"Tatort Bayerischer Wald"
Kurzkrimis: Dieser Wald hat Geheimnisse

30.09.2022 | Stand 20.09.2023, 4:53 Uhr

Die Schönheit des Bayerischen Waldes, hier die Hammerklause im Erweiterungsgebiet des Nationalparks, ist offensichtlich. Doch was lauert hinter der wunderbaren Fassade? Die Anthologie "Tatort Bayerischer Wald" hat darauf durchaus schaurige Antworten. −Foto: Armin Weigel/dpa

Mit Heimatkrimis ist das ja so eine Sache. Wenn Dorfsheriff X und Kommissarin Y in Kaff A oder Kleinstadt B den nächsten Mordfall löst und dabei wahlweise mit Beziehungsproblemen oder eine ausgewachsenen Alkoholsucht zu kämpfen hat, dann wird das in der Regel oft gelesen und gerne darüber geschmunzelt. Es gilt aber leider auch: Sehr viel Masse, oft weniger Klasse. Nur Lokalkolorit reicht eben doch nicht und der nächste Eberhofer ist mitnichten einen Witz entfernt.

Armbrustsuizide in Passau stehen gleich mal Pate

Eine gewisse Skepsis mag also erlaubt sein, wenn einem ein Büchlein mit dem Titel "Tatort Bayerischer Wald" in die Hände fällt. Das Versprechen: Zehn Kurzkrimis, "die regionalen Charme, Humor und natürlich jede Menge Spannung aufs Vergnüglichste vereinen". Nun gut, was man halt so schreibt ... Doch tatsächlich: Die von Leonhard F. Seidl zusammengestellte Anthologie kann diesen Anspruch einlösen – zumindest in großen Teilen.

Es geht schon einmal packend los: Zwar noch nicht direkt im Bayerischen Wald, dafür aber in Passau, wo sich Martin von Arndt von realen Ereignissen inspirieren lässt und die rituellen Armbrustsuizide in einer abgelegenen Pension von 2019 zu einem Rachedrama um eine verzweifelte Mutter umdichtet. Beklemmend.

Das lässt sich auch über den Kurzkrimi "Schwarzhof" von Tommie Goerz sagen. Der widmet sich den Häusern, die in den frühen Siebzigern dem Eixendorfer Stausee (Landkreis Kehlheim) weichen mussten. Und er spürt den Menschen nach, die diesem Großprojekt nicht weichen wollten und plötzlich nicht mehr aufspürbar waren.

Einige Geschichten haben dem Genre Regionalkrimi gemäß einen humoristischen Einschlag, ohne dabei jedoch klamaukig zu werden. In Tanja Kinkels "Neulich in Bodenmais" ist etwa kein Mensch, sondern ein Habichtskauz-Weibchen das Opfer eines ruchlosen Killers geworden, während sich in "Personalanpassung" von Roland Spanger einem unbeliebten Kollegen beim Teambuilding am Großen Arbersee en passant entledigt wird. Sanft ins Politische geht es in dem Fall von Herausgeber Seidl, in dem dem bayerischen Umweltminister nach einer Entführung während eines Hochwassers in Deggendorf das Wasser nicht nur sprichwörtlich, sondern ganz real bis zum Halse steht. Rettung gibt es nur, wenn die Klimaziele von Paris endlich eingehalten würden...

Zwei Geschichten spielen jenseits der Grenze in Tschechien. Besonders gelungen ist der Fall "Der dritte Mann" von Elmar Tannert, wo nach einem Fest die reichlich angetrunkene Feuerwehr nach einem vermissten Mädchen suchen muss und der tschechische Kommissar seinen Fall nicht nur mit Hilfe einiger Bierchen löst, sondern anschließend auch noch in durchaus brauchbare Lyrik verwandelt.

Versierte Krimiautoren in einem Buch versammelt

Alle zehn Kurzkrimis sind übrigens nicht von Einheimischen geschrieben, sondern von versierten Krimiautorinnen und -autoren aus dem Stall des Verlags Ars Vivendi, die bereits auch in anderen Anthologien wie "True Crime Franken" zu lesen waren. Das Weniger an Lokalkolorit wird ausgeglichen durch ein Mehr an stilistischem Anspruch und dem Willen zu ungewöhnlichen Erzählformen. Etwa in "Auf der Himmelsleiter" von Friederike Schmöe, wo eine Frau in Briefform bitterböse mit ihrer grausamen Schwester abrechnet.

Um wirklich Hochspannung aufbauen zu können, sind die Geschichten zu kurz – kurzweilig und oft genug originell sind sie allemal. Und eines ist am Ende klar: Dieser Wald hat Geheimnisse.

Dominik Schweighofer

Leonhard F. Seidl (Hrsg.): Tatort Bayerischer Wald. Zehn Kurzkrimis, Ars Vivendi, 199 S., 14 Euro