Asmik Grigorian als Senta gefeiert
Triumph der Frauen beim "Fliegenden Holländer" in Bayreuth

25.07.2021 | Stand 21.09.2023, 6:36 Uhr

Asmik Grigorian als Senta und der Dirigentin Oksana Lyniv liegt das Publikum zu Füßen. −Foto: Bayreuther Festspiele GmbH

2021 ist alles etwas anders, und doch: Es Festspielzeit in Bayreuth – anders als 2020, als es Wagner nur im Fernsehen und im Stream gab.

Kein roter Teppich, keine offizielle "Auffahrt" der Karossen, zur fränkischen Bratwurst geht’s im Einbahnstraßensystem, Zutritt zum Festspielhaus hat nur, wer genesen, geimpft, getestet ist und Maske trägt, das Orchester hat in zwei Gruppen geprobt, der Chor wird geteilt, die Hälfte spielt stumm auf der Bühne, der Gesang der anderen Hälfte wird von hinter der Bühne in den Saal übertragen, wo pandemiebedingt auch nur 911 Gäste sitzen.



Die erste Frau am Pult

Im Fokus des Interesses: Zum ersten Mal in der Geschichte der Festspiele dirigiert eine Frau eine Oper bei den Richard-Wager-Festspielen. Oksana Lyiv (43), geboren in der Ukraine, war Assistentin bei Kirill Petrenko und teilt mit diesem wesentliche Auffassungen der Wagner-Interpretation. Der große romantische Klangrausch, die flächige Breite verweigert die Dirigentin, sie sieht sich und das Orchester der Bayreuther Festspiele offenbar als Instrument, die Textdeklamationen der Gesangssolisten zu illustrieren, mit einer auffallenden Fülle sensibler wie kleinteiliger Variationen in Lautstärke und Tempo und Phrasierung, so dass Anhänger großflächigerer Klangbilder sich nach der Vorstellung über eine "überambitionierte" Darbietung mokieren. Leitet Lyniv anfangs stellenweise betont zurückhaltend, so drängt sie im Laufe der Oper das Geschehen voran, baut den Stimmen eine Bühne - und wird beim Schlussapplaus mit Riesenjubel bedacht.

Die Regie

Schiffe mit roten Segeln, Klippen, Buchten, Wogen kommen nicht vor in Dmitri Tcherniakovs Regie, ebensowenig Matrosenanzüge in Elena Zaytsevas Kostümen. Der Regisseur und zugleich Bühnenbildner setzt die romantische Oper um Fluch, Geister und Erlösung in eine kleinbürgerlich-dörfliche Küsten-Welt aus hässlich monotonen braunen Klinkersteinen, in der Hauptsache spielt die Handlung in der Kneipe, auf der Straße und im Platzangst erzeugend engen Wintergarten, wo Holländer und Senta aneinander verschachert werden.

Dieser Holländer ist nicht verflucht, weil er den Teufel herausgefordert hat, er leidet unter einem Kindheitstrauma, seine Mutter hat sich erhängt, so erzählt Tcherniakov in der Ouvertüre. Nach sieben Jahren kehrt der sehnende Holländer wieder in seinen Heimatort zurück (eher als auf den Weltmeeren unterwegs war er vielleicht im Gefängnis) und sucht Erlösung durch Rache am damaligen Verführer seiner Mutter (namens Daland), an dessen Kumpanen und am Ort selbst, der schließlich Schauplatz mehrerer Morde und einer Feuersbrunst wird. Senta wiederum will keineswegs verfluchte Geister erlösen, sondern fühlt sich als rebellische Außenseiterin im Dorf sich tendenziell zu einem Mann hingezogen fühlt, der noch mehr Außenseiter ist als sie.

Manche Bilder wie die Polonaise tanzenden Matrosen auf der Straße zu Beginn des dritten Akts geraten so billig, dass es Zwischenrufe auf dem Publikum gibt. Und wenn im Duett Holländer-Senta die Musik zwei Seelen verschmelzen lässt, die Regie aber die beiden in die kühle Statik des Wintergartens platziert, dann geht die Regie am Wesen des Textes wie auch der Musik vorbei. Schwere Buhgewitter hageln auf das Regieteam. Nicht, weil das Publikum so konservativ wäre, sondern weil die Regie dem Werk alle Metaphysik so gründlich austreibt, bis der banale Realismus eines russisch-skandinavischen B-Klasse-Gangsterfilms übrig bleibt.

Die Sänger

Beschränken wir uns für die Nachtkritik auf die drei Figuren im Zentrum: Wie alles, was Georg Zeppenfeld in Bayreuth anpackt, gelingt ihm auch der Daland blendend. Sein Bass hat die nötige Gravität wie auch die Gewandtheit, die es braucht, um der Kaufmannsseele Daland Würde und liebenswerte Leichtigkeit zugleich zu geben. Zeppenfelds sonore Tiefe ist legendär.

Der schwedische Bariton John Lundgren war schon 2018 in Bayreuth als Holländer zu hören. Er verfügt eigentlich über alles, was der Holländer braucht: Fülle, die Fähigkeit zur dämonisch dunklen Farbe, machtvolle Spitzentöne, und nebenbei eine imposante Erscheinung und Körpersprache, die den zurückgekehrten Outlaw etwas Unheimliches verleiht. Im Lauf der Oper aber wirkt seine Vorstellung des Öfteren zu routiniert wenig zupackend und auch angestrengt.

Asmik Grigorian macht in ihrem Rollendebüt als Senta dort weiter, wo sie 2018 bei den Salzburger Festspielen als Salome Schwung genommen hat. Zu ihrer schauspielerisch intensiven Darstellung des Outlaw-Mädchens, das im Frauenchor sich dem Summ-und-Brumm-Spinnlied verweigert und lieber morbide Balladen von verfluchten Typen singt, kommt eine Stimme, die für Senta, wie sie die Tradition kennt, fast schon zu explosiv ist. Grigorian singt sie jugendlich und hochdramatisch, mit drastischem Furor - ein fulminanter Auftritt.

Mehr zur Eröffnungspremiere lesen Sie am Dienstag, 27. Juli, im Feuilleton der Passauer Neuen Presse.