„Weder Ersatzpolitiker noch Aktivist“
Klima-Ökonom fordert dringend Fortschritte bei CO2-Speicherung und -Entnahme

Ottmar Edenhofer erhält Bayerischen Verfassungsorden

02.12.2022 | Stand 18.09.2023, 21:24 Uhr

Der Klima-Ökonom Ottmar Edenhofer erhält den Bayerischen Verfassungsorden. Im Interview spricht der Niederbayer über das Potenzial von CO2 und Windrädern - und fordert Fortschritte.

Er ist Deutschlands wichtigste Stimme im Bereich der Klimaforschung: Professor Ottmar Edenhofer. Wir erreichen den gebürtigen Niederbayern in Brüssel, wo er auf EU-Ebene die gesetzliche Ausgestaltung der Energiewende beratend begleitet. Als Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung hören ihm Entscheidungsträger aus aller Welt zu. Heute wird der Klima-Ökonom aus Gangkofen (Landkreis Rottal-Inn) mit dem Bayerischen Verfassungsorden ausgezeichnet. Ein Gespräch über die Grenzen des Klima-Aktivismus, die Kosten von Klimaschäden und das bayerische Selbstverständnis.

Professor Edenhofer, Bayern ehrt Sie mit dem Verfassungsorden. Was geben Sie dem Freistaat in Sachen Klimaschutz mit auf den Weg?
Ottmar Edenhofer: Bayern hat verstanden, dass Klimaschutz und der Ausbau der Erneuerbaren wichtig ist, aber wie für die gesamte Republik gilt: Alle müssen dringend national und international nachlegen, wenn wir die Menschen vor den Klimarisiken schützen wollen. Vor allem bei Windenergie müssen die Bürger überzeugt werden. Es sollte nicht politisch versucht werden, populistische Funken daraus zu schlagen.

Naturerbe und Kulturerbe sind für ihn austauschbar

Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ gehen immer radikaler vor. Wie sehr gefährdet das den Klimaschutz?
Edenhofer: Ich finde die Aktionen der Letzten Generation nicht gut, etwa wenn es um die Beschädigung von Kunstwerken geht. Denn so wie das Naturerbe erhalten werden soll, soll auch das Kulturerbe erhalten werden. Wer die Mitte der Gesellschaft abschreckt, muss wissen, dass dann eine ehrgeizige Klimapolitik auf Dauer nicht durchgesetzt werden kann. Allerdings muss sich die Mitte der Gesellschaft auch fragen, ob sie das Klimaproblem in seiner ganzen Wucht erfasst hat, nämlich dass der Klimawandel unseren Wohlstand und letztlich unsere Lebensgrundlagen zerstören wird. Insofern verstehe ich die Verzweiflung der jungen Menschen. Auch vielen Politikern ist immer noch nicht die ganze Tragweite des Problems bewusst.

Dürfen sich Wissenschaftler als Aktivisten sehen?
Edenhofer: Ich bin der Auffassung, wenn ich als Wissenschaftler in der Öffentlichkeit auftrete, dann bin ich weder Ersatzpolitiker noch Aktivist. Als Bürger dürfen sich Wissenschaftler an der politischen Auseinandersetzung beteiligen, aber sie können dafür nicht die Autorität der Wissenschaft in Anspruch nehmen.

Sie sind Experte auf dem Gebiet der CO2-Bepreisung. Wie kann die deutsche Wettbewerbsfähigkeit trotz des CO2-Preises bestehen bleiben?
Edenhofer: Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Der CO2-Preis im europäischen Emissionshandel mit derzeit 85 Euro pro Tonne ist gering im Vergleich zu den hohen Gaspreisen, die jetzt gezahlt werden. Die hohen Gaspreise wirken ähnlich wie der CO2-Preis, sie vermindern den Gasverbrauch. Wenn Sie sich die Erfolge beim Gaseinsparen in den letzten Monaten anschauen und zwar ohne die Produktion im entscheidenden Maße zurückzufahren, dann ist das phänomenal. Das zeigt, dass bei der Gaseinsparung sehr viel möglich ist, wenn die Anreize da sind. Gleiches gilt beim CO2-Preis, nur dass hier kein Wissenschaftler einen vergleichbar hohen Anstieg empfohlen hätte. Das zeigt vor allem eines: Die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung hat den Stresstest bestanden.

Der CO2-Preis ist aber dennoch eine zusätzliche Belastung besonders für energieintensive Unternehmen.
Edenhofer: Für die energieintensive Industrie gelten im europäischen Emissionshandel Ausnahmen. Auch wird der Stahlindustrie beim Umstieg auf „grünen“ Stahl massiv unter die Arme gegriffen. Und die energieintensive Industrie auch angesichts der hohen Gaspreise massiv entlastet. Eine vernünftige Klimapolitik führt nicht zur Deindustrialisierung Deutschlands, sondern führt zu Innovationen etwa bei der Produktion von grünem Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen. Aber dafür ist eine CO2-Bepreisung notwendig, weil sich sonst diese Technologien nicht am Markt durchsetzen können.

Aus Projekten müssen endlich Produkte werden

Allein mit der Emissionssenkung ist es nicht getan. Die Rede ist von CO2-Entnahme sowie -Speicherung (CCS). Wie weit sind wir da?
Edenhofer: Nicht weit. Die Entnahmeprojekte sind von überragender Bedeutung. Wir müssen jetzt aus der reinen Debatte um Projekte endlich in die Umsetzung. Da liegt eine große Chance auch für den Entwicklungsstandort Deutschland – nur müssen wir jetzt schnell in die Puschen kommen. Denn wir brauchen auch atmosphärisches CO2 für die Herstellung synthetischer Kraftstoffe mit Wasserstoff, zum Beispiel für den Flugverkehr. Dafür können wir kein CO2 aus fossilen Verbrennungsanlagen nutzen, sondern nur solches aus Biomasse oder eben der Atmosphäre. Aber Biomasse ist bereits jetzt knapp, also bleibt nur die Option, CO2 aus der Atmosphäre zu entziehen.

Und wie funktioniert das mit der Einlagerung?
Edenhofer: CO2 wird im geologischen Untergrund gelagert. In Brandenburg gab es dazu eine Versuchsanlage. Die Bevölkerung hat das nicht akzeptiert. Auch sehe ich dafür kaum Akzeptanz in anderen Teilen Deutschlands, auch nicht in Bayern. In Norwegen sieht das anders aus, dort wird die Technologie erprobt. Daher wird vor allem Norwegen die Lagerstätte für Europa sein und gegen Gebühr das CO2 der anderen Länder speichern. Dort weiß man bereits seit längerem, wie man das mit der Einlagerung unter dem Meeresboden macht.

Ist das nicht gefährlich?
Edenhofer: Es gibt keine Technologie ohne Risiko, sogar Autofahren hat seine Gefahren. Aber es ist bei CCS ein beherrschbares Risiko. Über das Thema ist bereits eine Debatte unter anderem in Brüssel in Gang. Wir kommen nicht darum herum, denn irgendwohin müssen die unvermeidbaren Prozessemissionen ja. Außerdem brauchen wir die Einlagerung für die Negativemissionen, um unser Netto-Null-Ziel bis zur Mitte des Jahrhunderts zu erreichen.

Eine Tonne CO2 verursacht 150 Dollar Schäden

Bei der Klimakonferenz in Ägypten wurde ein Fonds für Klimaschäden auf den Weg gebracht. Bislang ist aber völlig unklar, wer da einzahlt. Haben sich die Europäer verrannt?
Edenhofer: Dass das Thema überhaupt auf den Tisch gekommen ist, ist ein großer Schritt. Ich glaube, die Debatte um Klimaschäden wird am Ende die sein, die den Hauptemittenten wie China, den USA oder Indien klar macht: Wenn wir den Ausstoß von Treibhausgasen nicht senken, dann werden wir in großem Maße dafür zahlen müssen. Im Augenblick verursacht eine Tonne CO2 in etwa 150 Dollar an Schäden. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts könnte der Wert bei 800 Dollar pro Tonne liegen, durch Extremwetterereignisse, Gesundheitsschäden, gestörte Lieferketten. Das sind erhebliche wirtschaftliche Verwerfungen, die daraus entstehen. Die können wir vermeiden, wenn wir umsteigen von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien.

Sie glauben, dass der wirtschaftliche Druck am Ende zum Ziel führt?
Edenhofer: Auf jeden Fall.

Aber China will sich lieber raushalten auch bei einem Klimafonds. Wie lässt sich denen erklären, dass die Rettung des Klimas nicht ohne sie geht?
Edenhofer: Über die Klimaschäden. China wird ab 2030 so große Probleme damit im eigenen Land bekommen, dass die Politik sich nicht mehr verschließen kann. Das wird Konsequenzen für die Wasserversorgung oder auch die Infrastruktur haben, zudem muss für die Klimaschäden in anderen Ländern gezahlt werden. Das wird zu teuer. Das sollte China genauso wie Bayern ganz pragmatisch sehen. Als Ökonom sage ich: die Energiewende rechnet sich, zumindest langfristig. Und das Denken in großen historischen Linien und ein lebendiges Bewusstsein für alles Bewahrenswerte war immer auch Teil des bayerischen Selbstverständnisses.