Neue Biografie
Sophie Scholl: Von der Hitlerjugend in den Widerstand

Wer war Sophie Scholl vor der Weißen Rose? – Werner Milstein erzählt ihr Leben in "Einer muss doch anfangen!"

23.03.2021 | Stand 25.10.2023, 10:54 Uhr

Leistete Widerstand in der NS-Diktatur: Sophie Scholl. −F.: dpa

Selten vermitteln Biografien einen so unmittelbaren und frischen Zugang zum Leben einer Persönlichkeit: Werner Milstein, früher Gemeindepfarrer und Verlagsmitarbeiter und jetzt als Religionslehrer am Berufskolleg im Sauerland tätig, legt zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl eine Biografie unter dem Titel "Einer muss doch anfangen" vor.

In 18 Kapiteln erzählt er das Leben des Mädchens, das zu einer Symbolfigur des Widerstands gegen Hitler wurde. Während man die traurige Geschichte der "Weißen Rose" in den Tagen des Januars und Februars 1943 kennt,

ist das Leben der Sophie Scholl davor relativ unbekannt.

Werner Milstein geht zurück an die Quellen, an den Geburtsort Forchtenberg und Wohnort Ludwigsburg. Vater Robert Scholl war Ortsvorsteher, Mutter Lina eine tüchtige Hausfrau. Sophie hatte vier Geschwister. Nachdem der Vater als Ortsvorsteher abgewählt worden war, ging die Familie nach Ludwigsburg und dann nach Ulm.

Das Verdienst des Autors ist es, den politischen und gesellschaftlichen Kontext der Lebensstationen aufzuzeigen. So war die Garnisonsstadt Ulm schon Ende der 20er Jahre eine Hochburg der braunen Bewegung.

Vater Robert Scholl war Pazifist und fühlte sich abgestoßen. Die Kinder Scholl aber waren von den NS-Jugendorganisationen sehr angetan. Der Autor beschreibt die Mechanismen, wie die NS-Machthaber die Kinder und Jugendlichen auf ihre Seite zogen. Auch Hans und Sophie Scholl machten Karriere in der Hitlerjugend. Freundin Eva Amann wird später erzählen, dass Sophie Scholl "sehr fanatisch" für den Nationalsozialismus war. Was das Mädchen freilich nicht verstehen kann: dass die jüdische Mitschülerin Luise Nathan nicht Mitglied der Jungmädelschaft werden kann und die Lyrik Heinrich Heines nicht beim Heimatabend gelesen werden darf. Dass ihr Bruder Hans wegen homosexueller Handlungen angeklagt wurde und diese auch zugab, verschweigen die Eltern dem Mädchen Sophie.

1937 hat sie sich aber von der Hitlerjugend gelöst und schrieb: "Ich habe nichts mehr zu geben, nichts mehr zu nehmen."

Ihr Freund Fritz Hartnagl wird in einem Kapitel beleuchtet: Über 300 Briefe haben sich von den beiden erhalten. Sophies Verhältnis zu Fritz Hartnagel war von einem Wechselbad der Gefühle und einem unterschiedlichen Grad von Distanz und Nähe geprägt.

1940 machte Sophie Abitur und ließ zur Kindergärtnerin ausbilden. Milstein schreibt über die Veränderung, die Susanne Hirzel an ihrer Freundin festgestellt hatte und sprach von "klarem Kopf und mutigen Urtheil". Ab 1941 musste Sophie Scholl Arbeitsdienst in Schloss Krauchenwies leisten; schließlich kam sie dort zu einer Arbeiterfamilie, um den Haushalt zu führen. Als sie nach dem Reichsarbeitsdienst auch noch zum Kriegshilfsdienst eingezogen werden sollte, entschloss sie sich, Medizin zu studieren.

Ein neues Leben begann für Sophie Scholl als Studentin in München, wo sie viele Intellektuelle, katholische Priester und Philosophen kennenlernte, auch Professor Huber. In einer seiner Vorlesungen bekam sie ein Flugblatt der "Weißen Rose" (die Gruppe nannte sich übrigens nicht so, hat aber unter diesem Namen ihren Platz in der Geschichte gefunden) in die Hand – und erkannte, dass es aus ihrem studentischen Umfeld kommen musste. Bruder Hans und Alexander Schmorell waren die Urheber. Sophie schloss sich an.

Werner Milstein stellt auch weitere Mitglieder des Freundeskreises vor: Christoph Probst und Willi Graf. Thrillerartig und dicht beschreibt der Autor die Flugblatt-Aktionen und die letzten Tage und Stunden von Hans und Sophie Scholl vor ihrer Hinrichtung am 22. Februar 1943.

Diese Unmittelbarkeit besticht, zieht den Leser rein. Und doch: An vielen Stellen, vor allem bei Zitaten, hätte man sich wissenschaftliche Belege gewünscht. So gut sich die Biografie liest, hat sie doch häufig romanhafte Züge. Sie ist jedoch ein packender Ausgangspunkt für eine weitere Beschäftigung mit Sophie Scholl, die am 9. Mai vor 100 Jahren geboren wurde.

Edith Rabenstein



•Werner Milstein, Einer muss doch anfangen! – Das Leben der Sophie Scholl, Gütersloher Verlagshaus, 207 Seiten, 15 Euro