Premiere in Landshut
Niederbayerns Stolz: Zum ersten Mal ist Richard Wagners "Walküre" in der Region zu sehen

18.04.2022 | Stand 21.09.2023, 3:58 Uhr

Bassist Stephan Bootz war in seiner Rolle als Göttervater Wotan Publikumsliebling des Premierenabends. Hier ist er in einer Szene mit Sopranistin Yamina Maamar zu sehen, die Wotans Tochter Brünnhilde darstellte. −Foto: Peter Litvai

Es wird ein wenig Geschichte geschrieben am Landestheater Niederbayern. Zum ersten Mal seit der Uraufführung 1876 ist in der Region zu erleben, was sonst der Staatsoper in München oder den Bayreuther Festspielen vorbehalten bleibt: Richard Wagners Vierteiler "Der Ring des Nibelungen". Am Karsamstag 2022 war Premiere und niederbayerische Erstaufführung des zweiten Teils "Die Walküre" vor 350 Besuchern im 440 Personen fassenden Theaterzelt in Landshut. Ein gelungener, ein stolzer Abend.

Es hat eine gewisse tröstliche Ironie, dass gerade die mäßig geliebte Interimsspielstätte auf dem Messegelände mit ihrer größeren Bühne und dem größeren Orchestergraben dem Landestheater Niederbayern den Vorstoß in Wagner’sche Operndimensionen und bundesweite Aufmerksamkeit ermöglicht hat. Das Wagner-Abenteuer des Theaterverbunds von Passau, Landshut und Straubing, das 2016 mit "Tristan und Isolde" begonnen hat, soll im April 2023 mit der Götterdämmerung seine Vollendung erfahren.

"Der Ring" als Ansporn für ein Theaterneubau

Dass dieser niederbayerische "Ring" auf Bayreuther Niveau stattfindet, wie Ursula Weger, Vorsitzende der Theaterfreunde Landshut (die bis heute das Haus mit einer halben Million Euro unterstützt haben) beim Empfang sagt, braucht nicht als Tatsache begriffen werden; es ist schönster Ausdruck von patriotischem Stolz. Dass der "Ring" Ansporn sein sollte für einen "Theaterneubau, der einer Regierungshauptstadt würdig ist", da ist dem Landshuter Stadtrat Ludwig Zellner nur zuzustimmen.

Hinein ins Werk, in die Premiere: Diese niederbayerische "Walküre" ist ein Genuss, und das liegt zuallererst an den Gastsolisten. Der Ire Aaron Cawley ist als Siegmund weit mehr als nur Ersatz für den erkrankten Hans-Georg Wimmer. Sein Tenor ist so kraftvoll wie fein gefärbt, mühelos in den Höhen, präsent in der Tiefe, und er ergänzt sich bestens mit Peggy Steiners Sieglinde-Sopran. Eine jugendlich anmutende, klare Stimme mit schnellem Vibrato und hellem Flirren darin, zudem ein Musterbild an Textverständlichkeit. Ensemblemitglied Heeyun Choi gibt Hunding seinen erschütternden Bass und asiatische Bösewicht-Attitüde, Judith Genrich ihrer Fricka ihren unversöhnlich-kühlen Mezzo – wunderbar, wenn Rolle und Klang so harmonieren.

Liebling des Abends ist Stephan Bootz, der als Bass seinen Göttervater Wotan oben zwar schnell ins Falsett führt, in den mittleren und tiefen Lagen verleiht er der Figur umso gravitätischere Autorität. So voluminös, dunkel und emotional gestaltet er singt, so facettenreich spielt er: hier der liebende, scherzende Vater, dort der unerbittlich Strafende. Seine Stimme und sein Charisma stellen Yamina Maamar als Brünnhilde weitgehend in den Schatten. Technisch ist der Rollendebütantin kein Vorwurf zu machen, doch ist ihr Sopran so sanft, die Stimmstruktur so marmoriert, dass sie im hochdramatischen Fach geräuschhaft und nicht ganz zu Hause wirkt. Ein Extralob haben die Walküren für ihre präzise Pracht verdient: Emily Fultz, Claudia Bauer, Kathryn J. Brown, Sabine Noack, Reinhild Buchmayer, Juliane Wenzel, Christina Rehm und Christina Blaschke.

Richard Wagner und Basil Coleman eine gute Paarung

Richard Wagner und Generalmusikdirektor Basil Coleman erweisen sich wie schon im "Rheingold" als gute Paarung. Den ersten Akt nimmt er noch recht streng metrisch und gestattet sich und der Niederbayerischen Philharmonie kaum Freiheiten. Nicht immer klingt über die Breite des Grabens jeder Einsatz synchron, manche Chromatik strebt in Richtung Glissando. In den Akten zwei und drei werden Dirigent und Orchester zunehmend freier und selbstsicherer. Colemans straffe Tempi tun Wagner gut. Und ganz besonders schön gelingen ihm und dem um 19 auf 61 Musikerinnen und Musiker aufgestockten Orchester gerade die lyrischen Zaubermomente der Partitur.

Das Bühnenbild von Karlheinz Beer greift die im "Rheingold" gesetzten Motive auf: Die raumhohen Bücherregale als Metapher der göttlichen Gesetzlichkeit (und menschlichen Lebensferne) sind um 90 grad gekippt, in Hundings Haus ist der Wert dieser Normen plastisch erfahrbar: Die Bücher dienen als Heizmaterial. Gefüllte und leere Regale, ergänzt mit Florian Rödls Videoprojektionen, bilden Haus, Baum, Gebirge und Walkürenfelsen.

Tilchs Lust an der Ironisierung nicht immer hilfreich

Regisseur und Intendant Stefan Tilch und Kostümbildnerin Ursula Beutler frönen hemmungslos dem Eklektizismus: Alle ästhetischen und semantischen Strahlen des "Rings" in die heutige Popkultur sammeln sie in einem Bündel von Assoziationen, Gesten, Gewändern, Requisiten. Der Herr der Ringe klingt an, Game of Thrones, Comic und Alltag. Der Grat zwischen spielerischer Kontextualisierung und Kessel Buntem ist schmal: Dass "Wölfling" Siegmund das rettende Schwert Nothung in Gestalt von "Wolverine"-Krallen erhält, ist eine gelungene Abwechslung. Mehrmals schadet Stefan Tilchs Lust an der Ironisierung aber auch dem Werk.

Dass die per Handy und Social Media kriegstreibenden Walküren eine Spice-Girls-artige Choreografie aufführen müssen, dass Brünnhilde Dehnungsübungen macht, bevor sie Siegmund den Tod verkündet, dass Macho Hunding demonstrativ sein Gemächt packt und Ende des ersten Akts brennt wie in einer Rammstein-Rock-Show – das bereichert weniger als dass es banalisiert. Subtil jedenfalls ist es nicht. Sollte es dieser Regie am Ende aber genau damit gelingen, Wagnerfans zu erquicken und zugleich ein opernfernes Publikum "abzuholen", dann war der Intendant weiser als die Kritik.

Raimund Meisenberger

•In Passau nur zwei Vorstellungen in der Dreiländerhalle am 10. und 12. Juni, Infos und Karten auf landestheater-niederbayern.de

•Der "Ring" geht weiter mit "Siegfried" am 6. November 2022 und "Götterdämmerung" am 30. April 2023