kelbl". Hier setzt die vortragende Musik plötzlich aus und Feidman lädt das Publikum mit ausgebreiteten Armen ein, den bekannten Refrain ("Dona, dona") zu übernehmen. Verschmitzt lächelnd, belohnt er den "Chor" mit einem Kompliment: "Jedes Mal, wenn ich hierherkomme, klingen Sie besser!"

Dann wird er wieder ernst, fast traurig. In "Nostalgia" intoniert die Violine ein melancholisches Motiv, in "Hope" entsteht eine vierstimmige Fuge, die am Ende alle wieder zusammenführt. Selbst das allbekannte "Hallelujah" von Leonard Cohen klingt in Feidmans warmem Klarinettenton so, als würde man diesen Song zum ersten Mal hören.

Immer wieder bekannte jüdische Motive

Immer wieder flicht Feidman in Montazers komplexe und polyphone "Friendship"-Suite bekannte jüdische Motive ein. So wird nicht nur eine Brücke von der Modernen zur Tradition geschlagen, sondern auch – in Feidmans Worten – vom Geschöpf zum Schöpfer. Der Kirchenraum ist erfüllt mit einem Konzert, das die Zuhörerschaft für gut anderthalb Stunden die Zeit und Zeitläufe vergessen lässt. Die universelle Botschaft von Liebe und Frieden, die Feidman mit seinem aktuellen Ensemble wie eh und je vermittelt, wird vom Publikum dankbar und begeistert auf- und angenommen. Man kann sich gut vorstellen, dass dies an allen Orten dieser mehrmonatigen Tournee so sein wird.

Helmut Rieger