Iryna Trokhym leitet die Organisation Center for Women’s Perspectives in der Ukraine. Der Partner von CARE stellt bei seiner humanitären Hilfe die Bedürfnisse von Frauen in den Mittelpunkt. Gerade in Kriegszeiten sind sie besonders schutzbedürftig.
Frau Trokhym, Ihre Organisation legt den Fokus auf die Hilfe für Frauen. Brauchen diese in Kriegszeiten besonderen Schutz?
Iryna Trokhym: Frauen mit kleinen Kindern zum Beispiel haben andere Bedürfnisse als andere Geflüchtete. Sie brauchen etwa sichere Plätze, an denen sie stillen können. Oder wenn sie das vor lauter Stress nicht können, benötigen sie Babynahrung, auch Windeln und anderes Hygienematerial. Oft sind diese Frauen alleine unterwegs. Wenn sie Behördengänge machen oder zum Arzt müssen, dann brauchen sie einen Hort, in dem ihre Kinder sicher betreut werden. Darum kümmern wir uns als Frauenrechtsorganisation zum Beispiel gerade.
Wie erreichen Sie diese Frauen?
Iryna Trokhym: Wir verteilen Infobroschüren an Geflüchtete. Darin finden die Menschen Tipps und konkrete Anlaufstellen. Es geht auch darum, dass wir den Frauen und ihren Kindern psychologische Hilfestellung geben und ihnen zeigen, wie sie sich in Kriegszeiten schützen können.
Alle Berichte zur Spendenaktion 2022 finden Sie auf unserer Sonderseite.
Sie sprechen von sexueller Gewalt und Ausbeutung?
Iryna Trokhym: Viele Frauen, die aus den Kriegsgebieten flohen, haben traumatische Erfahrungen gemacht. Uns wurde über sexuelle und physische Gewalt berichtet. Frauen haben uns erzählt, dass sie sich an russischen Blockposten ausziehen mussten. Soldaten hätten ihre Körper und Tätowierungen gemustert, um zu sehen in welcher Sprache die Schriftzüge der Tattoos verfasst waren. So hätten die Soldaten zwischen russischen und ukrainischen Frauen unterschieden. Bereits das ist ein Teil von sexueller Gewalt.
Wie arbeiten Sie mit Frauen, die solche Dinge erlebt haben?
Iryna Trokhym: Sie brauchen vor allem psychologische Hilfe. Manchmal müssen wir das den Frauen erst klar machen. Sie haben überlebt, aber jetzt brauchen sie langfristig Kraft für sich und ihre Kinder. Das ist oft ein harter Job für uns. Die Menschen müssen wieder Vertrauen aufbauen.
Wie schaffen Sie das? Worauf kommt es dabei an?
Iryna Trokhym: Die Hälfte aller Frauen, die zu uns kommen, waren berufstätig und haben oft aufgrund des Krieges ihre Jobs verloren. Manche sind von sich aus aktiv, aber andere sind eher depressiv. Sie müssen sich integrieren, brauchen Einnahmen, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Dabei unterstützen wir sie, indem wir Hilfe zur Selbsthilfe leisten, sie zum Beispiel weiterbilden. Oft hilft es schon, wenn die Frauen mit anderen in Kontakt kommen. Wir setzen auf Gruppenarbeit in einer geschützten Gemeinschaft, in der sie sich neue Fähigkeiten aneignen, die sie fürs Berufsleben brauchen werden.
Sprechen Sie dabei auch über Verbrechen wie Vergewaltigungen, die immer wieder als Waffe des Krieges eingesetzt werden?
Iryna Trokhym: Wir hoffen darauf, dass sich die Frauen in diesen geschützten Räumen öffnen können und sie bereit sind, eines Tages darüber zu sprechen, was ihnen passiert ist. Es gibt ja viele Formen von Ausbeutung und Abhängigkeiten. Gerade in diesem Bereich wird aus Scham viel verschwiegen. In unserer Organisation arbeiten nur Frauen. Frauen verstehen Frauen besser. Das ist unser Ansatz. Auch in der humanitären Hilfe braucht es mehr Augenmerk auf ihre spezifischen Bedürfnisse, um Frauen stark und selbstbestimmter zu machen. Gewalt gegen Frauen war schon vor dem Krieg der Schwerpunkt unserer Organisation – wir finanzierten Frauenhäuser und betrieben Aufklärung zum Thema Gewalt gegen Frauen.
Welche Bedürfnisse haben die Kinder von geflüchteten Frauen?
Iryna Trokhym: Kinder brauchen sichere Orte zum Spielen und Lernen, eine professionelle Betreuung, um ihre Erlebnisse verarbeiten zu können. Das können wir leider noch nicht an allen Orten leisten, dafür fehlen uns die Mittel. Aber der Bedarf ist groß. In den Flüchtlingsunterkünften brauchen Kinder auch Räume, in denen sie in Ruhe am Online-Unterricht teilnehmen können. Der Schulbetrieb funktioniert ja immer noch nicht. Teilweise fehlt es an Schulmaterial und technischer Ausrüstung, vor allem in den abgelegenen Gebieten des Landes. Wir versuchen alles Menschenmögliche, um die größten Härten abzufedern.
Artikel kommentieren