Raisa pflegte schon als Kind ihren sterbenden Vater und kümmerte sich um ihre jüngeren Geschwister. Concordia half ihr, einen Teil ihrer verpassten Kindheit nachzuholen. Jetzt ist die Alleinerziehende stolze Mutter einer glücklichen Tochter.
Zum 32. Mal leuchtet heuer „Ein Licht im Advent“, die Weihnachtsaktion der Passauer Neuen Presse. In diesem Jahr unterstützen Ihre Spenden die Arbeit der Hilfsorganisation Concordia in der Republik Moldau. Hier können Sie direkt online spenden. Alle weiteren Infos und Berichte zur Spendenaktion finden Sie hier auf unserer Sonderseite.
Eine trinkende Mutter, ein trinkender Vater und zwei kleine Geschwister, die bei ihr Trost und Schutz suchten, wenn das Leben mal wieder unerträglich schien. Eigentlich war Raisa selbst oft nach Weinen zumute, und trotzdem musste sie bereits als Kind stark für andere sein. Als ihre Mutter mit ihrem Bruder und ihrer Schwester schließlich vor ihrem trinkenden und prügelndem Mann zu einem anderen trinkenden und prügelnden Mann floh, blieb Raisa alleine mit ihrem krebskranken Vater in einer runtergekommen Wohnung in Nisporeni, im Westen Moldaus an der Grenze zu Rumänien, zurück.
Vom ersten Gehalt die Beerdigung des Vaters bezahlt
„Er war kein guter Vater. Aber als er Krebs bekam, habe ich ihn bis zu seinem Tod gepflegt. Wer hätte es denn sonst machen sollen? Von meinem ersten Gehalt habe ich seine Beerdigung bezahlt“, erzählt Raisa, die nie Alkohol trinkt. Als sie sich nach dem Tod ihres Vaters erstmals um niemanden mehr kümmern musste, kümmerte sich erstmals jemand um sie. In einem Concordia-Zentrum für besonders bedürftige Kinder, Jugendliche und Alte fand Raisa Zuflucht. Ein sicheres Zuhause, drei Mahlzeiten am Tag und psychotherapeutische Unterstützung halfen Raisa, das zu verarbeiten, was sie in ihrer verpassten Kindheit erlebt hatte.
Doch schon bald erreichte die 20-Jährige der nächste Hilferuf. „Wir halten es nicht mehr aus. Die Sauferei, das Geschrei, die Prügelei! Wenn Du uns nicht hier rausholst, hauen wir ab.“ Es waren Raisas Schwester Felicia* und ihr Bruder Nicu*. Die 16-Jährige und der 14-Jährige litten unter der Gewalt zwischen ihrer Mutter und ihrem neuen Partner. Raisa alarmierte die Leitung des Concordia-Zentrums, bald wurden auch ihre Geschwister in der Einrichtung aufgenommen – und Raisa musste sich wieder um zwei Menschen kümmern.
„Fühlte mich damals gar nicht in der Lage dazu“
„Ehrlich gesagt, fühlte ich mich damals gar nicht in der Lage, mich um meine beiden jüngeren Geschwister zu kümmern, aber mir blieb doch keine Alternative! Dabei hätten sie damals eine Mutter, nicht eine überforderte große Schwester gebraucht“, berichtet Raisa.
Es gab Zeiten, in denen Raisa ihre Mutter gehasst hat. „Sie hatte es nicht anders verdient. Sie war so egoistisch. Sie hat mir meine Kindheit gestohlen“, sagt Raisa, und Tränen laufen der Frau, die zu früh gelernt hat, sich zusammenzureißen, über die Wangen. Schnell wischt sie sich die Tränen weg und sagt dann mit wieder fester Stimme: „Auch wenn sie sich nie bei mir entschuldigt hat und sich nie dafür bedankt hat, was ich für meine beiden kleinen Geschwister, ihre Kinder, getan habe: Mittlerweile habe ich ihr verziehen.“
Alle Geschwister haben ihren Weg gefunden
Mit Unterstützung von Concordia und eines Stipendiums machte Raisa eine Ausbildung zur Buchhalterin, lebt mittlerweile in einer kleinen, penibel aufgeräumten Wohnung. Ihre Geschwister haben das Concordia-Wohnheim nach Abschluss der Schule ebenfalls verlassen können. Ihr Bruder macht eine Ausbildung in der Hauptstadt Chisinau, ihre Schwester arbeitet in einem Hotel in der Schweiz.
Auch Raisa würde gerne irgendwo hingehen, wo sie für ihre Arbeit besser bezahlt würde, aber die 26-Jährige ist schon wieder alleine für jemanden verantwortlich, kann nicht einfach tun und lassen, was sie möchte.
„Meine Tochter Marina ist ein glückliches Kind“
Raisa war im siebten Monat schwanger, als ihr Freund Moldau wie so viele andere junge Männer verließ. Er wolle Geld für die Familie, die er mit Raisa gründen wolle, verdienen. Das hatte er Raisa zumindest gesagt. Aber seitdem hat sie nichts mehr von ihm gehört, geschweige denn einen einzigen Euro erhalten. Seine Tochter hat er nie gesehen.
Auch wenn sie sich manchmal einen guten Vater für ihre Tochter wünscht, glaubt Raisa, dass es ihr und ihrem Kind besser ohne einen Mann geht. „Auf mich selbst kann ich mich verlassen. Auch wenn es schwierig wird. Auf einen Mann nicht. Das habe ich erlebt“, sagt Raisa, der das Leben zu viele harte Lektionen zu früh gelehrt hat.
„Ich bin eine gute Mutter – darauf bin ich ein bisschen stolz“
Mittlerweile ist ihre Tochter Marina* vier Jahre alt und singt und tanzt gerne. „Marina ist ein glückliches Kind“, sagt Raisa – und dann nach einer kurzen Pause: „Und ich bin eine gute Mutter. Und darauf bin ich auch ein bisschen stolz.“
Trotz allem, was Raisa schon für sich und andere erreicht hat, wäre der Satz „Und darauf bin ich stolz“ ihr jahrelang nicht über die Lippen gegangen. Dass sie ihn mittlerweile aussprechen kann, verdankt sie vor allem sich selbst. Und ein kleines bisschen auch der Unterstützung und den Psychotherapeutinnen von Concordia.
* Die Namen der Kinder wurden aus Kinderschutzgründen geändert.
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