Landestheater Niederbayern
Sextett-Besetzung statt Orchester bei "Roberto Devereux" in Passau

22.11.2021 | Stand 25.10.2023, 10:54 Uhr

Trauer und Tristesse nach der Hinrichtung Robertos: Elisabetta (Eva Bodorová) und das Kind Elisabetta (Madita Siedenburg) mit der wie auf einem Schafott hingestreckten Sara (Iryna Zhytynska) sowie dem Chor. −Foto: Peter Livai/Landestheater Niederbayern

Wenn ein Theaterintendant bei Spielbeginn – noch dazu in Coronazeiten – vor den Vorhang tritt, bedeutet es meist nichts Erfreuliches. So musste Stefan Tilch am Samstagabend in Passau verkünden: "Uns hat es auch erwischt." Das Landestheater Niederbayern konnte deshalb die Belcanto-Oper von Gaetano Donizettis "Roberto Devereux" "nur" in Kammerbesetzung spielen: Generalmusikdirektor Basil Coleman saß am Klavier; weiter musizierten von der Niederbayerischen Philharmonie zwei Violinen, eine Viola, ein Violoncello und ein Kontrabass. Es ist kaum zu glauben, wie schnell Coleman diese sehr anspruchsvolle Partie am Klavier einstudiert und bühnenreif umgesetzt hat. Diese Flexibilität aller agierenden Musiker verdient höchstes Lob.

Es war nicht nur in dieser Hinsicht eine absolut packende Premiere. Gastregisseur Urs Häberli erzählt die Geschichte von Macht, Liebe und Eifersucht nahezu als Kammerspiel der großen Emotionen. Die Bühne wird beherrscht von hohen verschiebbaren Wandelementen in Schwarz mit wenigen Requisiten wie Thron, Stühlen, Kiste (die wie ein Schafott wirkt) und natürlich dem blauen Schal, dem Liebespfand, das den Tod bringt. Ein Vorhang im Stil der englischen Landhaus-Stoffe von Morris & Co assoziiert Privatheit und in einer Szene Intimität (einfach und doch raffiniert gemacht!). Ein großer dunkler Plastiksack hängt inmitten der Bühne, der sich auch mal wie ein Uhrpendel bewegt. Man glaubt, einen Kopf darin zu erkennen. Man kann damit das Lebenspendel assoziieren, zumal die kleine Elisabetta es anstößt. Das Mädchen Elisabetta (Madita Siedenburg) ist ein Kunstgriff des Regisseurs, der damit auf die Vorgeschichte zurückgreift, aber auch schon die Zukunft weist. Neben der Unbeschwertheit beim Spiel mit den Blättern sieht man auch die geköpfte Puppe, die an das Schicksal der Mutter oder das der Maria Stuart erinnert. Bei der schnellen Entrümpelung der Kindheits-Kiste sieht der Zuschauer leider zu wenig; die Kiste ist für das Mädchen zu groß.

Die düstere Atmosphäre des Dramas wird unterstützt durch die Kostüme des Männerchors. Die Parlamentarier tragen schwarze Gehröcke, Melonen und Umbrellas. Die Ausstattung der Damen ist farbiger und bildet damit einen guten Kontrast (Ausstattung: Marcel Zaba). Auch Video von Florian Rödl kommt zum Einsatz; leider nicht konsequent bis zum Ende durchgeführt. Perfekt ist dagegen die Lichtregie.

Urs Häberli konzentriert sich sehr auf die Personenregie und entwickelt für die Hauptpersonen ein dramatisches Psychogramm. Dies wird von den Darstellern mit viel Verve umgesetzt. Elisabetta von Eva Bodorová ist ein absolutes Ereignis. Die slowakische Sopranistin (sie sang u. a. bei den Bregenzer Festspielen) debütierte heuer mit dieser Partie am Staatstheater Košice. Ihr Timbre ist leicht dunkel, schillernd in den gutturalen Tönen und wie gemacht für die Rolle dieser emotionalen und machtbesessenen englischen Königin. Sie lässt sich konsequent auf die Untiefen dieser äußerst schwierigen Partie ein. Perfekt perlende Koloraturen, sauber gesungene Intervallsprünge und eine ausgefeilte Dynamik sorgen für Begeisterungsstürme am Ende.

Nicht minder begeistert ihre Widersacherin Sara, gesungen von Iryna Zhytynska. Die Mezzosopranistin aus der Ukraine (war bereits im "Rosenkavalier" und in "Anna Bolena" am Landestheater zu erleben) gibt eine mädchenhafte Jugendfreundin Robertos, deren Liebe zu ihm nie erkaltet ist, die gleichzeitig als Zofe der Queen fungiert. Weich und vielseitig, von zärtlich bis hochdramatisch, sehr beweglich in ihrem Ausdruck gestaltet sie ihre Rolle. Sara, die von ihrem Ehemann fast erwürgt wird, liegt am Ende ausgebreitet wie auf dem Schafott.

Ihren Ehemann Nottingham interpretiert Bariton Kyung Chun Kim mit außerordentlicher Bühnenpräsenz. Sein jäher Wandel vom Bittsteller für den Freund zum Rächer an dem Verräter gestaltet er eindringlich. Geschmeidig und kraftvoll lotet er diese Partie aus und wird am Ende zum Berserker.

Große Freude überden Theaterchor

Titelheld Roberto wird von dem spanischen Tenor Vicent Romero gesungen, der in dem superstarken Ensemble leider blass bleibt. Ab dem zweiten Finale entwickelt er darstellerisch und sängerisch mehr Format, lässt aber Textdeutlichkeit vermissen. Für einen jungen Sänger wie ihn ist es jedoch eine respektable Leistung.

Passgenau in ihren Interpretationen: Tae-Hwan Yun als Lord Cecil und Miroslav Stričevic als Sir Gualtiero Raleigh.

Groß ist die Freude, endlich wieder den Theaterchor zu hören, der von Leni Papakyriakou solide einstudiert wurde.

Berührt waren am Ende alle von dieser packenden, letzten Musikpremiere vor Weihnachten und auch von der Tatsache, dass man Theater noch live erleben kann.

Weitere Termine: 6.2., 18./19.2., 13./19.3., 1.4. Karten unter 0851/9291913