Ausstellung in Freilassing
Chiemgauer Künstlerin Sophia Kirst: Ich tanze, also bin ich

12.11.2022 | Stand 19.09.2023, 4:54 Uhr

Mit dem Thema Tanz als Ausdruck zwischenmenschlicher Begegnungsformen setzt sich Sophia Kirst auseinander. −Fotos: Effner

Tanz, das ist viel mehr als die Bewegung zweier Körper zur Musik. "Es ist eine Interaktion als Offenbarung zwischenmenschlicher Zugehörigkeiten – und Abgründe." Das sagt Sophia Kirst. Welche faszinierenden Facetten sich im Tanz als Ausdruck gewordenem "Fluss des Lebens" entdecken lassen, zeigt die Chiemgauer Künstlerin jetzt in Freilassing. Ihre Ausstellung "Dancer in Coll’or" in der dortigen Stadtgalerie ist noch bis 20. November zu sehen.

Gerade in der Coronazeit haben sich für viele eine ganze Reihe von Abgründen aufgetan. Quarantäne, soziale Isolation, Vereinzelung. Auf vereinzelte Formen des persönlichen und gesellschaftlichen Kollapses spielt der Ausstellungstitel an. Wie sich diese gesell-schaftliche Erstarrung des sozialen Miteinanders auf Menschen auswirkt, zeigt Sophia Kirst.

In der Auseinandersetzung mit dem Ausdruckstanz von Pina Bausch und den verschlungenen Körperskulpturen der belgischen Künstlerin Berlinde de Bruyckere entwickelt die gebürtige Münchnerin in ihren Werken eine ganz eigene Formensprache. In großformatigen Arbeiten lässt sie die Energie zwischen Menschen und Körpern in eruptiven Farbflüssen kristallisieren, die im Tanz und der Bewegung aufeinander zu- oder voneinander wegstreben.

Sind sie Ausdruck der Kontrolle, des Abstands und des Starrwerdens oder des Loslassens, der Leidenschaft und des Hingezogenseins? Aus früheren Zeichnungen in Kirsts Skizzenbuch sind in Freilassing großformatige Hingucker und Farbsymphonien voller Dynamik geworden. Wie in einer Art Apotheose steigen die zum Teil in extremer Körperspannung gezeigten und ineinander verschlungenen Tänzer im großformatigen Bild "Dancer in Coll’or V" auf.

In anderen Werken scheinen die im Tanz begriffenen Körper wie von einer unsichtbaren Kraft in die Höhe gezogen, gar zu schweben. Oder Kirst reizt wie in der Studie Nummer VII die von ihr speziell entwickelte Tuschetechnik dazu, einen liegenden Akt durch spezielle Farbakzente zu einer Metamorphose aus Stein und Fleisch werden zu lassen. In Studie Nummer IX löst sich der Körper schließlich gänzlich in einzelne Farbfragmente auf, während die zarte Zeichenlinie noch die Umrisse erkennen lässt.

Sowohl inhaltlich wie auch von der handwerklichen Umsetzung her ist Wasser das zentrale Medium für die 35-jährige Künstlerin aus dem Chiemgau. Erst im Au-gust wurde sie in Prien am Chiemsee mit dem Kunstpreis für "Junge Kunst" ausgezeichnet. Mit Tusche versetzt, entwickelt der Grundstoff allen Lebens auf dem Papier ein prozesshaftes Eigenleben, dessen Farben- und Formenreichtum fasziniert. Bei einem Masterlehrgang für Papierschöpfen hat Kirst nach dem Kunststudium in Maastricht die schöpferischen Ausdrucksmöglichkeiten des Elements Wasser entdeckt. In der Ausstellung in Freilassing ist daraus ein faszinierendes Vexierspiel zwischen Zeichnung und Farbflächen geworden.

Das Wechselspiel zwischen gesellschaftlicher Distanz und Isoliertheit sowie das Streben nach Gemeinschaft und Verschmelzung beherrscht auch die kleinformatigen Paar-Studien. Nach der Beschäftigung mit modernen Schöpfungsmythen und der Salzach als sinnbildlichem "Fluss des Lebens" bei Ausstellungen in Bernau und Burghausen geht die Chiemgauerin in der Auseinandersetzung mit dem Tanz in Freilassing existenziellen Fragen des Menschseins auf den Grund.

Was bewegt Dich und rempelt Deinen Geist an, fragt die Künstlerin mit einem Schuss Provokation und lächelt verschmitzt. Tanz als Ausdruck der Begegnung, des Fühlens, des Seins: "Manchmal scheinen wir das vergessen zu haben", sagt Sophia Kirst.

Axel Effner

Bis 20. November, Stadtgalerie Freilassing, Hermann-Ober-Platz 1, geöffnet Mi.-So. 14.30-19.30 Uhr, Sa. 11-17 Uhr