Es herrscht Ausnahmezustand in den Tierheimen. Aber nicht, wie man meinen möchte, wegen zur Ferienzeit ausgesetzter Vierbeiner. Das Problem ist ein anderes, sagen die Tierheime in Passau, Plattling und Reisbach unisono. Es ist die unkontrollierte Vermehrung von Katzen.
„Wir ertrinken in Katzenbabys“, sagt Pia Artmann vom Tierheim Quellenhof Passbrunn in Reisbach (Landkreis Dingolfing-Landau). 90 Kitten müssen dort versorgt werden, insgesamt 160 Katzen. Dazu 22 Hunde, sechs Pferde und jede Menge Kleintiere. „Wir sind komplett voll!“
Der Grund für die Katzenschwemme: Die Besitzer lassen ihre Fellnasen nicht mehr kastrieren. „Das ist deutschlandweit ein zunehmendes Problem“, sagt Artmann. Eigentlich sei hier sogar die Politik gefordert, denn die Tierheime kommen an das Ende ihrer Kapazitäten. Beim Platz, personell und auch finanziell. Die meisten Kitten sind verwaiste Fundtiere. Das Problem sei nicht nur die große Menge, sondern auch deren Zustand. Ein Großteil von ihnen ist unterernährt, verwahrlost oder hat den gefährlichen Katzenschnupfen. „Viele unserer Katzenkinder haben deshalb schon ihre Augen verloren“, erzählt sie. Und das trotz sofortiger ärztlicher Versorgung und Quarantäne. Blinde Katzen sind so gut wie unvermittelbar.
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Quellenhof braucht dringend ehrenamtliche Helfer
Für das Tierheim ist die Flut an Katzen nicht nur ein finanzielles Problem - Futter, Katzenstreu, Tierarztkosten und Medikamente müssen ja bezahlt werden. Auch personell ist im Quellenhof Notstand. Sieben Tierpfleger, zwei Azubis und zwei Helfer kümmern sich um all die Tiere. Was fehlt, ist ehrenamtliche Unterstützung. Hier kann das Tierheim nur auf drei regelmäßige Unterstützer zählen, die zum Beispiel beim Putzen helfen oder auch einmal eine Schmuseeinheit übernehmen. „Wir wäre für jede Hilfe sehr, sehr dankbar“, sagt Artmann.
Im Plattlinger Tierheim ist man mit zwölf festangestellten Kräften und ausreichend ehrenamtlichen Helfern eigentlich gut aufgestellt. Der zunehmenden Katzenflut wird man aber auch hier kaum Herr. Heike Stöger, Geschäftsleiterin im Tierheim, sieht ganz klar die Politik in der Pflicht. Sie fordert wie auch ihre Kollegen aus den anderen Tierheimen einen Kastrationspflicht, um das Leid der Katzen endlich zu beenden und den Tierheimen wieder Luft und Kapazitäten zu verschaffen. Denn die hat man in Plattling auch nicht mehr. An die 100 Katzen, 12 Hunde und rund 35 Kleintiere belegen alle Plätze. Hinzukommen die rund 20 Katzen, die bei den Mitarbeitern privat in Pflege sind. Die Warteliste für Abgaben ist lang und wird nach Brisanz abgearbeitet, sagt Stöger.
„So schlimm wie heuer war das Katzenproblem noch nie“
„Das Katzenproblem gibt es schon länger, so schlimm wie heuer war es aber noch nie“, sagt sie. Da wären auch Kastrationsaktionen des Tierheims an den bekannten Brennpunkten im Landkreis Deggendorf nur ein Tropfen auf den heißen Stein. 400 Katzen - 200 Madel und 200 Buben - wurden so letztes Jahr kastriert beziehungsweise sterilisiert. Kostenlos. Das Tierheim in Plattling kann solche Aktionen durchführen, weil es eine eigene Tierärztin im Team hat. Dafür gibt es dann von der Regierung von Oberfranken in Bayreuth einen Zuschuss auf Antrag. Normalerweise kostet die Kastration bei der Katze 100 Euro, beim Kater rund 70 Euro. Bayreuth ist auf Weisung des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz für das Förderverfahren aller Tierheime in Bayern zuständig.
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Wie ein Sprecher des Staatsministeriums auf Anfrage der Mediengruppe Bayern mitteilt, stellte der Freistaat im vergangenen Jahr insgesamt 2 Millionen Euro für Projekte zur Verfügung, die die Vermehrung herrenloser Hauskatzen eindämmen sollen. Prinzipiell seien für Maßnahmen zur Verminderung der Zahl freilebender Katzen aber die Kreisbehörden zuständig. Die Ermächtigung, entsprechende Vorkehrungen zutreffen, sei den Landratsämtern und kreisfreien Städten am 1. April 2015 übertragen worden.
Landkreise hadern mit Kastrationspflicht
Auf Kreisebene ist man allerdings ziemlich hilflos. Das liegt an der Formulierung des Gesetzestextes. Darin steht, dass es der Feststellung eines konkreten Vorliegens von Fällen bedarf. „Auch müssen die Gebiete, für die so eine Verordnung gilt, klar festgelegt und räumlich eng begrenzt werden, etwa auf Ortschaft oder Ortsteil“, so Oliver Menacher, Sprecher am Landratsamt Deggendorf. Zudem sei eine derartige Verordnung kaum umsetzbar, weil sie sich praktisch nicht kontrollieren ließe. Gänzlich ausschließen will er die Kastrationspflicht für Katzen im Landkreis Deggendorf aber nicht: „Das Landratsamt wird eine solche Verordnung nur erlassen, sofern konkrete Fälle und abgrenzbare Gebiete definiert werden können und die Umsetzbarkeit der Regelungen gewährleistet ist.“ Menacher begrüßt die kostenlosen Kastrationsaktionen durch den Tierschutzverein Deggendorf. Eine Durchführung solcher Aktionen auf Kosten des Steuerzahlers durch das staatliche Veterinäramt sei aber nicht möglich.
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Mittler: Katzen unbedingt registrieren lassen
Die Katzenthematik kennt man auch in Passau allzugut. Bettina Mittler von der Passauer Tierschutzbewegung beklagt nicht nur den mangelnden Kastrationswillen der Besitzer. Auch die Nachlässigkeit vieler Herrchen und Frauchen bei der Registrierung ihrer Samtpfoten sei ein Problem. „Wir sind immer erleichtert, wenn eines der Fundtiere gechippt ist“, so Mittler. Denn dann könne der Besitzer in der Regel schnell ausfindig gemacht werden. Vorausgesetzt, das Tier ist auch registriert bei Tasso, der europaweiten Haustierdatenbak. Und das sind eben sehr viele Katzen nicht. Für Mittler unverständlich. Denn im Gegensatz zum Chippen beim Tierarzt ist die Registrierung bei Tasso kostenlos und ganz einfach online zu erledigen.
Mittlers Arbeitstag geht in diesen Wochen nicht selten bis 23 Uhr. Aus ganz unterschiedlichen Gründen. Vor ein paar Tagen erst erhielt sie abends einen Anruf von der Passauer Polizei, dass ein Mann in seiner Wohnung bewusstlos aufgefunden wurde. Dessen Hund aber wollte die Rettungskräfte nicht zu dem Patienten vorlassen. Darum wendete man sich an sie. Das ist aber nur ein Beispiel von vielen. Hier war sie froh, helfen zu können. Aber es gibt auch Fälle, die gehen ihr zu Herzen. Der von Shi Tzu Puffi, der als verstörter Fundhund mit schweren Augenverletzungen ins Tierheim kam. Die Besitzerin, eine Frau aus Rumänien, hatte sich nach einem Aufruf in den sozialen Medien sogar gemeldet. Haben wollten sie den zehnjährigen Hund aber nicht mehr. Und von den vierstelligen Tierarztkosten wollte sie auch nichts wissen. Oder der Fall von Jack, dem Schäfer mit dem treuen Blick, der mit massiven Ohrenentzündung und Milbenbefall aus einer Messi-Wohnung gerettet wurde. Mittler: „Es ist kaum vorstellbar, wie herzlos manche Menschen sein können“.
Fünfstellige Kosten für Tierarzt
Derlei Fälle hat sie zwar das ganze Jahr über, im Sommer ist es aber noch einmal eine Spur ärger. Warum das so ist? Sie weiß es nicht. „Vielleicht weil dann auch die Tiere selber aktiver sind.“ Aber das ist nur eine Mutmaßung. Mittler indes ist froh, so viel Unterstützung von außerhalb, von den Mitgliedern der Tierschutzbewegung und den vielen ehrenamtlichen Helfern zu bekommen. Ohne die wäre das Engagement zugunsten der Tiere nicht möglich beziehungsweise finanziell zu stemmen. Allein für den Tierarzt betrugen die Kosten im ersten Halbjahr 2024 gut 35.000 Euro. Und das sind nur die regulären Leistungen wie Eingangscheck oder Impfungen. Sonderbehandlungen wie die Hüft-OP für Husky Cezar in Höhe von 7.000 Euro sind da nicht eingerechnet.
Artmann, Stöger und Mittler hoffen auf den September. Wenn die Ferien vorbei sind, entspannt sich die Situation in den Tierheimen erfahrungsgemäß wieder. Jetzt, vor der Urlaubszeit, sucht kaum jemand nach einem neuen vierbeinigen Partner. „Im Herbst wird es hoffentlich wieder besser.“ Zumindest was Hunde und Kleintiere betrifft. Das Katzenproblem aber wird wohl bleiben.
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