Rap mit Doktortitel
Bayerns beste Bands: Das Ding ausm Sumpf

09.07.2020 | Stand 21.09.2023, 21:44 Uhr
Marion Sentef

"Da gibt’s Abgründe, da kann man tanzen" – sagt Stefan Mühlbauer alias Das Ding ausm Sumpf über . . . Franz Schubert. −Foto: Marek Beier

Das Ding ausm Sumpf macht heute hauptsächlich Hip-Hop mit deutschen Texten. Das war nicht immer so. Stefan Mühlbauer – so heißt der Wahlmünchner mit bürgerlichem Namen – ist promovierter Volkswirt, die Finanzwelt stand ihm offen. 2018 entschied sich der 36-Jährige Wahlmünchner allerdings für die Musik. In seinen Songs verbindet er aussagekräftige Texte mit starken Bässen: "Die Leute sollen sich zu jeder Zeit nassschwitzen können", sagt er. Das können die Leute auch, wenn sie sein neues Album mit dem Titel "kränk" hören.



Es gelten neue Lockerungen für Kunstschaffende, wie fühlst du dich?
Stefan Mühlbauer: Als Musiker ist es gemischt. Ich selbst bin unfassbar glücklich nach unserem Single-Release. Da kommt ein Song raus, bei dem mir 50 Leute helfen, ein Video zu kreieren. Insbesondere in Zeiten, in denen normale Kanäle wie Live-Auftritte ausgetrocknet sind und alles sehr existenziell wird, ist es umso schöner, diese Unterstützung zu erfahren.

Der neue Song heißt "Der Kraken". Wer sind die Fische, wer der Kraken?
Mühlbauer: Fische sind wir alle irgendwie, ich auch. So viele von uns versuchen, das Besondere auf der Welt zu sein, der Kraken, das mythische Wesen, der Herrscher der Meere. Das ist eine Metapher auf die Popwelt. Es ist in Ordnung, der Kraken zu werden. Aber man muss mit dieser Stellung etwas tun. Man kann mal ein schlechtes Album machen, aber was ich nicht akzeptiere, ist, wenn man nur noch Musik releast, weil man Geld damit verdient. Bevor ich etwas mache, bei dem es um nichts geht, würde ich lieber bei einer Bank arbeiten.

Wie hat der Video-Dreh zum Song in Corona-Zeiten funktioniert?
Mühlbauer: Das hat sehr gut funktioniert. Es haben über 50 Leute mitgemacht, die sich alle für sich selbst etwas einfallen haben lassen, der eine hat animiert, andere haben gezeichnet, gebastelt und genäht. Es wurden eine Menge Wege gefunden, den Text des Songs zu präsentieren und darzustellen. Da waren Fans dabei, Freunde und Familie, da waren aber auch ganz viele Kollegen dabei, die Rapper Lemur und Conny, oder die Schauspielerin Léa Wegmann. Die Bühnenbildnerin Linda Sollacher hat einen vier Meter großen Kraken gebaut. Ich glaube, ich wäre ohne Corona nicht auf die Idee gekommen, so viele Leute zu fragen, ob sie ein Video mit mir machen wollen, und ich glaube auch nicht, dass so viele Leute zugesagt hätten. Ich glaube schon, dass das die Magie von einer Katastrophe ist. Es gibt auch Seiten, die Hoffnung geben können.



Wie war die Quarantäne-Zeit für dich?
Mühlbauer: Diese Ausnahmesituation ist für den Großteil aller Beteiligten im Business existenzbedrohend. Ich bringe mein Album raus und eine Woche später redet kein Mensch mehr darüber was passiert ist, weil Corona da ist. Das hat mich emotional schon getroffen., Dieser Bombeneinschlag hat neben wahnsinnig viel Angst auch wahnsinnig viel Energie freigesetzt, weil ich wusste, die Welt wird eine andere sein danach. Ich konnte die Beine gar nicht stillhalten, mir sind sofort Zeilen dazu eingefallen, der Quarantäne-Song zum Beispiel. Am Dienstag kam die Idee und am Samstag war das Video mit dem kompletten Song dazu fertig.

Wir haben überlegt, wenn wir keine Konzerte spielen dürfen, dann spielen wir einfach Konzerte überall. Wir haben im Fahrstuhl gespielt, im Sumpf. Das fühlte sich schnell richtig an, weil wir festgestellt haben, die Leute sind dankbar dafür. Es fühlt sich auch ein bisschen surreal an, aber ich glaube das ist das "kränke", was ich auf meinem Album auch schreibe.

Ist der Albumtitel "kränk" auch eine Anspielung darauf, wie verrückt es ist, dass du seit 2018 hauptberuflich Musiker bist?
Mühlbauer: Absolut. Auch im gleichnamigen Titelsong geht es massiv um diese Entscheidung. Mein Doktorvater hat zum Beispiel gesagt: "Mühlbauer, mach doch wie jeder andere ein Hobby daraus". In meiner Familie war es das Gleiche, da haben schon viele zu mir gesagt, du bist "kränk", das ist Quatsch, aber es hilft nichts. Es ist ein Fieber und es brennt, also muss ich es machen. In ganz vielen Teilen des Albums geht es um Verletzungen und Symptomen von Krankheiten. In einem anderen Song geht es darum, wie das Aufwachsen im Klosterinternat war und was das für Verletzungen bei uns hinterlassen hat. "Kränk" passt einfach sehr gut zu sehr vielem auf dem Album.

Beeinflusst dich dein Operngesangstudium in der Musik, die du heute machst?
Mühlbauer: Dadurch, dass ich als Hip-Hopper Sarastro von Mozart in der Zauberflöte gesungen habe, oder Schubert Winterreise und trotzdem auch Hip-Hop gehört habe, habe ich ziemlich schnell ein Gefühl für Grenzen verloren. Das verstehe ich heutzutage auch oft nicht. Ganz oft, wenn meine Musik promotet wird, heißt es: Das ist nicht Hip-Hop. Ich habe Probleme damit, was die Leute mit Hip-Hop meinen. Für mich hat ein Schubert genauso viel Bumms wie die neue Run-the-Jewels-Platte. Da ist Message, da sind Emotionen, da brennts, da gibt’s Abgründe, da kann man tanzen, selbst zu einer Nummer, bei der es nur Klavier gibt. Das ist definitiv übriggeblieben, dass ich verlernt habe, Grenzen zu erkennen und mich irgendwie danach zu orientieren.



Du bist Teil des Spitzenförderprogramms By.on des Verbands für Popkultur in Bayern. Inwiefern hilft dir das?
Mühlbauer: By.on ist etwas, das unfassbar groß und einzigartig ist, nicht nur dieses Programm selbst, sondern auch die Menschen, die dafür stehen, dafür gekämpft haben und das immer noch tun. Die Möglichkeiten, die By.on eröffnet und die Anschübe die dabei herauskommen sind beeindruckend. Ich konnte dadurch auf dem Reeperbahn Festival spielen und eine Woche später mit Fatoni in Berlin auf einem Fritz-Cola Event, weil ich zuvor in Hamburg war. Man kann Musiker werden nicht lernen, man kann Musiker sein lernen. By.on treibt einem in den Kursen die sie anbieten Flausen aus dem Kopf. Sie zeigen dir, wenn du es schaffen willst ist es auch machbar. Für die wirtschaftliche Seite musst du einfach bestimmte Dinge selbst tun, dich darum kümmern, bestimmte Dinge verfolgen. Du musst dir Fragen stellen und daraus dein Projekt kreieren.

Was früher Labels und PR-Agenturen für einen gemacht haben, das kann man auch für sich selbst machen. Man muss es auch für sich selbst machen, weil es so viel weniger zu verdienen gibt. Früher, als noch mehr Geld zu holen war, war es in Ordnung, dass es so viele einzelne Gewerke in der Musikindustrie gab, aber die gibt es jetzt nicht mehr. Dass ich von der Musik leben kann, hängt nur damit zusammen, dass ich die meisten Dinge selbst mache. Das ist nicht sexy, es ist nicht Rock’n’Roll seine GEMA Folgen einzureichen, es ist nicht Rock’n’Roll seine Pressetexte selbst zu schreiben, das ist alles nicht Rock’n’Roll, aber durch By.on kriegt man die Füße auf den Boden und weiß, in welche Richtung man gehen muss. Es ist großartig, dass ich schon so lange Teil davon sein darf. Ich bin jetzt in Phase zwei, auf der Zielgerade. Ich glaube schon, dass viel Glück dabei ist. Es gibt Zufälle, aber By.on hilft dem Zufall schon gut auf die Sprünge.

Ist es dir als Musiker wichtig politisch aktiv zu sein?
Mühlbauer: In meiner Musik muss es um etwas gehen. Es gibt die Ebene der politischen Themen wie Rassismus, aber auch Diskriminierung von vielen anderen Gruppen, von Menschen deren Sexualität nicht akzeptiert wird, von Armen. Das sind die politischen Themen, und fester Bestandteil meines Weltbilds ist der Glaube, dass man diese Themen politisch angehen muss. Ich glaube aber auch, dass das Lösen dieser Probleme im privaten Bereich beginnt, weil ich glaube, dass das meiste Unheil im privaten Bereich beginnt. Wenn ich versuche, Menschen meine Gefühle greifbar zu machen, sodass sie sich mit mir identifizieren können und erkennen, dass es ihnen oft genauso geht, kann ich den Menschen zeigen, dass man aus dem Müll, der in einem ist, ein Schiff bauen kann, das die Welt umfährt. Ich bin ein zutiefst politischer Mensch.