US-Erfolgsautor
Besser als „American Psycho“: Bret Easton Ellis’ Roman „The Shards“

16.01.2023 | Stand 17.09.2023, 5:22 Uhr

Bret Easton Ellis hat schon im Januar eines der Bücher des Jahres veröffentlicht: „The Shards“ – auf Deutsch „Die Scherben“. −Foto: Imago

Die Tage, in denen er auf seinen Lesereisen vom Verlag extra einen Aufpasser mitgeschickt bekam, der seine Drogenexzesse eindämmen sollte, sind vorbei. Im Alter von 58 nimmt Bret Easton Ellis, wie er beteuert, keine Rauschmittel mehr. Vom Cocktail, jeden Abend um halb acht, mal abgesehen. Das aber ist nicht der Hauptgrund, warum sein aktueller Roman „The Shards“ sein bester ist.

Besser als „American Psycho“ (1991), nach dessen Erscheinen Frauenverbände Sturm liefen, weil er so brutal, pornografisch und gefühlskalt vom Frauen mordenden Wall-Street-Yuppie Patrick Bateman erzählt hatte, der seine innere Leere mit Kokain und Gewalt zu bekämpfen suchte. Das Buch wurde Kult, als Fieberkurve der Generation X gefeiert und mit Christian Bale verfilmt.

Auch „The Shards“ handelt wieder von einem Serienmörder. Doch es geht um mehr. Das Buch ist spannender Thriller und Coming-Of-Age-Roman in einem. Die Reihe von schrecklichen Morden fällt zusammen mit dem Verlust der Unschuld. Der Roman ist ein literarisches Outing und zugleich Schlüssel zum Werk des 1964 in L.A. geborenen Bret Easton Ellis, der erstmals über seine Homosexualität schreibt, über die er seit zehn Jahren in Interviews spricht, die aber noch im zuletzt erschienenen „Imperial Bedrooms“ (2010) keine Rolle in seinen Büchern spielte. Es sei ein „fiktionales Werk“, steht am Schluss der 736 Seiten. „Abgesehen vom Autor selbst ist jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen größtenteils zufällig und nicht real.“ Und das ist ernst gemeint. Wort für Wort.

Die Hauptfigur der 1981 angesiedelten Handlung heißt Bret Ellis, ist 17 und macht gerade den Abschluss an der Buckley Prep School, einer teuren Privatschule, wo alle Schuluniformen tragen, um Statussymbolen keinen Raum zu bieten, was absurd ist, weil die Zwölftklässler morgens eh mit dem Jaguar, Mercedes oder Porsche der Eltern kommen. Ein Setting wie gemacht für den Markenfetischismus der Armani-Hemden und Gucci-Taschen, der in allen Büchern von Ellis eine Rolle spielt und von Pop-Autoren wie Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht nachgeahmt wurde. Partys, Songs und Drogen bestimmen die Gespräche in den Pausen, doch die entspannte Atmosphäre gerät unter Bedrohung, als mit Robert Mallory ein neuer Schüler kommt.

Der Ich-Erzähler meint ihn als Lügner zu entlarven, erkennt in ihm den als „Trawler“ bezeichneten Serienkiller, der für das Verschwinden von drei Mädchen verantwortlich gemacht wird, die gefoltert und grausam entstellt aufgefunden wurden. Der Täter näht den Opfern Teile ihrer Haustiere an den Körper.

Es beginnt ein enervierendes Katz-und-Maus-Spiel. Keiner der beiden Jungs lässt den anderen mehr aus den Augen. Wer observiert hier wen? Mal ist der eine Verfolger, mal der andere. Wie das beschrieben wird, ist großartig. Obsessiv, aufregend, angsteinflößend. Wer je daran gezweifelt hat, dass Bret Easton Ellis „echte“ Literatur produziert: hier ist der Beweis. Zumal das manische Versteckspiel eine zweite Ebene hat. Führt der Bret Ellis im Buch doch eine Doppelexistenz.

Eigentlich schwul kann er 1981 seinen Status an der Schule nur wahren, indem er keinem von seiner Leidenschaft erzählt und eine „Pantomime“ spielt, wie er es nennt. Als Freund der sozial gefestigten Debbie gibt er sich den Anschein, hetero zu sein. Doch während sie sich bei ihrer Party wundert, warum ihr Freund so weit entfernt scheint, verzehren dessen Blicke Debbies Vater Terry, der ihm als Hollywood-Produzent Hoffnung macht, aus dem Manuskript „Unter Null“, an dem Bret gerade schreibt, ein Drehbuch zu fertigen. Bald treffen die beiden sich im Motel, wo Bret ihm seine Ideen vorträgt und sich danach von Terry anhören muss, er habe ihm eine halbe Stunde seiner Zeit geschenkt, jetzt solle er ihm eine halbe Stunde schenken ... Als mit Matt dann noch Brets geheime Liebe Opfer des Trawlers wird, überschlagen sich die Dinge. Das Drama nimmt seinen Lauf.

Wie suggestiv Bret Easton Ellis über 700 Seiten die Spannung hält und Panik und Paranoia erzeugt, ist sagenhaft. Ein großer Roman. Schon im Januar eines der Bücher des Jahres.

Welf Grombacher


Bret Easton Ellis: The Shards. KiWi, 736 Seiten, 28 Euro