Die deutsche Wirtschaft klagt über hohe finanzielle Belastungen und andere Wachstumshemmnisse. Der Forderungskatalog an den Kanzler ist lang. Doch der weicht der Kritik und den lauten Rufen aus.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat der deutschen Wirtschaft ungeachtet eines langen Forderungskatalogs, lauter Kritik und wachsender Unzufriedenheit keine Hoffnungen auf weitergehende Steuer- und Abgabensenkungen gemacht. Nach einem Spitzengespräch mit den führenden deutschen Wirtschaftsverbänden am Freitag in München betonte Scholz zwar, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit seien zentral für die Bundesregierung und deren Handeln. Er verteidigte deshalb das geplante Wachstumschancengesetz, das „sehr relevante, wachstumsfördernde Maßnahmen“ enthalte. Weitergehende finanzielle Zusagen an die deutsche Wirtschaft, die seit langem umfassendere Entlastungen und Reformen fordert, vermied er aber.
Scholz verwies stattdessen auf ein geplantes Bürokratieentlastungsgesetz, aber auch auf ein „Beschleunigungspaket“ für Planungen und Genehmigungen. Und auch den Arbeitskräftemangel als wichtigstes Wachstumshemmnis gehe man an. Finanziellen Spielraum für umfassendere zusätzliche Steuersenkungen sieht er dagegen nicht. Entsprechende Wünsche gebe es viele, man habe in der letzten Zeit auch viele umgesetzt, sagte er. „Subventionswünsche erreichen einen täglich, von morgens bis abends.“ Allerdings seien ja auch die Wirtschaftsverbände gegen neue Schulden. Deshalb müsse alles zusammenpassen, sagte Scholz mit Blick beispielsweise auf zusätzliche Verteidigungsausgaben und die milliardenschwere Unterstützung der Ukraine.
Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, klagte nach dem Gespräch, man habe vom Kanzler wenig Neues erfahren. „Das kannten wir alles schon.“ Angesichts der trüben Wachstumsprognosen brauche es eigentlich einen „echten Kraftakt“, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, forderte er. „Die Unternehmen wünschen sich von der Bundesregierung eine klare Wachstumsagenda, und zwar eine, die über eine Legislaturperiode hinaus trägt.“ Und für echte Entlastungen und Reformen laufe die Zeit davon: „Wir sind auf allen volkswirtschaftlichen Statistiken jetzt auf den letzten Plätzen.“ Handwerkspräsident Jörg Dittrich berichtete: „Die Stimmung in den Betrieben ist schlecht.“
Für Verärgerung in der internen Runde mit dem Kanzler sorgte nach Angaben aus Teilnehmerkreisen auch, dass Scholz nicht auf die konkreten Forderungen der Wirtschaftsverbände in einem neuen Zehn-Punkte-Papier eingegangen sei. Darin fordern der BDI, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag und der Zentralverband des Deutschen Handwerks unter anderem: international konkurrenzfähige Strompreise, eine grundlegende Steuerreform mit niedrigeren Unternehmensteuern, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, weniger Bürokratie, Investitionen in die Infrastruktur, eine ausreichende Fachkräftesicherung sowie Strukturreformen in allen Bereichen der Sozialversicherung, um Unternehmen zusätzlich finanziell zu entlasten.
Zudem warnen die Spitzenverbände davor, langfristig ein Mindestrentenniveau von 48 Prozent festzuschreiben, weil dies die Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung weiter verschärfen werde.
Innerhalb einer großen Steuerreform fordern die vier Spitzenverbände die Einführung einer dauerhaften Investitionsprämie, verbesserte Abschreibungsbedingungen, die Ausweitung der steuerlichen Forschungsförderung und eine Senkung von Strom- und Energiesteuern auf das europäische Mindestmaß für alle Unternehmen und Betriebe. Ziel müsse eine Senkung der Steuerbelastung der Unternehmen in Deutschland auf maximal 25 Prozent sein, heißt es in dem gemeinsamen Papier. Hierzu müsse unter anderem der Solidaritätszuschlag aus Sicht der Unternehmen vollständig abgeschafft werden.
Scholz warnte unterdessen auch davor, den Standort Deutschland schlechtzureden. „Natürlich hilft es nicht, wenn ganz viele Lobbyisten und Politikunternehmer die Stimmung im Land verschlechtern, weil dann behalten die Leute ihr Geld auf dem Sparbuch und investieren nicht“, sagte er und mahnte: „Also müssen wir dafür sorgen, dass wir unsere Herausforderungen nicht übersehen, dass wir die Lage nicht schönreden, aber dass wir die Grundlage dafür schaffen, dass Zuversicht herrscht, was unternehmerische Investitionen möglich macht.“
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