Kinokritik
Ariana Grande hext und singt im Kino: Wie gut ist der heiß erwartete Musical-Film „Wicked“?

11.12.2024 | Stand 13.12.2024, 14:39 Uhr |

Werden zu richtig guten Freundinnen: die beiden Hexen Cynthia Erivo (links) als Elphaba und Ariana Grande als Glinda. − F.: Universal Studios, Teleschau

Die Sache war eigentlich längst überfällig. Aber trotzdem, obwohl es letztlich nur eine Frage der Zeit war, hat es ganze 21 Jahre gedauert, bis „Wicked“ den Sprung geschafft hat – von der Bühne auf die Leinwand. In den zwei Jahrzehnten entwickelte sich das Musical schließlich zum globalen Übererfolg. Geliebt, gefeiert, vielfach ausgezeichnet und so oft angeschaut wurde es, dass es heute nicht nur eines der erfolgreichsten Broadwaymusicals aller Zeiten, sondern inzwischen selbst auch ein Klassiker ist wie das Fantasy-Werk, auf das es zurückgreift: „Der Zauberer von Oz“.

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L. Frank Baum schrieb bereits 1900 den Roman, der 1939 in berauschendem Technicolor-Bunt mit Judy Garland verfilmt wurde. Mit dem Blechmann, dem Löwen und der Vogelscheuche wanderte sie damals als Dorothy auf dem Weg zum Zauberer von Oz auf der gelben Backsteinstraße und bezaubert bis heute allein durch Songs wie „Somewhere Over the Rainbow“. Das Musical von Jon M. Chu („Crazy Rich“) fabuliert nun diesem heiß geliebten Kosmos mit ganz eigenen Songs ein spätes, modernes Prequel hinzu.

Der zweite Teil folgt in einem Jahr

 Der erste Teil des 300 Millionen Dollar teuren Zweiteilers, der in einem Jahr fortgesetzt wird, kreist dabei um zwei sehr gegensätzliche Figuren aus dem Land Oz: Popstar Ariana Grande gibt Galinda, die gute Hexe, und Cynthia Erivo spielt ihr Gegenstück Elphaba, die später zur bösen Hexe des Westens wird. In der Vorgeschichte sind sie allerdings noch Teenager und treffen im ersten Jahr an der Glizz-Uni aufeinander. Während Galinda wie ein beliebtes, naives, in jeder Hinsicht verwöhntes Barbie-Püppchen erscheint, ist Elphaba daran gewöhnt, Außenseiterin zu sein. Der Grund: Ihre Haut ist grün, von Geburt an, einfach so. „Ich bin nicht seekrank! Und ich habe auch nicht zu viel Gras gegessen!“, ruft sie denjenigen zu, die sie vor den Augen aller anderen mobben und lächerlich machen.

Doch ist Elphaba schon immer so böse gewesen, wie sie als böse Hexe des Westens in „Der Zauberer von Oz“ erschien? Natürlich nicht! In der Oz-revisionistischen Story von „Wicked“ ist das alles Propaganda, wie nach den 160 Minuten klar ist. Die Gut-Böse-Grenze, die Hollywood im Laufe der Kinogeschichte mit bequemlicher Klarheit gezogen hat, wird hier aufgelöst. Das Musical spürt vielmehr den Zwischentönen nach. Während in Oz großes Ungemach droht, fließen ins leichtfüßige Bombastspektakel so ernste wie ewig akute Themen ein: Ausgrenzung, Anderssein und die Verfolgung von Minderheiten, die von Herrschern zu Sündenböcken gemacht werden – von Flüchtenden bis hin zu Menschen aus der LGBTQ-Community.

Für diejenigen, die das Bühnenmusical nicht kennen, verrät „Wicked“ zudem nebenbei einige Geheimnisse von „Der Zauberer von Oz“. Warum ist die berühmte Backstein-Straße denn überhaupt gelb? Wie sind die fliegenden Späher-Affen zu ihren Flügeln gekommen? Auch darüber hinaus baut der Film liebevolle Anspielungen auf die Bühnenversion und den Filmklassiker ein.

Kinomagie funktioniert überraschend gut

 Sicher könnten trotz atemloser Bewegung einige Szenen etwas Straffung vertragen und manchmal ist auch die digitale Künstlichkeit des hochpolierten Spektakels zu überdeutlich zu erkennen. Doch abgesehen davon funktioniert die Kinomagie hier überraschend gut: Chus Musical macht Spaß, reißt mit seinen immer wieder ausgeklügelten Choreographien mit und berauscht mit seinen opulenten Kulissen und Kostümen als visuelles Zuckerwerk.

Und „Wicked“ wird von seinen beiden Hauptdarstellerinnen noch ein ganzes Stück weiter getragen. Allein schon Grande amüsiert hier mit ihrem augenzwinkernden Auftritt als herziges, aber auch selbstverknalltes Püppchen. Allerdings ist es Cynthia Erivo, die als introvertierte, kluge Außenseiterin wahrhaftige Emotion in dieses artifizielle Unterfangen bringt. Hinter ihrer Fassade wird auf anrührende Weise spürbar, was es bedeutet, ausgegrenzt zu sein.

Sascha Rettig


• USA 2024, von Jon M. Chu, mit Cynthia Erivo, Ariana Grande, 160 Minuten, frei ab 6 Jahren

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