PNP-Spendenaktion 2024
Moldau: Das zerrissene Land zwischen der EU und Russland

03.12.2024 | Stand 03.12.2024, 6:14 Uhr |
Philipp Hedemann

Die Suppenküche in Ghetlova ist seit 2008 Anlaufstelle für die ärmsten Bewohner der Gegend. Die Männer, Frauen und Kinder erhalten hier ein warmes Mittagessen – meist die einzige Mahlzeit des Tages. Manche bringen ein leeres Marmeladenglas mit und teilen sich ihre Ration auf, damit sie auch am Abend noch etwas zu essen haben. Die Stiftung Concordia betreibt landesweit sechs Kantinen dieser Art. − Foto: Cristina Bancu, Concordia

Die Republik Moldau ist ein Land mit einer wechselhaften Geschichte, das in die EU strebt und nach wie vor von pro-russischen Kräften beeinflusst wird. Doch den Alltag der meisten Familien bestimmt der Kampf um die eigene Existenz.

  


Zum 32. Mal leuchtet heuer „Ein Licht im Advent“, die Weihnachtsaktion der Passauer Neuen Presse. In diesem Jahr unterstützen Ihre Spenden die Arbeit der Hilfsorganisation Concordia in der Republik Moldau. Hier können Sie direkt online spenden. Alle weiteren Infos und Berichte zur Spendenaktion finden Sie hier auf unserer Sonderseite.




Im hügeligen Westen Moldaus zieht ein müdes Pferd einen klapprigen, mit Brennholz beladenen Wagen über eine Schotterpiste. Bald wird der erste Schnee fallen. Die Winter im hügeligen Land können lang und kalt sein, und auf dem Land, wo viele Menschen in windschiefen Häusern mit Plumpsklo im Garten leben und das Wasser teilweise immer noch nicht aus der Leitung, sondern aus altertümlichen Brunnen kommt, heizen die meisten Menschen ausschließlich mit Brennholz. Die Republik Moldau, die im Westen an Rumänien grenzt, im Norden, Osten und Süden von der Ukraine umschlossen wird und auch Moldawien genannt wird, ist das ärmste Land Europas.

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Das kleine Land ist nur halb so groß wie Bayern

Ab 1812 gehörte das Gebiet des heutigen Moldaus zum Russischen Kaiserreich, nach dem Ersten Weltkrieg großteils zu Rumänien, ab 1940 zur Sowjetunion. Als eigenständiger Staat existiert Moldau erst seit 1991, als die Moldauische Sozialistische Sowjetrepublik sich während der Auflösung der Sowjetunion für unabhängig erklärte. Die Geschichte des Landes, das nur etwa halb so groß wie Bayern ist, war wechselhaft und die Zukunft der zwischen pro-europäischen und pro-russischen Kräften hin- und hergerissenen Republik ist ungewiss.

Mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen ist im Agrarsektor beschäftigt und mehr als 30 Prozent der unter hoher Korruption leidenden Bevölkerung lebt in absoluter Armut. In ländlichen Gebieten sind sogar fast 45 Prozent der Kinder von absoluter Armut betroffen. Auch deshalb lebt nach Schätzungen rund ein Drittel der etwa 3,1 Millionen Moldauerinnen und Moldauer zeitweise oder dauerhaft im Ausland. Es gibt kaum eine Familie, in der nicht zumindest ein Elternteil langfristig oder temporär im Ausland arbeitet. Es wird davon ausgegangen, dass die Überweisungen von Familienmitgliedern aus dem Ausland das Bruttoinlandsprodukt übersteigen. Unter der durch die Armut erzwungenen Arbeitsmigration leiden vor allem Frauen, die sich alleine um ihre Kinder kümmern müssen und Kinder, die oft in unvollständigen Familien aufwachsen. Nach Regierungsangaben mussten im vergangenen Jahr 2023 fast 30.000 Kinder ihren Alltag bewältigen, während beide Elternteile im Ausland lebten. Bei 150.000 Kindern war ein Elternteil nicht zuhause.

Die zu über 90 Prozent christlich-orthodoxen Moldauerinnen und Moldauer sind unterschiedlicher ethnischer Herkunft: Die mit Abstand größte Gruppe machen mit 82,1 Prozent die rumänischsprachigen Moldauer aus, darauf folgten Ukrainer (6,6 Prozent), die überwiegend im autonomen Gebiet Gagauisen im Süden Moldaus lebenden Gagausen (4,4 Prozent) und Russen (4,1 Prozent).

375.000 Menschen leben im abtrünnigen Transnistrien

Im international nicht anerkannten, ausschließlich von Russland unterstützten Transnistrien an der moldauisch-ukrainischen Grenze leben rund 375.000 Menschen, die überwiegend Russisch sprechen. Transnistrien rief 1990 seine Unabhängigkeit aus, 1992 kam es deshalb zum Krieg, der erst durch ein Eingreifen der russischen Armee beendet wurde und über 500 Todesopfer forderte.

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Russlands Überfall auf die Ukraine führte im Jahr 2022 dazu, dass Moldau in Relation zu seiner Einwohnerzahl so viele ukrainische Flüchtlinge wie kein anderer Staat aufnahm. Das Bruttoinlandsprodukt brach um fünf Prozent ein, die Inflation stieg zwischenzeitlich auf 30 Prozent. Trotzdem wurden die vor dem Krieg Geflüchteten mit großer Hilfsbereitschaft und Solidarität willkommen geheißen.

Unter anderem die Angst, dass Russland auch versuchen könne, Transnistrien und ganz Moldau zu besetzen und anzugreifen, hatte zur Folge, dass der junge Staat eine Woche nach Kriegsbeginn die Mitgliedschaft in der Europäischen Union beantragte. Im Juni diesen Jahres starteten die Beitrittsverhandlungen, im Oktober sprach sich eine knappe Mehrheit der Moldauerinnen und Moldauer in einem Referendum dafür aus, den EU-Beitritt als Ziel in die Verfassung aufzunehmen, im November wurde die pro-europäische Präsidentin Maia Sandu knapp wiedergewählt.

Vor allem in der immer noch von vielen sowjetischen Monumentalbauten geprägten Hauptstadt wurde dies gefeiert. Auf dem Land hingegen hatten viele Menschen keine Zeit zum Feiern. Sie waren damit beschäftigt, Feuerholz auf die von Pferden gezogenen Wagen zu stapeln.

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