Start der 25. Tournee
Das Niederbayerische Kulturmobil startete mit "Un-geheuer" und "Extrawurst" in Deggendorf

12.06.2022 | Stand 19.09.2023, 2:38 Uhr
Michaela Schabel

Der banale Kauf eines neues Grills sorgt für einen riesen Streit: "Extrawurst" ist eine amüsante Inszenierung des Kulturmobils, die einen über das Miteinander in unserer Gesellschaft nachdenken lässt. −Foto: Michaela Schabel

1997 kurvte das Kulturmobil zum ersten Mal von Deggendorf aus durch Niederbayern. 2013 mussten die Vorstellungen wegen der Flut abgesagt werden. Am Samstag feierte das Kulturmobil sein 25-jähriges Jubiläum in der sommerlichen Atmosphäre des Stadthallenparks mit einem kleinen Sektempfang und zwei witzigen Theaterstücken. Bezirkstagspräsident Olaf Heinrich begrüßte die Gäste und dritte stellvertretende Bürgermeisterin Renate Wasmeier machte mit dem Wortspiel "Ungeheuerliche Extrawurst" auf beide Stücke neugierig, die um die Frage kreisen, wie wir miteinander leben wollen.

Was getitelt mit "Extrawurst" urbayerisch wirkt, entpuppt sich als Sozialgroteske überall und jederzeit in Deutschland vorstellbar. So wurde während der Premiere der Tennisclub in Deggendorf zur Zielscheibe menschlichen Ausrastens. Anlass ist die banale Anschaffung eines neuen Grills, woraus sich die Frage ergibt, einen zweiten Grill für Erol, dem einzigen Türken, zu genehmigen. Er ist mit Torstens Frau im Doppel das Aushängeschild des Vereins, der sich unter dem dominanten Vorstand von Dr. Heribert Bräsemann sehr konservativ gibt. Es wird nur in Weiß gespielt, jede Entscheidung suggestiv formuliert durchgewinkt. Der Vize Matthias hat nichts zu melden. Kein Wunder, dass über Mitgliederschwund geklagt wird.

Autor Dietmar Jacobs, deutscher Top-Kabarettist, mehrfach ausgezeichnet, präsentiert zusammen mit Autor und Comedian Moritz Netenjakov in "Extrawurst" eine scheinbar harmlose Komödie mit sozialpolitischen Abgründen. Unter der Regie von Christoph Krix gewinnt das bewusst etwas behäbig beginnende Stück durch schnelle Taktung schnell an Fahrt. Die Formulierungen gehen unter die Haut, provozieren nicht nur Lacher, sondern einen Nahkampf, der Wunden zufügt und durch die Nähe zum immersiven Theater das Publikum zum Mitentscheiden ermächtigt.

Jede Figur steht für eine gesellschaftliche Gruppe. Melanie (Lina Maria Spieth) bringt mit ihrer Gutmensch-Mentalität den Stein ins Rollen, indem sie einen zweiten Grill fordert, überhaupt nicht akzeptabel für Vizevorstand Matthias (Stefan Voglhuber), der sich in seiner kleinbürgerlichen Geltungssucht immer mehr als populistischer Rechter outet und nur allzu gern Heribert (Peter Kempkes) als Vorstand ausbootet. Melanies Mann Torsten (Julius Bornmann), veganer Atheist und Inkarnation der Toleranz rastet aus, und Erol (Kolja Heiß) bringt mit einer Parodie türkischer Klischees das Fass zum Überlaufen.

Ständig verschieben sich die Positionen, irritieren durch unerwarteten Schlagabtausch. Die Eskalationsstufen steigen bis zum Knock-out. Da helfen keine Entschuldigungen mehr, nur noch der Austritt. Eine erfrischend ironische Inszenierung zum 25-jährigen Jubiläum des Kulturmobils.

"Un-geheuer" oder eben nur individuell?

Alle nehmen vor dem "Un-geheuer" reißaus. Zu bizarr ist sein Aussehen, seine Kleidung, seine Figur. Weil es so seltsam aussieht, hat jeder Angst vor ihm. Ein Erzähler (Johannes Schön) möchte "Die Geschichte vom Un-Geheuer" zum Besten geben, doch das Ungeheuer (Eva Gottschaller) plappert ständig dazwischen, will sich nicht bevormunden lassen, Freude haben, Waffeln essen, Schach spielen, in die Oper gehen. Ob es nicht sein "Un" dem Trödler oder der Nachbarin (Laura Trischkat) andrehen könnte? Dabei ist doch gerade das "Un" das Besondere an ihm. Es herzugeben wäre unverzeihlich, wie alle anderen sein zu wollen, doch viel zu langweilig.
Lena Hachs Kindertheaterstück "Die Geschichte vom "Un-geheuer" zielt auf Freundschaft trotz äußere Unterschiede, auf Selbstbewusstsein, wenn man anders ist.

Unter der Regie von Mareike Zimmermann gelingt ein ausgelassenes, fröhlich ausgestelltes Kinderstück, das durch die ständigen Versprecher des Erzählers zum Lachen animiert und das Publikum miteinbezieht. "Nein, nicht Tanzen, Wanzen hat er gesagt", moniert das Ungeheuer mit Hilfe des Publikums, das dieses Ungeheuer immer sympathischer findet und begeistert mitschwingt, wenn es vor Glück tanzt, als es endlich eine Freundin findet, mit der es in die Oper gehen darf. Dass rundherum die Plätze plötzlich frei sind, spielt jetzt keine Rolle mehr. Der Blickwinkel hat sich verändert.

Michaela Schabel

Alle Infos und Termine unter www.kulturmobil.de