Marias jüngstes Kind wurde im Kalifat der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) geboren. Sie floh vor dem Terror in die Ukraine, kurz darauf griff Russland Marias Heimat an. Jetzt leben Maria und ihre vier Kinder in einem Concordia-Haus in Moldau und lernen Frieden.
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Bis Yasin* sechs Jahre alt war, kannte er fast nur Krieg. Nur drei Monate lebte er ohne Schüsse, Bomben und Raketen. Der Junge wurde 2016 im Herrschaftsgebiet der Terrororganisation Islamischer Staat in Syrien geboren. Ende November 2021 floh er mit seiner Mutter und seinen drei älteren Geschwistern in die ukrainische Hafenstadt Odessa, die Heimat seiner Mutter. Drei Monate später schlugen dort die ersten russischen Raketen ein. Jetzt lebt Yasin in einem Concordia-Haus in Moldau, in dem 13 vor dem Kriege geflüchtete ukrainische Frauen und Kinder Schutz gefunden haben. Hier lernt Yasin ein Leben ohne Todesangst.
So begann Yasins Leben im Kalifat des Islamischen Staates
Jahre bevor er geboren wurde, führte eine verhängnisvolle Begegnung auf der Krim dazu, dass Yasins Leben im Kalifat des Islamischen Staates begann. Bevor Russland 2014 die zur Ukraine gehörende Halbinsel annektierte, verliebte seine Mutter Maria sich dort in einen Mann. Sie war Christin, er Muslim. Aus Liebe zu ihrem Mann konvertierte Maria, nahm seinen Glauben an. Damals ahnte die blonde Frau nicht, dass ihr Mann sich schon bald radikalisieren würde, die studierte Tourismus-Expertin und ihre drei gemeinsamen Kinder unmittelbar nach der russischen Invasion der Krim zwingen würde, mit ihm nach Syrien zu ziehen, in den Krieg, nach Al-Rakka, die Hauptstadt des selbsternannten Kalifats des Islamischen Staates in Syrien.
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Von hier aus kämpfte die Terrorgruppe gegen den von Russland unterstützten syrischen Diktator Baschar Al Assad, zwang Menschen, ihren fanatischen Glauben anzunehmen, ließ Andersgläubige hinrichten, steinigen, vergewaltigen, versklaven und auspeitschen und führte mit zwangsrekrutierten Kindersoldaten einen erbarmungslosen Krieg gegen Frauen- und Menschenrechte. Über das, was sie und ihr Mann im Kalifat getan und was ihre Kinder dort erlebt haben, möchte Maria nicht sprechen. Sie sagt lediglich: „Weder mein Mann noch ich haben gekämpft. Aber es herrschte Krieg. Wir mussten oft umziehen, um uns und die Kinder in Sicherheit zu bringen.“
Nur mit Rucksäcken zu Fuß über die Grenze
Maria, die sich in Syrien voll verschleiern musste und deren Wert beim IS hauptsächlich daran bemessen wurde, wie viele Kinder sie zur Welt brachte und wie gehorsam sie ihrem Mann war, erkannte bald, dass es ein katastrophaler Fehler war, ihrem Mann, der sich in Syrien schnell eine zweite Frau nahm, in den Krieg zu folgen. Trotzdem wurde Yasin in Syrien in den Krieg geboren. Kurz nach seiner Geburt trennte Maria sich von ihrem immer radikaleren Mann, wollte mit ihren Kindern in ihre Heimat zurückkehren. Doch sie wusste nicht, wie sie aus dem Kriegsgebiet fliehen kann und befürchtete, dass die Menschen in ihrer alten Heimat Angst vor der Syrien-Rückkehrerin haben könnten. Doch sieben Jahre nachdem sie von ihrem Mann gezwungen worden war, mit ihm in den Krieg zu ziehen, gelang es ihr schließlich, mit ihren Kindern zurück in die Ukraine zu fliehen.
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Im November 2021 kommt sie mit ihren Kindern bei ihren Eltern in Odessa an. Ihre Kinder Kateryna (damals 15) und Burak (damals 13) haben noch Erinnerungen an ein Leben in Frieden, Oksana (damals 8) und Yasin (damals 6) müssen sich daran erst gewöhnen, dass keine Bomben fallen. Bruder und Schwester bleiben dafür weniger als 100 Tage – dann holt der Krieg sie mit russischen Marschflugkörpern ein.
Zwei Wochen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine überqueren Maria und ihre Kinder nur mit Rucksäcken auf den Rücken zu Fuß die Grenze nach Moldau. Wenige Tage später ziehen sie zusammen mit acht anderen aus der Ukraine geflüchteten Frauen und Kindern in ein Concordia-Haus am Rand des Dorfes Bolohan, im Osten Moldaus, ein. Bis zum Krieg, bis zur ukrainischen Grenze, sind es von hier aus keine 20 Kilometer.
Maria betritt die Flüchtlingsunterkunft vollkommen verschleiert. „Ich war mir nicht sicher, wie die Leute auf meine Kleidung reagieren würden, aber wir sind von den Concordia-Mitarbeitenden und den anderen Geflüchteten sehr freundlich empfangen worden", sagt die Frau, die ihr blondes Haar mittlerweile nicht mehr bedeckt, sich von einer ebenfalls ins Concordia-Haus geflohenen ukrainischen Tattoo-Künstlerin die Augenbraue hat piercen lassen und sich inzwischen genauso kleidet wie die anderen jungen Mütter in der Flüchtlingsunterkunft.
Concordia hat Maria geholfen, ihre vier Kinder in Schulen in Moldau einzuschulen. Ihre zehnjährige Tochter Oksana ist heute nicht in der Schule, weil sie Bauchschmerzen hat. Den Vormittag verbringt das Mädchen, die Malerin werden möchte, malend mit ihrer Mutter. Neben der kostenlosen Unterkunft erhalten Maria und ihre Kinder von Concordia regelmäßig Buntstifte und Papier, Lebensmittelpakete und Hygiene- und Schulartikel. „Ich bin Concordia wahnsinnig dankbar für alles, was sie hier für mich und meine Kinder tun. Trotzdem würde ich gerne so bald wie möglich mit ihnen in die Ukraine, meine Heimat, zurückkehren. Aber dafür muss Frieden herrschen“, sagt die alleinerziehende Mutter von vier Kindern.
Heute bereut Maria ihren katastrophalen Fehler
Maria denkt lieber an eine hoffentlich friedliche Zukunft für ihre Kinder, als mit der Vergangenheit zu hadern. Denn sie weiß: „Natürlich habe ich einen großen Fehler gemacht, als wir nach Syrien gingen. Aber ich bin von meinem damaligen Mann manipuliert worden. Es bringt nichts, sich ständig damit zu quälen.“
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Maria weiß nicht, ob ihr Ex-Mann noch in Syrien ist und ob er überhaupt noch lebt, aber sie weiß genau, dass sie sich nie wieder von einem Mann dazu zwingen lassen wird, eine für ihre Kinder und sich falsche Entscheidung zu treffen. Die vor dem IS-Terror geflüchtete Mutter hat sich geschworen: „Ich kämpfe jetzt nur noch für mich und meine Kinder. Ich bin jetzt eine starke Frau. Was bleibt mir auch anderes übrig.“
* Die Namen der Kinder wurden aus Kinderschutzgründen von der Redaktion geändert.
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